Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Mit SMS in den Tod getrieben?
Prozess: Eine Frau soll ihren Freund „psychisch, physisch und verbal“missbraucht haben
Weil sie ihren amerikanischen Freund mit Hunderten Textmitteilungen per Handy in den Selbstmord getrieben haben soll, muss sich eine 21-jährige Südkoreanerin demnächst wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten.
Wie Bostons Bezirksstaatsanwältin Rachael Rollins vor Journalisten erklärte, hat die 21-jährige Inyoung You ihren ein Jahr älteren Freund Alexander Urtula während einer 18-monatigen Beziehung so massiv unter Druck gesetzt, dass der Biologie-Absolvent des Boston College im Bundesstaat Massachusetts am Morgen des 20. Mai vor der Abschlussfeier von einem Parkte haus der Universität in den Tod sprang.
You, die in Boston an der gleichen Uni Wirtschaft studiert und 2020 ihren Abschluss machen soll, hält sich zurzeit in Südkorea auf. Die US-Behörden hoffen auf eine freiwillige Rückkehr der Angeklagten. Andernfalls werde ein Auslieferungsantrag gestellt, verlautete aus Justizkreisen. Sie soll die Verzweiflungstat ihres Freundes, dessen Eltern zur Abschlussfeier aus New Jersey angereist waren, mitangesehen haben. Sie ortete Urtula kurz zuvor per Handy. Über die Motive der jungen Frau gab die Anklagebehörde bisher keine Auskunft. Nur so viel: You bedeutete Urtula offenbar in regelmäßigen Abständen, dass sie selbst, seine Eltern und die Welt an sich besser dran wären ohne ihn.
Dass sie Urtula „psychisch, physisch und verbal“missbraucht habe, sei durch Aussagen von Familienmitgliedern und Mitstudenten belegt, sagte die Staatsanwaltschaft. Wie Rollins zur Überraschung der Medienvertreter bei der Anklageerhebung berichtete, tauschte das Paar in den acht Wochen vor dem Freitod sage und schreibe 75.000 Textmitteilungen aus. Das macht täglich im Schnitt mehr als 1000 SMS. Wobei der größere Teil – 47.000 Mitteilungen – von You ausging.
Urtulas Schicksal ist nicht der ersFall eines sogenannten SMS-Suizids. Im Juli 2014 vergiftet sich der damals 18 Jahre alte Conrad Roy, indem er Autoabgase in seinen Geländewagen leitete – ebenfalls in Massachusetts. Zuvor hatte ihn seine Freundin Michelle Carter, damals 17 Jahre, die er über ein Online-Portal kennengelernt hatte, über Wochen durch Textnachrichten und Anrufe ermuntert, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Unterdessen hat das Parlament in Massachusetts einen Gesetzentwurf in Arbeit („Conrads Law“, benannt nach Conrad Roy), der eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren für jeden vorsieht, der einen anderen Menschen in den Suizid treibt.