Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
„So abartig, so komisch, so grotesk“
Jahrelang versuchte Udo Lindenberg, in der DDR aufzutreten. Die Stasi-akte dokumentiert den Weg zum Konzert
Am 9. Juni 1976 setzt sich ein Mitarbeiter der Stasi, Hauptabteilung XX/7, an seine Schreibmaschine und tippt, was man heute einen üblen Verriss nennen würde. Das Subjekt sei Musiker, solle wohl durch die „Brdzeitschrift Bravo“zu einem Star aufgebaut werden, verwende ständig das Wort „Panik“, wirke gleichgültig und pessimistisch. Dieser Udo Lindenberg sei nur „ein mittelmäßiger Schlagersänger der BRD“, heißt es damals.
Der Vermerk ist einer von 50 Dokumenten, die Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit und Kulturbeamte über Lindenberg angefertigt haben und die inzwischen öffentlich einsehbar sind. Sie dokumentieren, wie Lindenberg über Jahre versucht hat, eine Auftrittsgenehmigung in der DDR zu bekommen, bis er es 1983 tatsächlich schafft und im Palast der Republik auftreten darf.
Lindenberg hatte zuvor schon in westdeutschen Medien mit der Idee eines Aufritts im Osten geliebäugelt, aber in einem Interview mit dem Sender Freies Berlin treibt er es im März 1979 ein Stück weiter. Er verstehe auch nicht, warum er nicht erwünscht sei. „Ich bin doch ein lieber Mensch“, sagt Lindenberg.
Der „Sonderzug nach Pankow“ist nicht zu bremsen
Eine Mitschrift des Interviews wird sofort an den Sed-chefideologen Kurt Hager übermittelt. Dieser kritzelt darauf: „Auftritt in der DDR kommt nicht infrage.“
Knapp vier Jahre später hat Lindenberg die Idee zu dem Song „Sonderzug nach Pankow“, der in Westdeutschland sofort ein Hit wird.
Die Stasi ist zunächst damit beschäftigt, die Verbreitung des Liedes in der DDR mit allen Mitteln zu verhindern. Die Bemühungen sind aber zwecklos. Die Stasi listet nach den Informationen von Spitzeln in einem Dokument auf, dass das Lied in mindestens vier Diskotheken und Lehrlingswohnheimen gespielt worden sein soll.
Am Ende war es wohl der Konzertveranstalter selbst, der den Auftritt
Lindenbergs möglich machte. Schließlich hatte er neben dem Panikrocker auch Weltstar Harry Belafonte für das geplante Friedenskonzert im Programm. Und der Konzertveranstalter soll keinen Zweifel daran gelassen haben, dass es Belafonte gibt, wenn Udo auch kommen darf.
So machte sich Lindenberg am 25. Oktober 1983 auf den Weg in die DDR. Seine Einreise über den Grenzübergang Invalidenstraße wird damals von Spitzeln fotografiert und in die Akten geheftet. „Ein historischer Tag“, ruft Lindenberg selbst einigen Ard-journalisten zu.
Die Stasi glaubte, dass ein Aufruhr losbrechen könnte
Lindenberg tritt an jenem Abend vor 4200 Menschen auf, viele Funktionäre und vermeintlich ideologiefeste Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Weitere Tausende Jugendliche stehen draußen, rufen „Wir wollen rein“. Die Wucht des Auftritts überrascht die Stasi. In einem Vermerk steht: „Hätte Lindenberg seinen Auftritt auch nur um Lied ausgedehnt, wären vermutlich die Zuschauer [...] nicht mehr zu disziplinieren gewesen.“
Noch in der Nacht wird Udo Lindenberg zur Grenze zurückbegleitet, zwei Jahre später kurzzeitig mit einem Einreiseverbot belegt. Als er die Stasi-akte zum ersten Mal las, habe er „erst mal ’n Schock überwinden und kräftig durchatmen“müssen, sagte Lindenberg einmal – „später dann aber auch lachenden Auges, so grotesk, so abartig, so komisch, war es gleichzeitig.“
Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls sagte Lindenberg unserer Zeitung: „Am 9. November trinken wir 30 Eierliköre und heulen immer noch die Krokodilstränen der Freude, als wär’s gestern gewesen – der Tag, an dem der November zum Yesvember wurde.“