Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Waldrufe und Eisanbeter
Beim 6. Legend of Cross müssen 2200 Teilnehmer Kälte und Nässe trotzen. Marcel Bräutigam mit Streckenrekord
Der Fußballplatz ist frostbedeckt. An der Mittellinie erwärmen sich zwei junge Männer auf dem weiß glitzernden Raureif. Tshirt, kurze schwarze Hose, Turnschuhe. Mehr brauchen sie an diesem Sonntagmorgen bei null Grad nicht. Ein bisschen verrückt seien sie zweifellos, sagen Henning Peeck, 28, und sein Bruder Johannes, 35, aus der Nähe von Hannover. „Seit zwei Jahren machen wir Kältetraining nach Wim Hof“, erzählt der Jüngere von ihrem Faible für die Kälte, inspiriert durch den als „Iceman“bekannten Niederländer. Damit sind sie heute, beim 6. Legend of Cross in Mühlberg, genau richtig. Die Teilnehmer müssen hartgesotten sein, vor allem diejenigen, die sich, wie die beiden Brüder, 9 Uhr auf den 27-Kilometer-kurs der „Berserker“machen.
Vor ihnen liegen Wassergräben, meterhohe Barrieren, Strohballen, knackige Anstiege hinauf zu den drei Gleichen, schlammige Wege, eine Wasserrutsche, die Mut erfordert. Die Ziele der Starter – 2199 insgesamt, 400 auf der längsten Distanz – sind unterschiedlich. „Überleben und ankommen“, grinst Stephan Friedrich aus Langenbernsdorf. „Drei Stunden wären schon schön“, meinen die Gebrüder Peeck. Marcel Bräutigam, vierfacher Rennsteiglaufsieger und deutscher Meister über 50 km, will den Streckenrekord des Vorjahres (2:07 h) knacken. Da war er über die kürzeren 17 km Zweiter geworden, nachdem er am ersten Wassergraben auf einem Stein gelandet war und sich den Fuß verstaucht hatte. So durchläuft er diesmal bedächtiger ebenjenen ersten Graben. Hier staut sich die Läuferschar, alle wollen die Ideallinie erwischen, durchs knie- statt hüfttiefe Wasser waten.
Dann, schwups, über zwei Barrieren den Berg hoch und quer übers Feld, ehe die „Berserker“für zwei Stunden in die freie Wildbahn zwischen Wachsenburg, Mühlburg und Burg Gleichen entschwinden.
Als die Uhr gerade elf schlägt, kommt ein drahtiger Läufer mit Stirnband den letzten Abhang hinunter gestürmt. Die 40-Meter-wasserrutsche, ein neues Element, meistert er ohne Probleme und stürzt sich mit Karacho in die vier brusttiefen Wassergräben. Hier schießt die Freiwillige Feuerwehr Mühlberg immer wieder Wasser hinein – insgesamt 330.000 Liter an diesem Tag, kein Crossläufer darf trocken bleiben. Er schlittert in den letzten Graben, der von Bauzäunen bedeckt ist und den man deshalb kriechend meistern muss.
Bei 2:00:19 Stunden läuft er über die Ziellinie. Marcel Bräutigam hat es geschafft: Streckenrekord. Obwohl er sich verlaufen hat, ist der 32Jährige kaum aus der Puste. Da staunt auch Peter Sendel, Biathlonolympiasieger mit der Staffel 1998 und heute Streckenposten am letzten Wasser-hindernis. „Ich selbst brauche das nicht, aber meine Mädels würde ich gern mal da durchscheuchen“, flachst Sendel. Mit seinen Mädels meint er den Biathlonb-kader der Frauen.
Sieger Bräutigam, der im Ziel gleich fachsimpelt und Autogramme schreibt, jubelt, obwohl seine Uhr 28,3 Kilometer anzeigt, über ein fast perfektes Rennen. „Nur im Wald, als ich mich verlaufen und gerufen habe, hat keiner geantwortet.“
Doch es geht beim Legend of Cross nicht nur um den Sieg. Als beim Nachwuchsrennen vier Kinder durch den letzten Wassergraben gerobbt sind, bleiben sie plötzlich stehen. „Komm, Pepe!“, feuern sie ihren fünften Mitstreiter an und warten auf ihn. Als Pepe da ist, laufen sie gemeinsam, Hand in Hand, ins Ziel. „So soll es sein – ein Crosslauf für Jedermann“, freut sich Veranstalter Nils Schumann.
Und die beiden „Eisanbeter“aus Niedersachsen? Sie schaffen ihr Vorhaben von drei Stunden nicht ganz. Als sie ins Ziel kommen, sind es acht Grad. Da war ihnen wohl einfach zu warm geworden.
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