Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Interview-Serie heute mit Anja Siegesmund
Anja Siegesmund, Spitzenkandidatin der Grünen, über Windkraft im Wald, Bahnverkehr und Koalitionen nach der Landtagswahl. Was plant sie für Ostthüringen?
Zum Abschluss unserer Interviewserie zur Landtagswahl haben wir mit Anja Siegesmund, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, gesprochen.
Bei der Europawahl haben die Grünen in vielen Jenaer Wahlbezirken die meisten Stimmen gesammelt. Ist ein Direktmandat für Sie angesichts dieser Vorlage in Jena Pflicht?
Als Spitzenkandidatin im Land kämpfe ich für starke Grüne und vor allem um ein sehr gutes Zweitstimmenergebnis. Ein grünes Direktmandat hat es in Thüringen noch nie gegeben. Das wäre schon krass. Natürlich würde ich mich sehr freuen, wenn es gelingt.
Die Grünen schneiden in Umfragen für Thüringen in Bezug auf die Bundeswerte vergleichsweise schwach ab. Haben die Thüringer die Affäre von Justizminister Dieter Lauinger nicht vergessen, dass er sich einsetzte, seinem Sohn wegen eines Auslandsaufenthaltes die Besondere Leistungsfeststellung zu ersparen?
Auch wir Bündnisgrüne in Thüringen haben zugelegt. Wir wachsen nachhaltig. Zu Dieter Lauinger: Er hat in der Migrationsund Integrationsarbeit gute Arbeit geleistet. Die Menschen an den Ständen fragen mich aber derzeit weniger zu Migration, sondern eher zu Bildung, dem Fachkräftemangel und Klimapolitik. Was sie bewegt, bewegt auch mich.
Die Linkspartei mit Ministerpräsident Bodo Ramelow will die amtierende rot-rot-grüne Landesregierung unbedingt fortsetzen. Sie auch?
Ja. Wir haben in diesem zukunftsorientierten Bündnis viel geschafft. „Sozial. Ökologisch. Demokratisch“– das war die Überschrift des Koalitionsvertrages und das haben wir erfüllt. Nur drei Beispiele: Wir haben zwei gebührenfreie Kindergarten-Jahre eingeführt, ein Klimagesetz geschaffen und das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt.
Mit wem könnten Sie noch koalieren?
Ich bin immer gut mit einem Plan A gefahren. Wenn es dafür nicht reicht, dann müssen alle demokratischen Parteien miteinander reden. Mit einem AfDPolitiker brauche ich mich allerdings nicht an einen Tisch zu setzen, da sind keine Schnittmengen vorhanden. Die AfD kann nur hetzen und spalten. Wir setzen auf unsere Inhalte und die Chance, Thüringen zu gestalten. Das ist die Voraussetzung für vernünftige Gespräche.
Tolerieren Sie auch eine Minderheitsregierung?
Ich wünsche Thüringen eine stabile handlungsfähige Regierung. Nach aktuellsten Umfragen ist der Ministerpräsident gesetzt. Wir setzen als Grüne auf den ökologisch-sozialen Ausgleich. Stimmen für die CDU und die FDP sind deshalb verschenkte Stimmen, weil eine stabile Regierung das A und O für Thüringen ist und wir statt Chaos Klarheit im Parlament brauchen. Deshalb setze ich auf Rot-RotGrün.
Was hätte Ostthüringen davon, wenn Sie weiter Umweltministerin bleiben könnten?
Mehr Umweltschutz zum Beispiel. Wir haben in die AltlastenSanierung in Rositz schon 80 Millionen Euro investiert, weitere 12 Millionen Euro folgen. Wir wollen die Brunnendörfer im Altenburger Land ans Trinkwassernetz anschließen und haben die ersten Verträge geschlossen. Wir bringen im Jahr 2020 den Klimapavillon nach Gera. Mit uns kommt das Zwei-Euro-Ticket pro Tag für Bus und Bahn für Erwachsene und das Ein-Euro-Ticket für Schüler. Den Hochwasserschutz haben wir stark verbessert, müssen aber noch weitere Projekte angehen. Wir sind im Gespräch mit der Stadt Gera, die energetische Sanierung des Kultur- und Kongresszentrums Gera mit 30 Millionen Euro zu unterstützen.
Wäre für das Geld nicht sogar ein Neubau drin?
