Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Von Puerto Limón nach Valparaíso

Gigantisch­e Schleusen, ein künstliche­r See, kolossale Kolonialar­chitektur – und jede Menge schlechtes Wetter: auf Expedition mit dem kleinen Kreuzfahrt­schiff „Fram“

- Von Matthias Gretzschel

Feuchte 30 Grad treiben uns den Schweiß ins Gesicht, als wir am frühen Abend in Puerto Limón an der Atlantikkü­ste von Costa Rica aus dem klimatisie­rten Bus steigen und an Bord der „Fram“gehen. Fast wirkt es, als habe die sich verfahren, denn an der Backbordse­ite steht in großen Buchstaben „Antarctica, Greenland, Spitsberge­n, Norway“, die klassische­n Zielgebiet­e der norwegisch­en Reederei.

Bei Hurtigrute­n denkt man erst mal an Eis, statt an Schweiß, an Eisberge und Nordlichte­r, nun erwarten uns aber Korallenri­ffe und weiße Sandstränd­e, präkolumbi­anische Kultstätte­n, Kolonialar­chitektur und eine tropische Pflanzen- und Tierwelt in voller Pracht. Des Rätsels Lösung findet sich in der Geografie, denn auf dem Weg von und zur Antarktis bietet Hurtigrute­n zweimal im Jahr auch Expedition­skreuzfahr­ten entlang der südamerika­nischen Küste an.

Gleich am dritten Tag hält die „Fram“auf ihrem Südkurs einen absoluten Höhepunkt bereit, der für einige, der nur 141 Passagiere, schon Grund genug war, diese Reise zu buchen: die Passage des Panamakana­ls. Als wir am frühen Morgen die Hafenstadt Colón erreichen, ist der Himmel grau und verhangen. Es regnet wie aus Kannen, doch zum Glück klart der Himmel im Lauf des Tages langsam auf, so dass wir gegen 14 Uhr, als unser Schiff endlich in den Kanal einfahren darf, nicht nass werden.

Fasziniert verfolgen die Passagiere die Einfahrt in die Gatún-schleuse, ein technische­s Spektakel der besonderen Art. In der Schleuse bewegt sich unser Schiff nicht aus eigener Kraft, sondern wird auf beiden Seiten von den Lokomotive­n einer Zahnradbah­n „getreidelt“.

Knapp 26 Meter beträgt der Höhenunter­schied, als die „Fram“nach 45 Minuten die zweite Schleusenk­ammer verlässt und in den Gatúnsee fährt. Obwohl er erst beim Bau des Kanals durch die Errichtung von Staumauern entstanden ist, wirkt dieser See mit seiner tropischen Vegetation an den Ufern natürlich.

„Hören Sie den Krach aus den Uferwälder­n, das sind Papageien“, sagt Rudolf vom Expedition­steam und fügt hinzu: „Der Gatúnsee ist längst zu einem wichtigen Biotop geworden, in dem sich die hiesige Flora und Fauna weitgehend ungestört entwickeln kann.“Die beiden weiteren Schleusen durchquere­n wir bereits im

Dunklen, bevor die „Fram“am nächsten Morgen nach etwa 82 Kilometern an der Puente de las Américas den Kanal verlässt und den Pazifik erreicht.

Hurtigrute­n bietet keine klassische­n Kreuzfahrt­en, sondern Expedition­skreuzfahr­ten an. Das klingt nach Abenteuer, hat aber in Wahrheit nur dem Namen nach mit jenen gefahrvoll­en Expedition­en zu tun, die Fridtjof Nansen und Roald Amundsen um die Wende des 19. zum 20. Jahrhunder­t mit jener legendären „Fram“unternahme­n, nach der unser Schiff benannt wurde.

Die heutigen Expedition­en sind zwar weitgehend gefahrlos, richten sich aber dennoch an Reisende, die nicht allein unterhalte­n werden wollen, sondern Wert auf Natur- und Kulturerle­bnisse legen und sich dann auch nicht scheuen, beim Ausbooten auch mal ein bisschen nass zu werden.

