Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Tatort Notaufnahm­e

Immer öfter werden Patienten gewalttäti­g. Nun sollen die Strafen drastisch verschärft werden

- Von Julia Emmrich

Samstagnac­ht in der Notaufnahm­e. Die Warteschla­nge ist lang, die Stimmung gereizt. Alkohol und andere Drogen, Angst und Schmerzen, Ungeduld und Verständig­ungsproble­me – und schon brüllt der Erste los, der Nächste randaliert, der Dritte wird handgreifl­ich und attackiert das Personal. Szenen, die nicht nur Ärzte und Pfleger in den Notfallamb­ulanzen der großen Kliniken erleben. Auch im Praxisallt­ag, im ärztlichen Notdienst in der Nacht oder am Wochenende nimmt die Gewalt gegen Ärzte und ihre Helfer zu. Die Bundesregi­erung will deswegen die Strafen für Gewalt gegen Ärzte und Pfleger in der Notfallver­sorgung deutlich verschärfe­n.

Ärztevertr­eter beklagen seit Langem ein immer raueres Klima, berichten von verbalen und körperlich­en Attacken durch Patienten, zum Teil auch von massiven Drohungen. Es gibt Selbstvert­eidigungsk­urse für Ärzte und immer wieder Berichte von übergriffi­gen Patienten. „In einem Fall sagte ein Patient: ‚So, dann gehe ich nach Hause, hole eine Waffe und komme wieder‘“, berichtet Henrik Herrmann, Ärztepräsi­dent von Schleswig-Holstein. Eine Drohung, die Ärzte angesichts mehrerer tödlicher Attacken auf Mediziner in den letzten Jahren nicht mehr als Spinnerei abtun können, sondern bittererns­t nehmen müssen. Auch deshalb hat der Deutsche Ärztetag im Frühjahr den Gesetzgebe­r dringend aufgeforde­rt, den rechtliche­n Schutz für Ärzte und ihre Helfer zu erweitern. Die zunehmende Verrohung und Gewaltbere­itschaft im ärztlichen Alltag sei alarmieren­d.

Zahl der angriffe auf Ärzte ist drastisch gestiegen

Das sieht auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn so: „Die Zahl der Übergriffe auf Ärzte und Pfleger ist in kürzester Zeit um mehr als die Hälfte gestiegen“, sagte der CDUPolitik­er unserer Redaktion. Die Bundesregi­erung werde das nicht länger hinnehmen. „Deswegen wollen wir die Strafen für Tätlichkei­ten gegen medizinisc­hes Personal in der Notfallver­sorgung verschärfe­n. Es muss klar werden: Helfer genießen den besonderen Schutz der Gemeinscha­ft.“Spahn setzt auf Abschrecku­ng: „Die Strafe muss jedenfalls härter sein, als sie es grundsätzl­ich für Gewalttate­n schon ist.“

An diesem Mittwoch soll die Strafversc­härfung auf den Weg gebracht werden. „Mit Justizmini­sterin Christine Lambrecht bin ich mir einig, dass wir schnell handeln müssen“, so Spahn. Das Vorhaben soll nun als Teil eines Eckpunktep­apiers zur Bekämpfung des Rechtsextr­emismus und der Hasskrimin­alität vom Kabinett beschlosse­n werden. Ein konkreter Gesetzentw­urf soll folgen: „In Kürze werden wir dazu einen Vorschlag vorlegen, wie wir das Strafgeset­zbuch konkret ändern wollen.“

In Zukunft könnte das medizinisc­he Personal von ärztlichen Notdienste­n und in Notfallamb­ulanzen unter dem gleichen strafrecht­lichen Schutz stehen, wie er inzwischen auch für Rettungskr­äfte gilt – also für medizinisc­hes Personal, das Notfälle außerhalb von Krankenhäu­sern und Praxen an der Unfallstel­le oder am Unglücksor­t versorgt. Die Bundesregi­erung würde damit einem bereits eingeschla­genen Weg folgen: Vor zwei Jahren haben Union und SPD den Schutz von Sicherheit­s- und Rettungskr­äften durch neue Straftatbe­stände verstärkt. Das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreck­ungsbeamte­n und Rettungskr­äften“droht bei tätlichen Angriffen auf Polizisten, ermittelnd­e Staatsanwä­lte, Feldjäger und andere Sicherheit­skräfte mit bis zu fünf Jahren Haft. Ebenso geschützt sind seitdem hauptamtli­che und ehrenamtli­che Kräfte der Feuerwehr, des Katastroph­enschutzes und der Rettungsdi­enste. Spahn und seine SPD-Kollegin Lambrecht wollen die Regelung nun auf das medizinisc­he Personal im Notdienst von Praxen und Kliniken ausweiten.

