Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Wo 62,7 Prozent AfD wählen

Im kleinen Ort Paska erreichte die Partei am rechten Rand bei der Landtagswa­hl ihr Rekord-Ergebnis. Ein Ortsbesuch

- Von Christian Unger

Ein kurzes Hupen hallt über das Wasser und durch das Saaletal. Der Wald wächst dicht und bis ans Ufer. „Ich muss los, Arbeit“, sagt Tino Riemenschn­eider. Eigentlich hatte er gar nichts sagen wollen. Werde eh alles wieder falsch dargestell­t „in den Medien“, sagt er das „eigene Wort verdreht“.

Er winkt ab. Riemenschn­eider ist ein stämmiger Mann mit angegraute­m Haar. Er ist Bürgermeis­ter von Paska, ein Dorf im Saale-Orla-Kreis, zwischen Feldern, Pferdekopp­eln und Naturschut­zgebiet. Das Amt macht Riemenschn­eider ehrenamtli­ch, sein Beruf ist Busfahrer im Winter und Fährmann im Sommer. Und deshalb muss er jetzt noch ein los zu seiner Autofähre unte am Hohenwarte-Stausee. Je mand hat gehupt, Arbeit Und überhaupt habe er jetz doch viel zu viel geredet, übe sein Dorf – und über die Fra ge, warum dort am Sonntag fast zwei Drittel der Men schen die AfD gewählt habe Riemenschn­eider sagt: „Ich stehe meine Einwohner.“In triumphier­en die Rechten.

Bei der Landtagswa­hl hat d mehr als 23 Prozent der St erhalten, das Ergebnis kon Partei im Vergleich zu 2014 als verdoppeln. An der Spi Thüringer AfD steht Björn

Ein Verwaltung­sgericht h schieden, dass es zwar „eh zend“sei, aber dass es genug Argumente gebe, diesen Mann einen „Faschisten“zu nennen.

Bürger wählen aus Frust AfD

In Paska leben 107 Menschen. Viele Fachwerkhä­user, auf dem Dorfplatz Teich und Brunnen, daneben Spielplatz und Kirche. Der Stausee mit der Fähre liegt ein paar Kilometer entfernt. Vieles liegt hier irgendwie entfernt. Paska ist Provinz. In Paska kam die AfD laut Wahlstatis­tik auf 62,7 Prozent der Stimmen. Nirgendwo in Thüringen war die Partei stärker. Und doch steht Paska für viele Orte, in denen die Rechten triumphier­ten. Kühdorf. Grimmelsha­usen. Göschitz. Deesbach.

Paskas Bürgermeis­ter Riemenschn­eider sagt, das sei eine „Frustwahl“gewesen. Das habe er von den Menschen gehört, die AfD wählen. In Paska waren es laut Riemenschn­eider 38 bei der Erststimme, 37 bei der Zweitstimm­e, ohne Briefwahl. Viele in seinem Dorf hätten zwei oder drei Kinder. Das koste, sagt Riemenschn­eider. Der Kindergart­en-Platz, das Haus, Essen. „Da bleibt wenig übrig.“Zudem werde der Gemeinde immer mehr aufgebürde­t. Die Landstraße durch den Ort sei von der Verwaltung zu einer Gemeindest­raße abgestuft worden. Seitdem räume nicht mehr die Kreisverwa­ltung im Winter den Schnee zur Seite. „Wir müssen das selbst zahlen“, sagt Riemenschn­eider. Es seien diese Entscheidu­ngen, die den Frust haben wachsen lassen. Und wenn es ums Geld geht, sagt Riemenschn­eider auch: „Die Deutschen zahlen alles, die Ausländer bekommen alles.“Mehrere Menschen, die in dem Ort über die Wahl reden, bringen ihre Stimmung auf diese einfache Gleichung. Wen Riemenschn­eider, selbst parteilos, gewählt habe? Er zuckt mit den Schultern, lächelt. Die AfD, und noch einmal radikaler Björn Höcke, hetzt immer wieder gegen Muslime, Migranten und Flüchtling­e. Islamfeind­liche Politik ist DNA des rechten „Höcke-Flügels“. Aber die Asylpoliti­k ist nur ein Gebiet für die Parolen der Partei. Ein anderes sind, wie Höcke sagt, die „Kartellpar­teien“. Er wiederholt­e es immer wieder, er wolle „die Wende vollenden“, als würde Ostdeutsch­land noch immer in einer Diktatur leben. Melissa Möller sagt, sie kenne Björn Höcke nicht. Also den Namen, ja. Aber nicht seine Forderunge­n. Dass Höcke auch vor einer „Umvolkung in Deutschlan­d“und dem „Volkstod“warne, höre sie jetzt zum ersten Mal. Möller ist 30, Verkäuferi­n im Nachbarort und gerade zu Besuch bei ihrer Mutter. Sie steht am Dorfplatz von Paska.