Wollen wir immer nur alles abreißen? Das KuK gehört doch zu Gera wie das Otto-Dix-Haus oder der Simson-Brunnen. Oder wie ein Stadion zu Jena.
Das bringt uns zu einer Frage, die viele Fans des FC Carl Zeiss umtreibt. Sie gehören der Grünen-Stadtratsfraktion in Jena an, die sich gegen das Stadionprojekt ausspricht. Wie ist Ihre persönliche Meinung dazu?
Es geht vor allem um Prioritäten. Die Stadt Jena hatte 2018 einen zu optimistischen Haushalt für 2019 aufgestellt. Mit der Verkündung der Haushaltssperre durch die Stadt stellte sich heraus, dass beim Thema Bildung gespart werden könnte. Bevor wir Geld ins Stadion investieren, sollten erst einmal die Schulen und Kindergärten die Mittel erhalten, die sie brauchen.
Ist Ostthüringen abgehängt von der positiven Entwicklung im Rest Thüringens?
Nein. Man ist nur dann abgehängt, wenn man sich abhängen lässt. Mit Sicherheit könnten viele Dinge noch besser sein. Aber ich sehe hervorragende Ansätze in der Region: Es gibt innovative Firmen, die wachsen, wie etwa Framo in Löbichau, die elektrisch betriebene Zementmischfahrzeuge bauen. Gera entwickelt sich immer mehr als Hochschulstadt mit einem neuen Gründerklima. Und wenn Sie Richtung Hermsdorf schauen: da haben wir mit dem Fraunhofer-Institut IKTS die beste Forschungsbrücke nach Jena. Das ist meine Heimat.
Wie soll sich die Verkehrsanbindung verbessern?
Es braucht einen S-Bahn-Takt auf der Mitte-DeutschlandSchiene zwischen Erfurt, Jena und Gera. Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Elektrifizierung bis zum Jahr 2028 dauern soll. Da müssen wir mehr Druck auf die Bahn machen. Zudem streben wir die vollständige Zweigleisigkeit zwischen Gera und Jena an.
Wie wird Jena als Universitätsstadt besser an den Fernverkehr angebunden?
Ja, die Wissenschafts- und Wirtschaftsstadt Jena muss schleunigst besser angebunden werden. Die verkehrspolitischen Entscheidungen vor zehn Jahren haben zur heutigen Ausgangslage geführt. Zugunsten der ICE-Strecke München–Erfurt–Berlin ist der Regionalverkehr von der Bahn zurückgefahren worden. Wir haben als Landesregierung nun eine bessere Anbindung nach Leipzig zusätzlich bestellt. Das ist aber noch nicht genug.
Sollte die Höllentalbahn wieder rollen?
Unser Konzept geht weiter. 467 Schienenkilometer sind seit 1990 in Thüringen stillgelegt worden. Wir wollen mit den Kommunen besprechen, welche Strecken reaktiviert werden können. Dazu brauchen wir Machbarkeitsstudien. Das gilt auch für die Höllentalbahn. Mich stört zum Beispiel, dass wir die Biathlon-Weltmeisterschaft 2023 nach Oberhof holen, aber am dortigen Bahnhof keine Züge mehr halten.
Die Grünen wollen jeden Ort in Thüringen jede Stunde an den Nahverkehr anbinden. Wie soll das gelingen?
Ja, wir möchten täglich zwischen 5 und 24 Uhr möglichst jede Stunde eine Anbindung bieten. Je nachdem was funktioniert: Linienbusse, Züge, Rufbusse, geteilte Elektrofahrzeuge. So dass jede und jeder die Chance hat, mobil zu sein. Wir wollen ein Jahresticket, mit dem alle Menschen in ganz Thüringen für umgerechnet zwei Euro am Tag mobil sind.
Wie wollen Sie das finanzieren?
Das ist eine Frage der Prioritäten. Die Kommunen nutzen bereits Förderprogramme von uns für E-Busse. Mit dem Verkehrsminister Winfried Herrmann aus Baden-Württemberg habe ich mich neulich darüber ausgetauscht, wie wir durch eine veränderte Nahverkehrsstruktur Effizienzgewinne erreichen können, also indem wir etwa als Land selber Züge kaufen.
Auf welchem Weg wollen Sie diese realisieren?
In Baden-Württemberg kauft die Nahverkehrsgesellschaft Züge und verpachtet sie an Linienbetreiber. Dort hat sich gezeigt: Das Land hat mehr Einfluss auf die Ausstattung und Größe der Waggons und spart obendrein Geld. Haben Sie mal am Wochenende mit der Familie einen Ausflug in den Zeitzgrund gemacht und mit fünf Rädern erlebt, wie unkomfortabel das mit der Bahn ist? Wir machen das öfter und ich sage Ihnen: das geht besser mit Niederflurzügen und mehr Raum im Zug.
Für welche innovativen Züge sehen Sie Einsatzchancen?
Die Technik entwickelt sich schnell weiter: Bombardier baut Hybridzüge, die inzwischen auch 40 Kilometer batterieelektrisch ohne Oberleitung überbrücken können. Ich habe mir das in Mannheim angeschaut. Das wäre eine Chance, die Dieselzüge beispielsweise auf der Strecke von Jena nach Pößneck abzulösen. Im Schwarzatal sollen Wasserstoffzüge rollen – mit Wasserstoff aus Windenergie.
Apropos. Haben Sie schon mal einen Kurs im Umgang mit der Kettensäge besucht? Sie wollen ja in Ostthüringen Wälder für Windräder abholzen – da könnten Sie nicht nur symbolisch selbst Hand anlegen.
Hier hilft Genauigkeit. In Thüringen gibt es gerade zwei Windräder im Forst. Viele Privatwaldbesitzer, deren Fichtenplantagen dem Borkenkäfer und der Trockenheit nicht standhalten, fragen mich, ob die Fläche für Windkraftanlagen infrage käme – wohlwissend, dass dafür an anderer Stelle gesunder Wald aufgeforstet wird. Unabhängig davon, dass vor Ort sowieso die regionalen Planungsgemeinschaften entscheiden und nicht das Umweltministerium: Warum sollte auf schadhaften Forststellen nicht ein Windrad für unseren sauberen Energiemix stehen, mit jungen Bäumen im Unterwuchs? Das große Thema dahinter ist doch, dass uns die Zeit davon läuft, wenn wir raus aus der Klimakrise kommen wollen. Es geht um die Zukunft unserer Kinder.
Also sprechen Sie sich für neue Windräder aus?
Wir haben dieses Jahr gerade einmal sieben Windräder in Thüringen gebaut oder erneuert. Ich springe mal ins Jahr 2037: Wenn die jetzigen Anlagen bis dahin allesamt durch leistungsfähigere ersetzt würden und wir bis dahin noch 150 dazu bauen, haben wir es geschafft. Das wären noch sechs pro Landkreis. Aber in der Realität ist es so: In Thüringen fallen 2020 etwa 150 Anlagen aus der EEG-Förderung und werden auf Kosten der Eigentümer zurückgebaut, einige Vorhaben sind beklagt und der Bund bremst. Statt mehr von sauberem Strom zu profitieren, wie in Nordhausen, wo ein Bürgerwindrad hervorragend läuft, sind dann wieder mehr Menschen auf Import teurer und schmutziger fossiler Rohstoffe angewiesen.
Wie stehen Sie zum Vorhaben, eine neue Linkenmühlenbrücke über den HohenwarteStausee zu bauen?
Dazu müsste ich das Konzept im Detail kennen – und Alternativkonzepte, wie zum Beispiel eine Elektrofähre als besondere Attraktion.
Haben Sie inzwischen als Umweltministerin ein Elektroauto als Dienstwagen?
Fast. Noch ist es ein Hybridfahrzeug. Im Wahlkampf bin ich im Elektroauto unterwegs.
Die Grünen sind mit dem Vorstoß gescheitert, ein generelles Tempolimit 130 auf Autobahnen durchzusetzen. Sollte auf den gut ausgebauten Thüringer Autobahnen nur noch eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde gelten?
Ich finde den Vorstoß richtig. In unseren europäischen Nachbarländern geht es doch auch: Es gäbe mehr Verkehrssicherheit und mehr Klimaschutz. ■ Damit schließt unsere Interview-Serie mit den Spitzenkandidaten. Erschienen waren bereits Folgen mit Bodo Ramelow (Die Linke), Mike Mohring (CDU), Wolfgang Tiefensee (SPD), Thomas L. Kemmerich (FDP), nachzulesen unter www.otz.de – Björn Höcke (AfD) lehnte ein Interview mit Fragen zu Ostthüringen ab.