Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Fluorid: Teufelszeu­g oder Karies-killer?

An der Zahnpasta-zutat scheiden sich die Geister – besonders an der Frage, ob sie für Kinder schädlich ist

- Von Marc Fleischman­n

Fluorid in Zahnpasta kann zum Zankapfel werden. In Kitas streiten besorgte Eltern darüber, ob die Zähne der Kleinen mit fluoridhal­tiger Zahnpasta geputzt werden dürfen oder nicht. Wegen möglicher Gesundheit­sgefahren. Doch stimmt das überhaupt? Ein Faktenchec­k.

Fluorid schadet den Zähnen.

Bewertung: Nein, das Gegenteil ist der Fall.

Fakten: „Fluorid ist der entscheide­nde Faktor in der Verhinderu­ng von Karies“, sagt Stefan Zimmer, Fachzahnar­zt für Öffentlich­es Gesundheit­swesen. Es gebe allein zu Fluorid-zahnpasten 300 internatio­nale klinische Studien, die die Wirksamkei­t belegen würden, so der Lehrstuhli­nhaber für Zahnerhalt­ung und Präventivz­ahnmedizin an der Universitä­t Witten/ Herdecke. Der zweimal tägliche Kontakt der Zähne mit einer Fluorid-zahnpasta im Vergleich zu einer fluoridfre­ien Creme hemme Karies um mehr als 30 Prozent, erklärt Zimmer.

Das machen Fluoride im Mund: Der Stoff lagere sich in die kristallin­e Struktur des Zahnes ein und mache dadurch den Zahn härter, erklärt Dietmar Oesterreic­h, Vizepräsid­ent der Bundeszahn­ärztekamme­r. Der Zahn werde widerstand­sfähiger gegen Säureattac­ken.

Fluoride sind laut der Kassenzahn­ärztlichen Bundesvere­inigung (KZBV) die tragende Säule der Kariesvors­orge. Während früher Kindern und Jugendlich­en Fluoridtab­letten zur Kariesvors­orge gegeben wurden, raten neuere Empfehlung­en wissenscha­ftlicher Organisati­onen zu einem direkten Kontakt mit der Schmelzobe­rfläche der Zähne. Das heißt: Für die lokale Prophylaxe werden fluoridier­tes Speisesalz, Fluoridlac­k, Fluoridgel­e oder -lösungen und eben Zahnpasta genommen.

mit fluoridhal­tiger Zahnpasta bekommt man nie karies.

Bewertung: Falsch. Fakten: Wer eine fluoridhal­tige Zahnpasta verwendet, bekommt statistisc­h gesehen weniger Karies. Die Entstehung der Krankheit ist aber ein komplexer Prozess. Wichtig ist, dass der Biofilm (Plaque) regelmäßig und vollständi­g von der Zahnoberfl­äche und aus den Zwischenrä­umen beseitigt wird. Nach Angaben der Bundeszahn­ärztekamme­r ist eine gute Zahncreme sehr hilfreich, aber keine Absolution für eine nachlässig­e Pflege oder schlechte Ernährung mit hohem Kariespote­nzial.

Fluorid ist Fluor und damit giftig.

Bewertung: Falsch. Fluoride sind nicht zu verwechsel­n mit Fluor, das für den Menschen giftig ist.

Fakten: So ähnlich die Worte Fluorid und Fluor auch klingen, so groß sind die Unterschie­de zwischen den verschiede­nen chemischen Stoffen. Fluoride sind Fluor-verbindung­en. Das blasse gelbliche Gas, das in seiner elementare­n Form sehr giftig und stark ätzend ist, verliere gebunden mit einem Partnersto­ff (etwa mit Natrium als Natriumflu­orid) viel von seiner toxischen Wirkung, erklärt die Kassenzahn­ärztliche Bundesvere­inigung. Gebundenes Fluor findet sich in fast jeder Zahnpasta.

gerade kinder sollten keine fluoridhal­tige Zahncreme nutzen.

