Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Die Grenzstrei­fe meines Lebens“

Wie der einstige Bundesgren­zschutzbea­mte z Schröder den Fall des Eisernen Vorhangs erlebte

- Ena Rauch

Am Morgen des Tages, als zwischen Ellrich in Thüringen und Walkenried in Niedersach­sen der Eiserne ng fiel, stand Lutz Schröder auf Baugerüst eines Freundes. Der s 29-Jährige war Gruppenfüh­nes technische­n Zuges beim sgrenzschu­tz. Es war der 11. mber, ein Samstag, er hatte frei hnte noch nicht, dass er an dieag auf die „Grenzstrei­fe seines s“gehen würde. en Mittag erreicht ihn der Anner Zentrale in Goslar: Polizeizwi­schen Walkenried und Elloll die Grenze geöffnet werden. weit machten sie sich auf den aber in Walkenried herrschte Dafür hatte keine zwei Kilomeiter ein Bauer mit seinem Traknen Ddr-grenzzaun aus dem gerissen. Die Schleifspu­r führkt bis vor das Gasthaus in Zorge, wo sie beim Bier saßen, erinnert er sich. Er schnappte sich den Traktorsch­lüssel, schleppte den Pfosten mit dem Ddr-hoheitszei­chen an seinen Platz zurück und grub ihn ein. Vorsichtsh­alber. Noch vor wenigen Tagen hätte das zu heftigen innerdeuts­chen Verwerfung­en geführt.

Als sie am späten Nachmittag erneute nach Walkenried kamen, hatten sich schon rund 70 Menschen an der Grenze versammelt. Etwa einen Kilometer entfernt, auf der anderen Seite hinter dem Metallzaun waren es weit mehr. Es war inzwischen dunkel geworden, manchmal trieb der Wind Wortfetzen herüber.

Auf der Walkenried­er Seite herrschte eine eigentümli­che Stille. Andächtig, fast wie in der Kirche, erinnert er sich. Gedämpfte Gespräche, dann wieder Schweigen. Warten. Was passiert jetzt? Ab und zu rief jemand ein „Kommt rüber!“in die Dunkelheit.

Plötzlich begannen die Grenzposte­n im Osten ein Feld des Metallzaun­s abzubauen. Die Walkenried­er klatschten, riefen „Gut so!“Dann war wieder Stille. Bis ihm jemand zuraunte, jetzt müsse man doch auch den Westzaun abbauen. Es war nur eine Barriere aus Holz am Ende der Straße, damit nicht versehentl­ich jemand Ddr-gebiet betrat. „Dann mach doch“, hatte Lutz Schröder geantworte­t. Kurzerhand packten 30 bis 40 Menschen an und rissen das Holzgeländ­er aus der Erde. „Kommt rüber, wir warten auf euch!“

Wieder Stille. Etwa eine halbe Stunde lang passierte nichts – bis aus der Dunkelheit Stimmen zu hören waren, immer näher. Dann sahen sie die Menschen. Zaghaft, unsicher noch die ersten, dann wurden es immer mehr. Lutz Schröder erinnert sich an zwei Ddr-offiziere, die ihm sagten: „Wir schaffen erst einmal ein Ventil.“Über Funk gab er die Nachricht an seine Zentrale durch. Sie nahmen es zur Kenntnis, die waren, sagt er, auch dort heillos überforder­t.

Was in den nächsten Stunden passierte, kann Lutz Schröder bis heute kaum in Worte fassen. Menschen lagen sich in den Armen, lachten und weinten gleichzeit­ig, Sekt und Bier f ossen. Die Emotionen rissen auch ihn mit. Ein Grenzer mit Tränen in den Augen. In Walkenried begannen die Kirchglock­en zu läuten, fast eine Stunde lang. Die Feuerwehrs­irene sprang an, die Kameraden rückten mit Scheinwerf­ern aus, um diese Nacht zu beleuchten. Irgendwann griff er sich ein Megafon und rief „Herzlich willkommen in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d!“Unklar, warum er das tat, hatte nur das Bedürfnis, irgendetwa­s zu tun, zu sagen.

So ein Gefühl von Glück wie an jenem Abend, erzählt Lutz Schröder, erlebte er nur noch, als seine Kinder zur Welt kamen.

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