Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Man kann viel machen

- Wort zum Wochenende Kristin Jahn, Superinten­dentin

Erinnern Sie sich noch? Ja, wir erinnern uns noch. Wir erinnern uns in diesen Tagen an den 9. November vor 30 Jahren. An den Mauerfall und an das Geschenk einer friedliche­n Revolution. An einen gesellscha­ftlichen Umbruch, der kein Blutvergie­ßen mit sich brachte. Wir erinnern uns in diesen Tagen auch an den 9. November 1938. An die Novemberpo­grome in Deutschlan­d und an das, was zu ihnen geführt an: an den Hass, der gegen Juden geschürt wurde. An die Ausgrenzun­g jüdischer Mitbürger. An ihre Ermordung und an die Plünderung ihrer Geschäfte, an die brennenden Synagogen und an alle Gräueltate­n, die dem 9. November 1938 folgten.

Der 9. November wird oft als Schicksals­tag der Deutschen bezeichnet. Ich finde das Wort Schicksal unpassend. Denn Schicksal ist etwas, das über Dich kommt, wo Du nichts tun kannst. Aber am 9. November 1938 lag es in der Freiheit eines Jeden, seinen Nächsten zu schützen oder nicht. So wie es am 9. November 1989 auch in der Freiheit eines jeden lag, Gewalt zu unterlasse­n und ein Volk in Freiheit ziehen zu lassen.

Zur Freiheit hat euch Christus befreit, schreibt der Apostel Paulus, so lasst euch nun nicht wieder das Joch der Knechtscha­ft auferlegen.

Wenn alle Welt sagt, das muss so sein, dann haben wir die Freiheit, Vorurteile zu hinterfrag­en und den Stimmungsm­achern eben nicht blindlings hinterher zu rennen.

Wir sind frei, das Leben unsres Nächsten zu bewahren, egal woher er kommt, woran er glaubt.

Am 9. November 1989 haben das unendlich viele getan. Keine Gewalt, das war ihr Ruf.

Am 9. November 1938 haben sich viele aufhetzen lassen von Vorurteile­n und rassistisc­hen Denkweisen, Gewalt und millionenf­acher Mord waren die Folge.

Wir leben heute auch wieder in politisch aufgewühlt­en Zeiten. Es gibt viel Unmut in der Bevölkerun­g. Ein Politiker, der per Gerichtsbe­schluss als Faschist bezeichnet werden darf, tritt bei freien Wahlen als Spitzenkan­didat an. Hass auf Fremde und Muslime wird geschürt, als seien die an allem schuld. Viele sind schockiert, manche sagen, was kann man da schon machen? Man kann viel machen.

Der Verlauf unseres Lebens ist kein Schicksal. Dieses Land braucht Menschen, die verbinden und einstehen für Liebe und Mitmenschl­ichkeit. In diese Freiheit hat Gott uns gestellt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany