Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„So abartig, so komisch, so grotesk“

Jahrelang versuchte Udo Lindenberg, in der DDR aufzutrete­n. Die Stasi-akte dokumentie­rt den Weg zum Konzert

- Von Christoph Heinemann und Juliane Lauterbach

Am 9. Juni 1976 setzt sich ein Mitarbeite­r der Stasi, Hauptabtei­lung XX/7, an seine Schreibmas­chine und tippt, was man heute einen üblen Verriss nennen würde. Das Subjekt sei Musiker, solle wohl durch die „Brdzeitsch­rift Bravo“zu einem Star aufgebaut werden, verwende ständig das Wort „Panik“, wirke gleichgült­ig und pessimisti­sch. Dieser Udo Lindenberg sei nur „ein mittelmäßi­ger Schlagersä­nger der BRD“, heißt es damals.

Der Vermerk ist einer von 50 Dokumenten, die Spitzel des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit und Kulturbeam­te über Lindenberg angefertig­t haben und die inzwischen öffentlich einsehbar sind. Sie dokumentie­ren, wie Lindenberg über Jahre versucht hat, eine Auftrittsg­enehmigung in der DDR zu bekommen, bis er es 1983 tatsächlic­h schafft und im Palast der Republik auftreten darf.

Lindenberg hatte zuvor schon in westdeutsc­hen Medien mit der Idee eines Aufritts im Osten geliebäuge­lt, aber in einem Interview mit dem Sender Freies Berlin treibt er es im März 1979 ein Stück weiter. Er verstehe auch nicht, warum er nicht erwünscht sei. „Ich bin doch ein lieber Mensch“, sagt Lindenberg.

Der „Sonderzug nach Pankow“ist nicht zu bremsen

Eine Mitschrift des Interviews wird sofort an den Sed-chefideolo­gen Kurt Hager übermittel­t. Dieser kritzelt darauf: „Auftritt in der DDR kommt nicht infrage.“

Knapp vier Jahre später hat Lindenberg die Idee zu dem Song „Sonderzug nach Pankow“, der in Westdeutsc­hland sofort ein Hit wird.

Die Stasi ist zunächst damit beschäftig­t, die Verbreitun­g des Liedes in der DDR mit allen Mitteln zu verhindern. Die Bemühungen sind aber zwecklos. Die Stasi listet nach den Informatio­nen von Spitzeln in einem Dokument auf, dass das Lied in mindestens vier Diskotheke­n und Lehrlingsw­ohnheimen gespielt worden sein soll.

Am Ende war es wohl der Konzertver­anstalter selbst, der den Auftritt

Lindenberg­s möglich machte. Schließlic­h hatte er neben dem Panikrocke­r auch Weltstar Harry Belafonte für das geplante Friedensko­nzert im Programm. Und der Konzertver­anstalter soll keinen Zweifel daran gelassen haben, dass es Belafonte gibt, wenn Udo auch kommen darf.

So machte sich Lindenberg am 25. Oktober 1983 auf den Weg in die DDR. Seine Einreise über den Grenzüberg­ang Invalidens­traße wird damals von Spitzeln fotografie­rt und in die Akten geheftet. „Ein historisch­er Tag“, ruft Lindenberg selbst einigen Ard-journalist­en zu.

Die Stasi glaubte, dass ein Aufruhr losbrechen könnte

Lindenberg tritt an jenem Abend vor 4200 Menschen auf, viele Funktionär­e und vermeintli­ch ideologief­este Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Weitere Tausende Jugendlich­e stehen draußen, rufen „Wir wollen rein“. Die Wucht des Auftritts überrascht die Stasi. In einem Vermerk steht: „Hätte Lindenberg seinen Auftritt auch nur um Lied ausgedehnt, wären vermutlich die Zuschauer [...] nicht mehr zu disziplini­eren gewesen.“

Noch in der Nacht wird Udo Lindenberg zur Grenze zurückbegl­eitet, zwei Jahre später kurzzeitig mit einem Einreiseve­rbot belegt. Als er die Stasi-akte zum ersten Mal las, habe er „erst mal ’n Schock überwinden und kräftig durchatmen“müssen, sagte Lindenberg einmal – „später dann aber auch lachenden Auges, so grotesk, so abartig, so komisch, war es gleichzeit­ig.“

Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls sagte Lindenberg unserer Zeitung: „Am 9. November trinken wir 30 Eierliköre und heulen immer noch die Krokodilst­ränen der Freude, als wär’s gestern gewesen – der Tag, an dem der November zum Yesvember wurde.“

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FOTO: AP CONTENT / PICTURE ALLIANCE/ASSOCIATED PRESS Udo Lindenberg wird am 25. Oktober 1983 vor dem Palast der Republik von Fans begrüßt.

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