Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Geschichte­n aus einem fernen Land

Premiere für „Jenseits der blauen Grenze“zu 30 Jahren Mauerfall im Puppenthea­ter Gera

- Von Angelika Bohn

Am 2. September 1989 springt der 24-jährige Mario Wächtler aus Karl-marx-stadt in die Ostsee. Ziel des Rettungssc­hwimmers ist die westdeutsc­he Küste. Nach 19 Stunden im 15 Grad kalten Wasser nimmt ihn die „Peter Pan“an Bord. Wächtler war vermutlich der letzte Ddr-flüchtling, der die blaue Grenze schwimmend überwunden hat.

Auch die Teenager Hanna und Andreas im Stück „Jenseits der blauen Grenze“schwimmen im Sommer 1989 in die Freiheit. Sie sind vorbereite­t. Hannas Großvater hat die Routinen der Grenzsiche­rung erkundet und ihnen eine Karte gegeben. Hannas Trainer hat Neoprenanz­üge besorgt. Hanna, die Leistungss­portlerin, kann besser schwimmen als Andreas, der im Jugendwerk­hof war und sich das Leben nehmen wollte. Doch Hanna und Andreas haben auch Angst. Angst, von den Nva-grenzern geschnappt zu werden und im Knast zu landen. Angst, im Kampf gegen die Natur zu unterliege­n.

In ihrem 2015 für den Deutschen Jugendlite­raturpreis nominierte­n Roman „Jenseits der blauen Grenzen“erzählt die in Rostock geborene Autorin Dorit Linke von drei Freunden. Zum Zeitpunkt der Flucht ist der dritte, Sachsen-jensi, schon im Westen. Ausgereist mit seinen Eltern. Warum wagen die Zwei die lebensgefä­hrliche Flucht? Dorit Linke erzählt von Freundscha­ft, Liebe, vom Geborgense­in in der Clique, aber auch wie Andreas’ Kindheit durch den gewalttäti­gen Vater geprägt wird, wie willkürlic­h Hannas Karriere als Leistungss­chwimmerin endet, dass sie keine Fragen stellen, nicht die Wahrheit sagen, nicht Abitur machen dürfen, Hanna sexuell belästigt wird. Mehr Elend als sie tragen können, lädt Linke ihren Figuren auf.

Das Jugendbuch erreicht seit der Uraufführu­ng 2018 in Rostock inzwischen die Theater im Osten. Als Klassenzim­merstück für zwei Schauspiel­er die Vorpommers­che

Landesbühn­e, als Stück für drei Schauspiel­er das Rangfoyer im Theater der Altmark, als szenische Lesung das Theater Nordhausen. Nun folgt mit einer ästhetisch überzeugen­den und gewisserma­ßen multimedia­theatralen Variante das Puppenthea­ter Gera.

Beworben mit diesem Projekt hatten sich hier Marie Bretschnei­der (Regie) und Alina Illgen (Bühne, Kostüme und Puppen) um das Stipendium für Puppenthea­ter-regie der Theater-stiftung Gera. Sie konnte sich gegen zehn weitere Regie-teams durchsetze­n. Die bejubelte Premiere am 30. Jahrestag des Mauerfalls war eine Abendvorst­ellung

für Erwachsene. Spannend wird sein, ob sich die jugendlich­e Zielgruppe auf so Exotisches wie Abrafaxe und Dunkelkamm­er einen Reim machen kann.

Während sie schwimmen, erzählt der Roman das Leben von Hanna und Andreas in Rückblende­n. So gelingt es der Autorin, ihre Sicht auf Kindheit und Jugend in der DDR über eine extrem spannende Rahmenhand­lung zu vermitteln. Werden sie überleben?, fiebert der Leser mit. Das Stück nun erzählt beide Geschichte­n in Rückblende­n. Richtig spannend ist das nicht. Aber Tanja Wehling und Tobias Weishaupt zuzusehen wie sie agieren, das ist ein Ereignis. Die Puppenspie­ler kramen in Erinnerung­en wie Willi Schwabe in seiner Rumpelkamm­er. Sie finden Fotos und Objekte, aus denen Geschichte­n werden. Sie arbeiten mit Projektion­en, Schattensp­iel, Puppenköpf­en, Pappmarion­etten und -puppen… Sie sind Schauspiel­er und Kulissensc­hieber. Sie verwandeln mit einer roten Schnur die Bühne in ein Schwimmbad, das nach Chlor zu riechen scheint, und dann immer wieder in die nächtliche Ostsee voller tödlicher Gefahren für zwei verzweifel­te, immer schwächer werdende Schwimmer.

Nächste Vorstellun­gen im Puppenthea­ter Gera: 12. und 13. 11., jeweils 10 Uhr; 14. 11., 18 Uhr; 15.11., 10 Uhr und 16.11., 19.30 Uhr

 ?? FOTOS(2): RONNY RISTOK ?? Als Figurenthe­ater von tobias weishaupt und tanja wehling auf die Bühne gebracht, schildert „Jenseits der blauen grenze“nach dem roman von Dorit Linke eindrückli­ch und bedrückend den Alltag von Jugendlich­en in den 1980er-jahren der DDR.
FOTOS(2): RONNY RISTOK Als Figurenthe­ater von tobias weishaupt und tanja wehling auf die Bühne gebracht, schildert „Jenseits der blauen grenze“nach dem roman von Dorit Linke eindrückli­ch und bedrückend den Alltag von Jugendlich­en in den 1980er-jahren der DDR.
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Auch das thema der republikfl­ucht zu wasser greift das Puppenspie­l auf.

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