Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Unerhörtes von gestern und heute
Die 32. Tage Neuer Musik stellen Bezüge zur DDR-Zeit und zum Bauhaus her. Heute steigt das Eröffnungskonzert
Ein Kaleidoskop der Klangkunst fächern die 32. Tage Neuer Musik in Weimar auf. Vom heutigen Mittwoch an präsentiert Michael von Hintzenstern, der Festivalgründer und -leiter, bis Samstag fünf Konzerte binnen vier Tagen unter dem Motto „Kontraste – Positionen“. Mindestens mit dem MinguetQuartett hat er ein Weltklasse-Ensemble zu Gast.
Der Organist und Komponist Hintzenstern schaut in diesem gedenkmächtigen, an Jubiläen trächtigen Jahr auch zurück auf Neutöner früherer Zeiten. Gleich im heutigen Eröffnungskonzert im „Mon Ami“widmet sich der Pianist Frank Gutschmidt der Klaviermusik ostdeutscher Komponisten und hat zwei Stücke parat, die ihrerseits an historische Ereignisse erinnern: Paul Dessaus „Guernica“(1937), das, von Picassos Gemälde inspiriert, die Opfer des verheerenden deutschen Luftangriffs auf die Stadt Guernica im spanischen Bürgerkrieg ehrt, und Christfried Schmidts Canto funebre (2015), ein wortloser Trauergesang auf den Hitler-Attentäter Georg Elser. Daneben sind unter anderem Werke von Friedrich Goldmann (1941–2009) und Georg Katzer (1935–2019) zu hören.
Der zweite Rückblick gilt morgen den „Bauhaus-Impulsen“. Dann unternehmen Hintzenstern mit seinem Ensemble für Intuitive Musik (EfIM) und Hans Tutschku, der inzwischen in Boston, USA, lehrt, synästhetische Reisen in die BauhausWelt: So wie sich Kandinsky, Schmidt oder Klee damals von Musik zu ihrer Malerei anregen ließen, vollziehen sie es umgekehrt. Dazwischen entführt das heutige Nachtkonzert (ab 21.30 Uhr) ins Studio für elektroakustische Musik (SeaM) in der Coudraystraße und lockt in räumlich erfahrbare Klanglandschaften.
Bei alldem schwingt ein Stück eigener Geschichte mit. Die Rückbindung der Musik-Pioniere ans Bauhaus – wo auch die ersten Experimente mit Klangapparaten stattfanden – und an die DDR-Musik mag kaum verwundern. Dass das SeaM letztlich beim Klangschaffen Stockhausens anschließt, wissen zumindest Eingeweihte. Mit ihm war Hintzenstern befreundet; zu dessen 60. Geburtstag gründete er 1988 die „Tage Neuer Musik“im Schutzraum der Denstedter Kirche.
Den Höhepunkt des Festivals bildet am Freitag der Auftritt des Minguet-Quartetts, das sonst in den berühmten Konzertsälen der Welt zu Hause ist, in klassischer Besetzung, während tags darauf das Ensemble Imaginäre Musik einen heiteren Kontrapunkt setzt; das Berliner Quintett traktiert selbstgebaute Instrumente – den Reiz des Verbotenen – wie zu DDR-Zeiten – hat die Neue Musik verloren; die Lust am Unerhörten jedoch nicht.