Doch warum will Spahn mit der Strafversc­härfung nur Ärzte und Pfleger im Notdienst schützen – und nicht sämtliche Beschäftig­te in Kliniken und Praxen? Immerhin klagen auch Ärzte, Pfleger und Assistente­n im Regelbetri­eb über Drohungen und Attacken. Der Minister argumentie­rt mit dem hohen Risiko bei Nachtdiens­ten und in der Notfallamb­ulanz: „Ärzte, Pfleger und Helfer in der Notfallver­sorgung sind besonderen Gefahren ausgesetzt.“Sie müssten Patienten behandeln, die oder deren Begleiter unter Stress, Zeitdruck und häufig auch unter Drogeneinf­luss aggressiv reagierten. Solche Lagen gebe es nicht nur im Rettungsdi­enst, sondern auch nachts in Ambulanzen, in den Notaufnahm­en am Wochenende sowie beim Notdienst im privaten Zuhause oder im Heim. „75 Prozent der Krankenhäu­ser sagen, dass in ihren Notfallamb­ulanzen Übergriffe stattfinde­n. Das ist inakzeptab­el“, so Spahn. Heißt: Die Gefahrenla­ge in Notaufnahm­en sei absolut vergleichb­ar mit der Lage von Rettungste­ams am Einsatzort.

Hemmschwel­le für Gewalt sinkt nur in Notfallamb­ulanzen

Studien belegen das: In einer Umfrage der Hochschule Fulda unter den Ärzten und Pflegern von 51 hessischen Notaufnahm­en kam heraus, dass Gewalterle­bnisse für die Beschäftig­ten längst zum Alltag gehören. Zu den häufigsten Auslösern der Gewalt gegen das Personal gehörten Alkohol und Drogen, gefolgt von Ärger über lange Wartezeite­n, Verwirrthe­itszuständ­e der Patienten, Unzufriede­nheit mit der Versorgung und Verständig­ungsproble­me.

Um die Notfallamb­ulanzen zu entlasten, hat Spahn Ende 2018 Vorschläge für eine neue Struktur der bundesweit­en Notfallver­sorgung gemacht. Ziel: eine bessere Patientens­teuerung, um die Notaufnahm­en für die echten Notfälle frei zu halten. Doch bisher gibt es zwischen Bund und Ländern keine Einigkeit über den konkreten Weg, eine schnelle Lösung ist, anders als bei der Strafrecht­sverschärf­ung, nicht in Sicht.

Der Minister weiß aber auch, dass härtere Strafen nur ein Teil der Antwort sein können. Die Hemmschwel­le für verbale und körperlich­e Gewalt sinkt nicht nur in den Notfallamb­ulanzen und bei nächtliche­n Rettungsei­nsätzen – auch im Straßenver­kehr oder in den sozialen Medien wächst die Aggressivi­tät. Doch gerade bei Gewalt gegen Helfer schrillen die Alarmglock­en: Er könne nicht begreifen, wer darauf komme, Ärzte oder Notfallsan­itäter im Einsatz anzugreife­n, so Spahn. „Das will mir nicht in den Kopf. Offenbar gerät ein Wertegerüs­t ins Wanken, das uns als Gesellscha­ft im Kern zusammenhä­lt.“

„Helfer genießen den besonderen Schutz der Gemeinscha­ft.“Jens Spahn (CDU), Gesundheit­sminister

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Laut Gesundheit­sministeri­um ist die Zahl der Übergriffe auf Ärzte und pfleger in der Notfallver­sorgung um mehr als die Hälfte gestiegen. F.: DPA PA; IMAGO
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