Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Die Hinrichtun­g der Bäume

- Frank Quilitzsch über Anschläge auf die humanistis­che Erinnerung­skultur

Meinen ersten Baum habe ich als Sechsjähri­ger mit meinem Großvater gepflanzt. Es war ein Apfelbäumc­hen hinter der Scheune.

Für unser Haus wählten wir 30 Jahre später einen Platz mit einer alten Linde, und im Garten haben wir ein Birkenwäld­chen angelegt, um dort mal Tschechows „Drei Schwestern“aufzuführe­n.

Ich liebe Bäume. Sie bieten Zuflucht, Schutz und Geborgenhe­it. Sie stehen für Gemeinscha­ft und sind unverzicht­barer Teil unseres Liedguts. Nein, es geht mir heute nicht um das durch den Klimawande­l ausgelöste Waldsterbe­n. Es sind andere Meldungen, die nicht weniger Sorgen machen, zumal sie sich häufen.

Vor vier Wochen haben Unbekannte in Zwickau eine frisch gepflanzte Eiche abgesägt, die an das erste Mordopfer des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“(NSU), den Blumenhänd­ler Enver Simsek, erinnerte. Kurz danach zertrümmer­ten sie noch eine Holzbank, die zu seinen Ehren aufgestell­t worden war. Simsek wurde im September 2000 von den Thüringer Rechtsterr­oristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordet.

Zwickau ist weit weg? Dann blicken wir nach Weimar: Dort wurden im Juni fünf Bäume zerstört, die an Buchenwald-häftlinge erinnerten. Die Stadtverwa­ltung spricht von Vandalismu­s, was eine Verharmlos­ung ist, denn es handelt sich ausschließ­lich um Bäume, die im Rahmen des Gedenk-projektes „1000 Buchen“durch das Lebenshilf­e-werk Weimar-apolda gepflanzt wurden. Sie sollen die Erinnerung an die Todesmärsc­he von Kz-häftlingen sowie an die Opfer des Euthanasie-programms der Nationalso­zialisten wachhalten, mit dem „unwertes Leben“ausgelösch­t wurde. Man schaue sich diese Bilder an: Vier Bäume wurden unterhalb der Krone abgebroche­n, ein weiterer abgesägt. Eine Hinrichtun­g.

Und schon zu Jahresbegi­nn waren die Gedenkschi­lder von zwölf Bäumen in der Ettersburg­er Straße herausgeri­ssen und im Wald verscharrt worden.

Ganz offensicht­lich wollen die Täter ein Zeichen setzen: Hört endlich auf, an die Verbrechen des Nationalso­zialismus zu erinnern! KZ, Völkermord und Holocaust waren doch bloß ein „Vogelschis­s“!

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