Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Tränen am Telefon

Wie Thüringens Weitsprung-star Heike Drechsler den historisch­en Abend erlebt

- Von Nikolaj Stobbe

Sie heulte vor Glück, doch mit der Zeit mischten sich auch Sorgen und Existenzän­gste in die Freude: Weitspring­erin und DDR-STAR Heike Drechsler erlebte nach dem Zusammenbr­uch ihres Landes im Herbst 1989 turbulente Jahre. Die junge Mutter stürzte sich nach einer Babypause in ihr Comeback und fand nach zwei Olympiasie­gen ihren Platz im neuen Deutschlan­d.

Am Abend des Mauerfalls war die Ausnahme-athletin zu Hause, hielt ihren neun Tage alten Sohn auf dem Arm. Im Fernsehen sah die damals 24-Jährige, wie die Grenzüberg­änge von immer mehr Menschen geflutet wurden, die Mauer fiel. „Meine beswährend te Freundin rief an, sie war vier Jahre vorher in den Westen gegangen. Wir haben beide am Telefon geheult“, erinnert sich Drechsler.

Drechsler, die schon als Kind den Vater verloren hatte, antwortete auf die große Ungewisshe­it der Wendezeit, die auch sie erfasste, mit Sport und starken Leistungen. Schon 1990 stand sie wieder in der Bestenlist­e, holte bei der EM in Split Gold im Weitsprung und Silber über 200 m. „Ich hatte in der Familie optimale Bedingunge­n“, erinnert sich Drechsler, der Schwiegerv­ater trainierte sie, die Schwiegerm­utter half bei der Babybetreu­ung.

Ein Jahr später dann der große Auftritt bei den Olympische­n Spielen in Barcelona. „Ich wollte unbedingt gewinnen, vielleicht war es auch etwas Trotz“, erklärt Drechsler. Mit 7,14 m holte sie Gold und hörte vom Siegerpode­st der Hymne. Sie dachte an ihr Team und später auch: „Jetzt hast du etwas ganz Großes geschafft. Jetzt bist du gesamtdeut­sche Olympiasie­gerin.“

Nach vielem Auf und Ab mit dem Verzicht auf Olympia in Atlanta startete Drechsler bei den Sommerspie­len in Sydney im Jahr 2000 mit 35 Jahren einen weiteren Versuch und sollte 17 Jahre nach ihrem ersten Wm-sieg noch einmal ganz oben stehen. Im gleichen Jahr wurde sie zu Deutschlan­ds Sportlerin des Jahres gewählt. „Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein“, sagt die Thüringeri­n aus Gera.

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FOTO: PETER MICHAELIS heike Drechsler 2012 im Stadtmuseu­m Jena vor einem bild, das sie bei den deutschen meistersch­aften 1994 in erfurt zeigt.

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