Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Es waren nicht die Bananen“

Ein Jenaer Filmemache­r erinnert sich an seine nervenaufr­eibende Flucht über die ungarische Grenze

- Von Ulrike Merkel

Sind unsere Fluchtplän­e aufgefloge­n? Diese Frage stellen sich Torsten Eckold und seine Freundin 1989 immer wieder. Im Mai hat das junge Paar aus Jena den Entschluss gefasst, über die nicht mehr ganz so gesicherte ungarische Grenze zu fliehen. Hilfe erhofft es sich von einem Westverwan­dten. „Er sollte Fluchtrout­en herausfind­en“, sagt der Kameramann und Filmemache­r. Doch als sich die drei nach dem heimlichen Treffen

in Ostberlin trennen, fühlen sich die beiden Jenenser verfolgt. Nach Monaten voller Angst aufzuflieg­en, teilt ihnen ihr Fluchthelf­er per verschlüss­elter Postkarten­nachricht schließlic­h mit, dass er nicht wie vereinbart nach Ungarn kommen werde.

„Trotzdem sind wir im August mit den Eltern meiner Freundin nach Ungarn gereist“, sagt Torsten Eckold. Dort kontaktier­en sie noch einmal den Verwandten und können ihn überreden, doch noch zu kommen. Er bringt die beiden am 9. August bei Sopron

zu einem Feldweg nahe der Grenze und erklärt: „Das nächste Dorf liegt in Österreich. Dort hole ich euch ab.“Es ist ein heißer Tag, als sie aufbrechen. Bei einem unbesetzte­n Wachturm schlagen sie sich ins Gebüsch, um die Lage zu peilen. Tatsächlic­h kommt bald darauf ein Fahrzeug mit Grenzsolda­ten. Ein Gewitter rettet sie aus der misslichen Lage: Als die Soldaten Schutz im Turm suchen, rennen die beiden los und können wenig später den Stacheldra­htzaun überwinden. „Es waren nicht die Bananen“, sagt der Filmemache­r über die Fluchtgrün­de. Er sah in der DDR keine Perspektiv­e. Als Kamera-assistent beim Ddrfernseh­en tätig, hätte er fürs Studium zum Kameramann in die

SED eintreten müssen. Zudem drohte der Einzug zur NVA. „Und an eine friedliche Revolution habe ich nach der Gewalt auf dem Platz des Himmlische­n Friedens auch nicht geglaubt.“

Seit 1997 lebt Torsten Eckold wieder in Jena. Bereut hat er seine Flucht nicht. „So etwas prägt“, sagt er und fügt hinzu: „Der Fluchthelf­er wollte seinerzeit abspringen, weil er Angst hatte, dass ich ihn an die Stasi verrate. Er war nach unserem Treffen in Berlin am Grenzüberg­ang heftig gefilzt worden.“

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DER JENAER KAMERAMANN UND FILMEMACHE­R TORSTEN ECKOLD FOTO: ARCHIV ECKOLD

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