Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Die Hinrichtung der Bäume
Meinen ersten Baum habe ich als Sechsjähriger mit meinem Großvater gepflanzt. Es war ein Apfelbäumchen hinter der Scheune.
Für unser Haus wählten wir 30 Jahre später einen Platz mit einer alten Linde, und im Garten haben wir ein Birkenwäldchen angelegt, um dort mal Tschechows „Drei Schwestern“aufzuführen.
Ich liebe Bäume. Sie bieten Zuflucht, Schutz und Geborgenheit. Sie stehen für Gemeinschaft und sind unverzichtbarer Teil unseres Liedguts. Nein, es geht mir heute nicht um das durch den Klimawandel ausgelöste Waldsterben. Es sind andere Meldungen, die nicht weniger Sorgen machen, zumal sie sich häufen.
Vor vier Wochen haben Unbekannte in Zwickau eine frisch gepflanzte Eiche abgesägt, die an das erste Mordopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“(NSU), den Blumenhändler Enver Simsek, erinnerte. Kurz danach zertrümmerten sie noch eine Holzbank, die zu seinen Ehren aufgestellt worden war. Simsek wurde im September 2000 von den Thüringer Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordet.
Zwickau ist weit weg? Dann blicken wir nach Weimar: Dort wurden im Juni fünf Bäume zerstört, die an Buchenwald-häftlinge erinnerten. Die Stadtverwaltung spricht von Vandalismus, was eine Verharmlosung ist, denn es handelt sich ausschließlich um Bäume, die im Rahmen des Gedenk-projektes „1000 Buchen“durch das Lebenshilfe-werk Weimar-apolda gepflanzt wurden. Sie sollen die Erinnerung an die Todesmärsche von Kz-häftlingen sowie an die Opfer des Euthanasie-programms der Nationalsozialisten wachhalten, mit dem „unwertes Leben“ausgelöscht wurde. Man schaue sich diese Bilder an: Vier Bäume wurden unterhalb der Krone abgebrochen, ein weiterer abgesägt. Eine Hinrichtung.
Und schon zu Jahresbeginn waren die Gedenkschilder von zwölf Bäumen in der Ettersburger Straße herausgerissen und im Wald verscharrt worden.
Ganz offensichtlich wollen die Täter ein Zeichen setzen: Hört endlich auf, an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern! KZ, Völkermord und Holocaust waren doch bloß ein „Vogelschiss“!