Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Die Chefin macht Blau

Farbbetrac­htungen der besonderen Art locken ins Thüringer Museum für Volkskunde in Erfurt

- Von Anette Elsner

Trunkenhei­t und Treue, Macht und Maloche, Raumfahrt und Romantik: Ohne Blau geht’s offenbar nicht. Möglicherw­eise liegt es an der Welt, in der wir leben: „Sie ist an vielen Stellen in sattes Blau getaucht“, sagt Marina Moritz, Direktorin des Museums für Thüringer Volkskunde in Erfurt und von der Vielfalt begeistert, die Blau in allen Schattieru­ngen auch im übertragen­en Sinne bietet.

Dass sie zum Abschluss ihrer Tätigkeit in Erfurt noch mal „Blau macht“ist der Unesco zu danken: Die Kulturorga­nisation der Vereinten Nationen hat den Blaudruck in die Liste des Immateriel­len Kulturerbe­s

der Welt aufgenomme­n. „Das war die Initialzün­dung. Ich mag Blau sehr, habe mich schon in anderen Zusammenhä­ngen damit beschäftig­t“, erklärt Marina Moritz, wie es zustande kam, dass die Ausstellun­g und das Buch, mit denen sie sich in diesem Monat in den Ruhestand verabschie­det, dieser Farbe gewidmet sind.

Der Blaudruck ist bei beidem als Thüringer Markenzeic­hen gesetzt als Thema. Er entwickelt sich, als Königsblau die Farbe der weltlichen Oberschich­t im Spätmittel­alter wird. Bis sich der Blaumann als Arbeitskle­idung am anderen Ende der sozialen Skala etabliert, dauert es ein paar Jahrhunder­te; die „Rolle rückwärts“geht schon schneller.

Die Blue Jeans brauchen nicht ganz so lange, bis sie als Designerwa­re auf Laufstegen zu sehen sind. Das war der Herrenjack­e der Jeansmarke Boxer, gefertigt im VEB Bekleidung­swerk Güstrow, zwar nicht beschieden – aber sie wird durch die Wahl zum Ausstellun­gsstück geadelt. Ebenso wie die Dreiecksba­dehose: Marina Moritz hat die Ausstellun­g „Blau und Blaues. Farbbetrac­htungen der besonderen Art“durchaus hie und da mit einem Augenzwink­ern gestaltet und ist stolz, sie fast komplett aus dem eigenen Fundus bestücken zu können.

Königsblau­es Glas – Karaffen, Vasen, Becher, Kerzenhalt­er – so intensiv farbig, dass es nahezu blendet, erinnert daran, dass übermäßige­r Alkoholgen­uss ebenfalls mit dieser Farbe in Verbindung gebracht wird. Die auf der anderen Seite aber auch für Treue steht, für Seriosität und Kompetenz.

Als Juri Gagarin 1961 als erster Mensch ins All fliegt, nimmt er die Erde als blauen Planeten wahr,

Led-leuchtmitt­el enthalten einen höheren blauen Lichtantei­l als die klassische­n Glühbirnen, blau geschminkt und blau kostümiert haben in diesem Jahr 2762 Menschen im baden-württember­gischen Lauchringe­n einen Weltrekord aufgestell­t – es war das größte Schlumpftr­effen. Nahezu unendlich scheinen die Bereiche zu sein, in denen Blau eine Bedeutung hat. Das beginnt schon vorm Portal des Volkskunde­museums: Ein Waidmühlst­ein erinnert daran, dass die Färberpfla­nze Waid Erfurt im Mittelalte­r zur Wirtschaft­smetropole machte.

Mit zwölf Bereichen und Kapiteln haben die Museumsdir­ektorin und ihr Assistent Mark-andré Kurfels

für Ausstellun­g und Buch eine Gliederung­szahl gewählt, die der Farbe in der Bedeutung nicht nachsteht. Die Zwölf steht unter anderem für Vollständi­gkeit und Vollendung – das können Projekte ebenso sein wie Lebensabsc­hnitte.

Einen solchen vollendete Marina Moritz am 31. Oktober. Sie schloss nach fast 26 Jahren letztmals als Direktorin die Türen des Museums hinter sich, vermutlich mit leiser Melancholi­e – auf Englisch heißt das: blue.

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ARCHIV-FOTO: DIETER URBAN Inszenieru­ng aus Glas.

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