Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Tatort Notaufnahme
Immer öfter werden Patienten gewalttätig. Nun sollen die Strafen drastisch verschärft werden
Samstagnacht in der Notaufnahme. Die Warteschlange ist lang, die Stimmung gereizt. Alkohol und andere Drogen, Angst und Schmerzen, Ungeduld und Verständigungsprobleme – und schon brüllt der Erste los, der Nächste randaliert, der Dritte wird handgreiflich und attackiert das Personal. Szenen, die nicht nur Ärzte und Pfleger in den Notfallambulanzen der großen Kliniken erleben. Auch im Praxisalltag, im ärztlichen Notdienst in der Nacht oder am Wochenende nimmt die Gewalt gegen Ärzte und ihre Helfer zu. Die Bundesregierung will deswegen die Strafen für Gewalt gegen Ärzte und Pfleger in der Notfallversorgung deutlich verschärfen.
Ärztevertreter beklagen seit Langem ein immer raueres Klima, berichten von verbalen und körperlichen Attacken durch Patienten, zum Teil auch von massiven Drohungen. Es gibt Selbstverteidigungskurse für Ärzte und immer wieder Berichte von übergriffigen Patienten. „In einem Fall sagte ein Patient: ‚So, dann gehe ich nach Hause, hole eine Waffe und komme wieder‘“, berichtet Henrik Herrmann, Ärztepräsident von Schleswig-Holstein. Eine Drohung, die Ärzte angesichts mehrerer tödlicher Attacken auf Mediziner in den letzten Jahren nicht mehr als Spinnerei abtun können, sondern bitterernst nehmen müssen. Auch deshalb hat der Deutsche Ärztetag im Frühjahr den Gesetzgeber dringend aufgefordert, den rechtlichen Schutz für Ärzte und ihre Helfer zu erweitern. Die zunehmende Verrohung und Gewaltbereitschaft im ärztlichen Alltag sei alarmierend.
Zahl der angriffe auf Ärzte ist drastisch gestiegen
Das sieht auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn so: „Die Zahl der Übergriffe auf Ärzte und Pfleger ist in kürzester Zeit um mehr als die Hälfte gestiegen“, sagte der CDUPolitiker unserer Redaktion. Die Bundesregierung werde das nicht länger hinnehmen. „Deswegen wollen wir die Strafen für Tätlichkeiten gegen medizinisches Personal in der Notfallversorgung verschärfen. Es muss klar werden: Helfer genießen den besonderen Schutz der Gemeinschaft.“Spahn setzt auf Abschreckung: „Die Strafe muss jedenfalls härter sein, als sie es grundsätzlich für Gewalttaten schon ist.“
An diesem Mittwoch soll die Strafverschärfung auf den Weg gebracht werden. „Mit Justizministerin Christine Lambrecht bin ich mir einig, dass wir schnell handeln müssen“, so Spahn. Das Vorhaben soll nun als Teil eines Eckpunktepapiers zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom Kabinett beschlossen werden. Ein konkreter Gesetzentwurf soll folgen: „In Kürze werden wir dazu einen Vorschlag vorlegen, wie wir das Strafgesetzbuch konkret ändern wollen.“
In Zukunft könnte das medizinische Personal von ärztlichen Notdiensten und in Notfallambulanzen unter dem gleichen strafrechtlichen Schutz stehen, wie er inzwischen auch für Rettungskräfte gilt – also für medizinisches Personal, das Notfälle außerhalb von Krankenhäusern und Praxen an der Unfallstelle oder am Unglücksort versorgt. Die Bundesregierung würde damit einem bereits eingeschlagenen Weg folgen: Vor zwei Jahren haben Union und SPD den Schutz von Sicherheits- und Rettungskräften durch neue Straftatbestände verstärkt. Das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“droht bei tätlichen Angriffen auf Polizisten, ermittelnde Staatsanwälte, Feldjäger und andere Sicherheitskräfte mit bis zu fünf Jahren Haft. Ebenso geschützt sind seitdem hauptamtliche und ehrenamtliche Kräfte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste. Spahn und seine SPD-Kollegin Lambrecht wollen die Regelung nun auf das medizinische Personal im Notdienst von Praxen und Kliniken ausweiten.
Doch warum will Spahn mit der Strafverschärfung nur Ärzte und Pfleger im Notdienst schützen – und nicht sämtliche Beschäftigte in Kliniken und Praxen? Immerhin klagen auch Ärzte, Pfleger und Assistenten im Regelbetrieb über Drohungen und Attacken. Der Minister argumentiert mit dem hohen Risiko bei Nachtdiensten und in der Notfallambulanz: „Ärzte, Pfleger und Helfer in der Notfallversorgung sind besonderen Gefahren ausgesetzt.“Sie müssten Patienten behandeln, die oder deren Begleiter unter Stress, Zeitdruck und häufig auch unter Drogeneinfluss aggressiv reagierten. Solche Lagen gebe es nicht nur im Rettungsdienst, sondern auch nachts in Ambulanzen, in den Notaufnahmen am Wochenende sowie beim Notdienst im privaten Zuhause oder im Heim. „75 Prozent der Krankenhäuser sagen, dass in ihren Notfallambulanzen Übergriffe stattfinden. Das ist inakzeptabel“, so Spahn. Heißt: Die Gefahrenlage in Notaufnahmen sei absolut vergleichbar mit der Lage von Rettungsteams am Einsatzort.
Hemmschwelle für Gewalt sinkt nur in Notfallambulanzen
Studien belegen das: In einer Umfrage der Hochschule Fulda unter den Ärzten und Pflegern von 51 hessischen Notaufnahmen kam heraus, dass Gewalterlebnisse für die Beschäftigten längst zum Alltag gehören. Zu den häufigsten Auslösern der Gewalt gegen das Personal gehörten Alkohol und Drogen, gefolgt von Ärger über lange Wartezeiten, Verwirrtheitszustände der Patienten, Unzufriedenheit mit der Versorgung und Verständigungsprobleme.
Um die Notfallambulanzen zu entlasten, hat Spahn Ende 2018 Vorschläge für eine neue Struktur der bundesweiten Notfallversorgung gemacht. Ziel: eine bessere Patientensteuerung, um die Notaufnahmen für die echten Notfälle frei zu halten. Doch bisher gibt es zwischen Bund und Ländern keine Einigkeit über den konkreten Weg, eine schnelle Lösung ist, anders als bei der Strafrechtsverschärfung, nicht in Sicht.
Der Minister weiß aber auch, dass härtere Strafen nur ein Teil der Antwort sein können. Die Hemmschwelle für verbale und körperliche Gewalt sinkt nicht nur in den Notfallambulanzen und bei nächtlichen Rettungseinsätzen – auch im Straßenverkehr oder in den sozialen Medien wächst die Aggressivität. Doch gerade bei Gewalt gegen Helfer schrillen die Alarmglocken: Er könne nicht begreifen, wer darauf komme, Ärzte oder Notfallsanitäter im Einsatz anzugreifen, so Spahn. „Das will mir nicht in den Kopf. Offenbar gerät ein Wertegerüst ins Wanken, das uns als Gesellschaft im Kern zusammenhält.“
„Helfer genießen den besonderen Schutz der Gemeinschaft.“Jens Spahn (CDU), Gesundheitsminister