Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Der Weg in die Gegenrichtung
Freudentränen flossen in der Nacht der Nächte bei meiner Mutter und mir; mein Vater erfuhr bei der Spätschicht vom Weltereignis. Elf Monate später setzten meine Eltern zur Feier der Einheit eine Eiche.
Wir waren niemandes Westverwandtschaft. Doch Erika, die jetzt auf dem Friedhof neben meinen Eltern liegt, stammte aus einem Dorf bei Gotha. Ihre Eltern hatten dort einst eine kleine Ziegelei mit großer Tradition. Als die DDR noch jung war, sollte Erikas Vater in den Knast. Warum? Egal. Irgendeinem passte seine Nase nicht. Womöglich war auch seine offene Art, Probleme zu benennen, „schuld“. Im letzten Moment konnten sie abhauen gen Westen. Erikas Heimweh ging nie weg. Sie schwärmte ihr Lebtag von Hallorenkugeln und vom Inselsberg.
Meine Mutter, Jahrgang 1940, hat schon als Kind ganz genau zugehört, wenn Flüchtlingsfrauen und Vertriebene von ihrem Leid erzählten. Die Entspannungspolitik dank Willy Brandt fand sie gut – und sie ließ in dieser Hinsicht nichts auf den SPD-MANN kommen, obwohl sie später in die CDU eintrat.
Im November 1989 fragten sich viele: Was wird nun werden? Für mich als Jungredakteurin stand gleich fest: Ich würde von Ostwestfalen weg und in die DDR gehen. Wie der Zufall so spielt: Nur wenige Kilometer entfernt von Erikas Heimat durfte ich ab März 1990 die Gothaer Tagespost gründen. Binnen Jahresfrist und ehe wir mit der TLZ fusionierten, hatten wir 5000 Abonnenten ...
Und die Eiche? Nach Jahren der Mickrigkeit ist sie ein prächtiger Baum.