Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Protokoll des Grauens nach dem Tod einer Rentnerin in Jena-winzerla
Rechtsmedizinerin stellt das Sektionsgutachten vor. Befangenheitsantrag gegen Strafkammer
Die Direktorin der Rechtsmedizin Jena, Gita Mall, hat am Freitag am Landgericht Gera ihr Sektionsgutachten im Mordfall Jena-winzerla vorgestellt. Das Opfer, eine 87jährige Rentnerin, hat qualvolle Minuten vorm Tod erlebt.
Die Frau sei für ihr Alter sehr fit gewesen. Als Todesursache machte die Professorin das Ersticken wegen einer Einengung der Atemwege aus. Zudem stellte sie den Bruch von Halswirbeln, zehn Rippen und des Kiefers fest. Nicht todesursächlich war eine Stichverletzung. Unklar ist, welche Verletzungen zu Lebzeiten entstanden sind und welche beim Transport der Leiche. Die 1,57 Meter große Frau war in eine kofferartige Reisetasche gequetscht worden. Brüche und auch stumpfe Verletzungen könnten aus dem Wuchten über Treppenstufen resultieren, sagte Mall auf Nachfrage der Verteidigerin Stefanie Biewald.
Die Familie hatte nach Aufgabe der Vermisstenanzeige am Freitag, 11. Januar 2019, per Zufall in der Nacht zum 12. Januar erfahren, dass die Polizei die tote Großmutter gefunden hat. Die Enkeltochter rief in der Dienststelle an und gab den Tipp, dass die Einsatzkräfte doch auch die Müllcontainer nach der Handtasche der Oma durchsuchen sollten. Da habe der Beamte gesagt „Sie wissen es wohl noch gar nicht?“und über die Leiche im Keller informiert. In einem Container entdeckte die Polizei später tatsächlich Gegenstände der Frau.
Frau war selbst als Kriegsflüchtling nach Jena gekommen
„Meine Mutter war trotz ihrer Körpergröße eine starke, hilfsbereite Frau, die nicht verschwenderisch lebte“, sagte die Tochter. Ihre Mutter sei in Pflegefamilien und im Heim aufgewachsen. Im Krieg sei sie aus Polen nach Jena geflüchtet. Sie habe Köchin gelernt und sei dem Beruf stets treu geblieben. Hochbetagt ging sie noch in einem Jenaer Restaurant arbeiten – trotz guter Rente, wie die Tochter sagte. Ihr Motto sei gewesen: Wer rastet, der rostet.
Offensichtlich war sich die Rentnerin trotz ihres hohen Alters nicht zu schade, regelmäßig die Wohnung ihrer Tochter zu putzen, die Wäsche zu sich zu holen, zu waschen und zu bügeln. Über Jahre zahlte sie einen Kredit wegen eines gescheiterten Immobiliengeschäfts ihrer Tochter über 30.000 Euro ab, finanzierte ihr eine Urlaubsreise und half auch der Enkeltochter mit 1000 Euro aus der Patsche, als deren Konto überzogen war. Seit einiger Zeit bis zum Tod verwaltete sie die Bankkarte ihrer Tochter, der sie monatlich nur 400 Euro von deren Konto zuteilte, damit sie nicht wieder in die Schulden rutscht.
Ob ihre Mutter den Angeklagten finanziell unterstützt habe, wisse sie nicht, sagte die Tochter, die wie ihr Bruder als Nebenkläger im Prozess auftritt. Der junge, hilfsbereite Nachbar habe ihrer Mutter beim Tragen von Einkäufen geholfen, sich Kochzutaten geborgt und angeboten, afghanisch für ihre Mutter und eine weitere Nachbarin zu kochen.
Der Angeklagte steht laut Staatsanwaltschaft im Verdacht, einen Überweisungsträger manipuliert zu haben, um 7000 Euro vom Konto des Enkels der getöteten Rentnerin zu erlangen. Eine Bankmitarbeiterin hatte die falsche Unterschrift entdeckt und daraufhin die Tochter informiert. Bei einem Gespräch mit einer Nachbarin ihrer Mutter kam auch die Sprache auf den gefälschten Überweisungsträger. Das habe der nun Angeklagte auch bei ihr versucht, habe die Nachbarin gesagt. Sie konfrontierte den jungen Mann auf dem Flur mit der Frage, was er mit der Nachbarin gemacht habe. „Nix, nix, nix. Ich habe sie gestern noch gesehen“, habe jener geantwortet und angeboten, in seinem Appartement nachzuschauen.
Für die Wohnung der Rentnerin waren sechs Schlüssel im Umlauf. Neben Familienmitgliedern verfügten auch eine Nachbarin und eine Bekannte über einen. Unglücklich war die Großmutter mit dem Freund ihrer Enkeltochter, der keine Arbeit hatte und ihr ein Dorn im Auge war. Die Enkelin war es auch, die größere Mengen Kontoauszüge und Versicherungsunterlagen nach dem Verschwinden der Oma aus der Wohnung mitnahm. Einer der ersten Kriminalpolizisten vor Ort hatte das erlaubt. Innerhalb der Familie war es daraufhin zu kritischen Nachfragen gekommen. Gewisses
Erstaunen im Gerichtssaal löste aus, dass die Tochter und die Enkelin am Nachmittag des Verschwindens der Oma einen Wäschetrockner auf Ratenzahlung kauften und eine Woche später doch komplett bezahlten. Die Bankberaterin habe dazu geraten, weil sie sich dies doch leisten könne, sagte die Tochter.
Befangenheitsantrag gegen erste Strafkammer gestellt
Der Angeklagte verfolgt den Prozess aufmerksam und macht sich Notizen. Bislang hat er weder bei der Polizei noch vor Gericht eine Aussage gemacht. Seine Verteidigerin stellte zum Abschluss des Verhandlungstages einen Befangenheitsantrag gegen die erste Strafkammer. Diese hatte einen Aussetzungsantrag oder zumindest die 14tägige Auszeit zum Sichten neuer Beweismittel abgelehnt. Andere Richter müssen nun über den Befangenheitsantrag entscheiden.