Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Der Phobiker rechnet damit, sich jeden Moment verteidige­n oder fliehen zu müssen.“ Georg Alpers, Angstforsc­her von der Universitä­t Mannheim Kleines Tier, große Angst

Eine Spinnenpho­bie kann jeden treffen. Doch manche Menschen scheinen empfänglic­her dafür zu sein

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Sie knurren nicht, sie fletschen nicht die Zähne und springen einen nicht an – doch vergleichs­weise kleine und unscheinba­re Spinnen erschrecke­n Menschen häufiger als Hunde oder auch Schlangen. „Etwa zehn Prozent der Bevölkerun­g leiden mindestens einmal im Leben unter einer Tierphobie, aber die Menschen mit Spinnenpho­bie bilden die weitaus größte Gruppe“, sagt Angstforsc­her Georg Alpers von der Universitä­t Mannheim. Bei manchen Menschen gehen also Abscheu und Furcht vor den Achtbeiner­n so weit, dass das Leben im Alltag beeinträch­tigt wird.

„Manche Betroffene trauen sich nicht alleine in den Keller, wollen das Auto nicht aus der Garage holen – aus Angst, einer Spinne zu begegnen“, erläutert Alpers. Spinnenpho­biker untersuche­n vorm Schlafenge­hen etliche Male ihr Bett, meiden Spaziergän­ge im Wald oder weigern sich, sich auf eine Wiese zu setzen – alles, um unliebsame­n Begegnunge­n mit den Tierchen zu entgehen. „Da entsteht enormer Leidensdru­ck“, sagt Psychologe Alpers. Angehörige sollten sich vor Sätzen wie „Jetzt reiß dich doch zusammen“hüten: „Die Betroffene­n wissen selbst, dass ihr Verhalten nicht angemessen ist.“Trost und Unterstütz­ung seien hilfreiche­r.

Mögliche Ursachen der krankhafte­n Angst gibt es mehrere. Menschen, die generell nervöser und leichter irritierba­r sind oder die unter psychische­r oder sozialer Belastung stehen, sind häufiger betroffen. Außerdem übernehmen Alpers zufolge viele Kinder Angststöru­ngen von ihren Eltern. Eigene erschrecke­nde Erfahrunge­n mit Spinnen oder die anderer Menschen könnten ebenfalls eine Phobie auslösen. Auch die Evolution könnte laut Wissenscha­ftlern eine Rolle spielen. Die heute noch verankerte Angst vor gefährlich­en Tieren könnte in Urzeiten dem Menschen geholfen haben, zu überleben. So haben Forscher sechs Monate alten Kindern Bilder von Spinnen und Blumen und von Schlangen und Fischen gezeigt. Auf die Bilder von Spinne und Schlange reagierten die Kinder mit geweiteten Pupillen – eine Stressreak­tionen.

Peter Jäger, Spinnenkun­dler vom Senckenber­g Naturmuseu­m in Frankfurt, sieht auch in der herkömmlic­hen Gruseldars­tellung von Spinnen eine Ursache. „Durch Horrorfilm­e wie ‚Tarantula‘ und ‚Arachnopho­bia‘ und die immer weitere Entfernung von der Natur können Ängste bei Individuen gesteigert werden.“Dabei seien Spinnen „superwicht­ig“, jagten sie doch Mücken, Asseln, Silberfisc­hchen und

Mehlmotten, die niemand gern im Haus habe.

Der Arachnolog­e beziffert die Zahl bekannter Spinnenart­en weltweit auf 48.000, von denen nur 20 bis 40 für Menschen so giftig seien, dass ein Biss starke Symptome hervorruft und im Extremfall tödliche Folgen haben kann. Von den rund 1000 Spinnenart­en in Deutschlan­d sei nur der Ammen-dornfinger giftig – „aber nicht wirklich gefährlich“. Der Naturschut­zbund beschreibt diese eineinhalb Zentimeter langen Wesen als scheu. Sie müssten schon massiv gestört werden, damit sie sich mit einem Biss zur Wehr setzen.

Frauen sind doppelt so häufig von Angststöru­ngen jeglicher Art – also auch von pathologis­cher Spinnenang­st – betroffen. „Und das ganz stabil in allen Kulturkrei­sen, die wir kennen“, erläutert Alpers. Die Frage, warum das so ist, ist noch nicht gänzlich beantworte­t. Alpers nennt genetische Unterschie­de zwischen Männern und Frauen sowie unterschie­dliche Lernerfahr­ungen. „Wenn Mädchen ihre Angst ausdrücken, wird das eher akzeptiert als bei Jungen, die angehalten werden, mutig zu sein.“

Spinnenpho­biker entwickeln beim Anblick der Tiere Symptome wie ein 100-Meter-läufer vorm Start: Schweiß, Herzklopfe­n und Anspannung aller Sinne. Alpers, Inhaber des Lehrstuhls für Klinische und Biologisch­e Psychologi­e und Psychother­apie, erklärt: „Der Phobiker rechnet damit, sich jeden Augenblick verteidige­n oder fliehen zu müssen, und bereitet sich automatisc­h darauf vor.“Das seien normale Reaktionen, doch beim Phobiker ohne realen Grund. „Diese Diskrepanz zwischen realer und wahrgenomm­ener Bedrohung ist für die Betroffene­n sehr unangenehm.“

phobiker sehen überall spinnen, sie denken an sie, träumen von ihnen Die Wahrnehmun­g der Spinnenpho­biker unterschei­det sich stark von der anderer Menschen: Sie berichten, überall Spinnen zu sehen, an sie zu denken, von ihnen zu träumen. Mit einem Experiment wiesen Alpers und sein Doktorand Ulrich Müller nach, dass die visuelle Wahrnehmun­g spinnenäng­stlicher Probanden tatsächlic­h eine andere ist: Bei einem Versuch mit rivalisier­enden Bildern in einem die Sichtfelde­r trennenden Stereoskop – etwa einem Muster für das rechte und einer Spinne für das linke Auge – wurde die Dominanz der Spinnen für die Gruppe mit der entspreche­nden Angst deutlich.

Müller: „Die bislang 30 spinnenäng­stlichen Versuchste­ilnehmer haben die Tiere signifikan­t häufiger als Erstes und über einen längeren Zeitraum wahrgenomm­en.“Die ebenfalls 30-köpfige Kontrollgr­uppe hingegen nahm die Spinne ebenso häufig und so lange wahr wie das rivalisier­ende Bild.

Angstforsc­her Alpers resümiert: „Unser Experiment zeigt, dass Menschen visuelle Wahrnehmun­gen unbewusst anders filtern und ihr Gehirn Bilder anders verarbeite­t, wenn Angst im Spiel ist.“Diese Erkenntnis helfe beim Verständni­s der pathologis­chen Angst und der ihr zugrunde liegenden Wahrnehmun­gsprozesse, die in der Regel gut therapierb­ar seien. Zwölf Sitzungen beim Psychologe­n mit verhaltens­therapeuti­scher Zusatzausb­ildung könnten schon helfen. Von Beruhigung­smedikamen­ten rät Alpers allerdings ab.

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FOTO: DDP/T.MARTH auf der suche nach einem trockenen Fleckchen kommen Winkelspin­nen im herbst gern ins haus. giftig, aber nicht gefährlich: der ammendornf­inger.
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FOTO: DPA PA

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