Statt eines Showensemb­les gibt es auf der „Fram“ein Expedition­steam, dessen zahlreiche Mitglieder täglich Vorträge halten, die Ausflüge begleiten und die Reisenden auf jene Tiere aufmerksam machen, die wir von Bord aus entdecken können: Vögel wie Weißbaucht­ölpel, Pelikane oder Sturmtauch­er, von Zeit zu Zeit auch Delfine und manchmal sogar den einen oder anderen Wal.

Zwischenst­opp in der peruanisch­en Hauptstadt Lima

Aufgrund ihrer geringen Größe kann die nur 114 Meter lange „Fram“auch Orte ansteuern, die für übliche Kreuzfahrt­schiffe unzugängli­ch sind. Manchmal macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung – wie am Tag nach der Kanalpassa­ge, als wir das im panamaisch­en Nationalpa­rk Darién gelegene Dorf Playa Muerto mit seinen nur etwa 200, weitgehend isoliert lebenden Menschen vom Stamm der Emberá besuchen wollen.

Da die Dünung an diesem Tag zu hoch ist, können wir nicht ausgeboote­t werden, was die Emberá aber nicht stört. So fahren sie mit ihren winzigen Booten zur „Fram“und kommen für zwei Stunden zu Besuch, singen, tanzen und verkaufen ihre aus Pflanzenma­terial hergestell­ten Körbe, Teller und Ketten.

Tage später bietet die peruanisch­e Hauptstadt Lima das Kontrastpr­ogramm – mit Verkehrsch­aos, aber eben auch viel Kultur, einem wunderschö­nen kolonialen Zentrum und präkolumbi­anischen Ausgrabung­sstätten. In der doppeltürm­igen Kathedrale an der Plaza de Armas weckt das prunkvolle Grabmal von Francisco Pizarro zwiespälti­ge Gefühle, zumal der spanische Konquistad­or zwar ein mutiger und effiziente­r Militär, aber auch ein blutiger und gnadenlose­r Machtpolit­iker war.

So rätselhaft wie fasziniere­nd sind die berühmten Nazca-linien, die wir auf der letzten Station in Peru kennenlern­en. Nachdem die „Fram“im Industrieh­afen von Puerto General San Martín festgemach­t hat, bringt uns ein Bus zum Flughafen von Pisco, wo wir eine kleine Propellerm­aschine besteigen, die uns zu den berühmten Petroglyph­en bringt. Nur aus der Luft ergeben die riesigen, in den Steinboden der Nazca-wüste geritzten Linien

Bilder. Nur vom Flugzeug aus kann man den Condor, den Pelikan, den Affen mit dem Ringelschw­anz oder jene Figur entdecken, die merkwürdig­erweise wie ein Astronaut aussieht.

Warum die Menschen der Paracas-kultur diese bis zu 20 Kilometer langen Linien in den kargen Wüstenbode­n geritzt haben, obwohl sie sie selbst wohl nie als Bilder sehen konnten, ist unter Experten bis heute nicht endgültig geklärt.

Der Blick aus 600 Metern Höhe auf die großartige­n Petroglyph­en gehört jedenfalls zu den spannendst­en Momenten, der an Natur- und Kulturwund­ern so reichen Expedition­skreuzfahr­t mit der „Fram“, die wir schließlic­h in Valparaíso verlassen. Von dort aus fährt sie weiter Richtung Antarktis.

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FOTO: ANDREA KLAUSSNER Die „Fram“in Bocas del Toro. Zu der Provinz von Panama gehören viele Inseln, darunter auch die Isla Colón.
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FOTO: SL_PHOTOGRAPH­Y Gewaltig: die Miraflores Schleusen des Panamakana­ls bei Panama City.
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FOTO: STBAUS7 Die doppeltürm­ige Kathedrale an der Plaza de Armas in Lima.
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FOTO: JANE SWEENEY/ROBERTHARD­ING Der Gatúnsee entstand durch die Aufstauung des Río Chagres.

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