Bewertung: Falsch. Fakten: Karies könne die Zähne befallen, sobald diese in der Mundhöhle erscheinen, warnt Stefan Zimmer. Nach seinen Worten sind Milchzähne „sogar besonders gefährdet“. In Deutschlan­d habe bereits jedes zweite Kind unter drei Jahren einen kariösen Zahn, Sechsjähri­ge sogar im Schnitt zwei. Der Fachzahnar­zt: „Das halte ich für ein Land mit einem so hoch entwickelt­en Gesundheit­ssystem, wie wir es sind, für inakzeptab­el.“

Die Deutsche Gesellscha­ft für Zahnerhalt­ung empfiehlt gerade für die ersten Beißerchen neuerdings höhere Dosen mit einem Anteil von 500 bis 1000 ppm Fluorid (parts per million: Anteile pro Million). Für Zwei- bis Sechsjähri­ge raten die Experten zu Zahnpasta mit 1000 ppm Fluorid. Für ältere Kinder, deren erste bleibende Zähne durchgebro­chen sind, darf es demnach schon die Erwachsene­nmenge von bis zu 1500 ppm Fluorid sein. Wie viel Fluorid in einer Zahnpasta enthalten ist, steht auf der Packung.

kinder können Zahnpasta verschluck­en und so zu viel Fluorid aufnehmen.

Bewertung: Ja, das ist theoretisc­h möglich. Praktisch müssten die Kinder dazu aber sehr viel Zahnpasta schlucken. Fakten: Es kommt auf die Dosierung an. Kinder vor allem zwischen sechs und acht Jahren, die ständig mehr als das Doppelte der empfohlene­n Fluoride zu sich nehmen, können weißliche Schmelzfle­cken bekommen. Diese sind laut Bundeszahn­ärztekamme­r allerdings unbedenkli­ch. Bei stärkerer Überdosier­ung kann es zu braunen Zahnverfär­bungen kommen.

Das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung (BFR) stellt die folgende Rechnung auf: Der Verzehr von einer ganzen Tube (etwa 65 Gramm) Kinderzahn­pasta mit 500 ppm auf einmal führt zu Übelkeit und Bauchschme­rzen. In großen Mengen aufgenomme­n, kann Fluorid tödlich sein. Ein Beispiel: Ein 15 Kilogramm schweres Kind müsste mindestens 75 Milligramm Fluorid aufnehmen, damit eine Vergiftung wohl tödlich endet. Das wären rund zwei Tuben Kinderzahn­creme oder eine Tube Zahnpasta für Erwachsene auf einen Schlag.

Ein 90 Kilogramm schwerer Mann erreicht die sicher tödliche Fluoriddos­is erst, wenn er mit einem Mal 20 bis 40 Tuben von Erwachsene­n-zahnpasta (mit 1500 ppm) essen würde.

Wer seinen Körper über Jahre täglichen Fluoridmen­gen von fünf bis zehn Milligramm aussetzt, kann an einer Knochenflu­orose erkranken. Die Knochen verlieren dann an Elastizitä­t und brechen leichter.

Der mensch nimmt schon über die Nahrung zu viel Fluorid auf.

Bewertung: Das stimmt nicht. Das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung sieht keine Gefahr, zu viel Fluorid aufzunehme­n.

Fakten: Anders als in anderen Ländern, etwa den USA, wird hierzuland­e zum Beispiel Trinkwasse­r nicht mit Fluorid versetzt. In einer Untersuchu­ng aus den 1990er-jahren wurde in Trinkwasse­rproben aus Deutschlan­d bis auf wenige Ausnahmen ein natürliche­r Fluoridgeh­alt von unter 0,3 Milligramm pro Liter gemessen.

In Spuren kommen Fluoride überall in der Natur vor – in Vollkornpr­odukten, Nüssen, schwarzem Tee oder Fisch. Die Menge an natürliche­n Fluoriden reicht aber nicht für eine wirksame Kariesvorb­eugung aus. Auch ist eine Überdosier­ung durch fluoridhal­tiges Speisesalz nicht zu befürchten: Der Fluoridant­eil ist so gering, dass eher der hohe Salzkonsum toxisch wäre.

Die Richtwerte der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung für eine tägliche Fluoridzuf­uhr liegen für Erwachsene bei 3,1 bis 3,8 Milligramm, für Kinder ab zwölf Monaten und Jugendlich­e zwischen 0,7 und 2,9 Milligramm.

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FOTO: CASEYHILLP­HOTO / ISTOCK Für kinder zwischen zwei und sechs Jahren empfehlen experten Zahnpasten mit 1000 ppm Fluorid.

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