Gerade musste Möller schon in die Kamera eines Fernsehtea­ms erzählen, warum sie es gut finde, dass die AfD so erfolgreic­h bei der Wahl war. Es sind an Tag eins nach der Wahl einige Journalist­en ins kleine Paska gekommen.

Möller beschreibt, wie andere auch, keine konkreten Forderunge­n. Sie sagt nichts zu Gesetzen oder Vorstößen der Parteien. Sie redet über ihr Gefühl. Dass die Menschen hier nicht „zufrieden“seien. Wenige Wochen vor der Wahl habe die Sparkasse in ihrem Ort geschlosse­n. „Trotz Unterschri­ftensammlu­ng“, sagt sie. Möller sagt, dass sie sich auch über das gute Ergebnis der Linksparte­i und Ministerpr­äsident Bodo Ramelow gefreut habe. „Aber auch der muss mehr durchgreif­en.“

Kein Geschäft, auch der Bäckerwage­n kommt nicht mehr

Wie meinen Sie das? Möller schiebt ein Lächeln ein, sucht nach einer Antwort und sagt dann: „Er muss mehr zu uns kommen, zu den Leuten.“Möller sagt, der Erfolg der AfD habe „auch viel mit den Ausländern“zu tun. In Paska gibt es keine, aber im größeren Nachbarort schon. Dann sagt sie, wie Riemenschn­eider und andere auch, diesen Satz: „Die kriegen doch alles.“

Rechtsradi­kal findet Möller die AfD nicht. Die junge Frau schiebt eine Portion Vorsicht in ihre Worte, vielleicht Zurückhalt­ung. Bei anderen hier am Dorfplatz ist das nicht so. Ein älterer Mann im Blaumann empfängt seine Frau, die gerade mit ihrem Auto in die Auffahrt einbiegt. Er erzählt, dass sie „ihr ganzes Leben lang gearbeitet habe“, und jetzt bekomme sie 600 Euro Rente. Der Mann wird laut, es sei sinnlos, sich darüber zu unterhalte­n. Seine Frau steigt aus dem Auto, sie hört kurz zu, dann ruft sie: „Immer mehr solche Kanaken kommen rein.“Das Paar schiebt das Tor zu.

Viel ist geschriebe­n worden über den Aufstieg der AfD. Fast immer ist die Partei auf dem Land stärker als in der Stadt. Fast immer im Osten stärker als im Westen. Mehr die Männer als die Frauen.

In Paska listet eine ältere Frau andere Fakten auf. Der Bus komme nur noch zweimal in der Woche, mittwochs und freitags. Zu DDRZeiten habe es ein Geschäft gegeben, jetzt komme nicht einmal mehr der Bäckerwage­n. Die Frau möchte ihren Namen nicht nennen. Aber sie erzählt von ihrem Leben in Paska. „Ich ernähre mich vegetarisc­h“, sagt sie. Und morgens mache sie sich einen Smoothie. Im Garten ernte sie Kartoffeln, Möhren, Rettich, Tomaten. Damit komme sie über die Runden. Sie habe viele Jahre als Hausfrau gearbeitet, kein Geld verdient. „Nur von der Rente könnte ich nicht leben.“

Ihr Garten ist ihr Hobby. Aber genauso auch ihre Existenz. Vieles, was die Frau beschreibt, ähnelt den Erzählunge­n der anderen Menschen im ostthüring­ischen Paska. Aber etwas unterschei­det sich in ihren Worten. Sie gibt den Fremden nicht die Schuld: „Die Migranten haben mir meine Rente nicht weggenomme­n. Die war vorher schon klein.“

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FOTOS: SASCHA FROMM In der Gemeinde Paska im SaaleOrla-Kreis wohnen 107 Menschen. 59 von ihnen haben am Sonntag gewählt, fast zwei Drittel davon die AfD. Ein Bus kommt nur noch zwei Mal pro Woche in den Ort.
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