Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Männer im Muskelwahn

Zwischen Fitness und Selbstopti­mierung – manche „Muskelsüch­tige“trainieren bis zu neunmal die Woche. Grund ist oft ein mangelndes Selbstwert­gefühl, so Experten

- Von Cordula Dieckman

Mit dem Protein-shake nach dem Training wollen sie den Muskelaufb­au beschleuni­gen, auch wenn das Pulver nicht gerade billig ist. Doch mit Eiweiß-kicks ist es natürlich nicht getan: Wer als Freizeitsp­ortler einen muskulösen Körper mit dicken Bizeps und Waschbrett­bauch will, muss hart dafür arbeiten. Nicht wenige greifen zu verbotenen Präparaten. Und für einige Männer wird die Schinderei zur Sucht: Muskelwach­stum wird zur fixen Idee, Sport zum Zwang.

Durchtrain­iert wirken die Körper in der Werbung für Studios und Trainingsg­eräte. Kaum ein Gramm Fett am Körper. Ideal, oder? Das sehen Dauersport­ler wie Gerrit für sich selbst anders: „Ich würde sagen, dass man nie wirklich zufrieden ist“, sagt der angehende Lehrer, 24, aus Frankfurt am Main. Er sei zwar muskulöser als der Durchschni­ttsbürger. Aber: „Beim Blick in den Spiegel fallen mir schon verschiede­ne Muskelpart­ien auf, auf die ich mich mehr fokussiere­n könnte.“

„Adonis-komplex“hat der Usamerikan­ische Psychiater Harrison G. Pope schon vor Jahren ein Phänomen

genannt, bei dem Männer besessen sind von dem Gedanken, ihren Körper perfekt zu stylen. Mittlerwei­le ist klar: Hier geht es um mehr als um persönlich­e Eitelkeit und Selbstopti­mierung. Fachleute sprechen von einer psychische­n Erkrankung, wenn sich das Leben um fast nichts anderes mehr dreht.

Gerade in der Bodybuilde­r-szene sind nach Meinung von Experten viele anfällig. Vom Adonis-komplex betroffene Männer halten sich trotz vieler Muskeln für unverhältn­ismäßig klein und schwach, so der in Australien tätige Neuropsych­iater Philip E. Mosley.

Christian Strobel kennt viele solcher Fälle. Bei der Caritas bietet der

Psychologe in München in einer Spezialamb­ulanz Hilfe für Muskelsüch­tige. „Es fängt mit einer gesunden Idee an: Hey, mach doch Sport, das ist gesund“, sagt er. Das kennt man, es klingt soweit normal. „Aber dann verselbsts­tändigt sich das.“

Manche seiner Patienten gingen sechs- bis neunmal die Woche ins Fitnessstu­dio. Ruhetage ohne Rudergerät­e und Hanteln können sie sich nicht vorstellen.

Gerrit ging es mehrere Jahre so: Von 2014 bis 2018 machte er den ganzen Tag fast nichts anderes als Sport. Als Student der Sportwisse­nschaften war er tagsüber an der Uni. Auf dem Stundenpla­n: Handball, Fußball, Basketball, Schwimmen und anderes. Ein Pensum, bei dem sich mancher Hobbysport­ler abends stöhnend aufs Sofa sinken lassen würde.

Nicht so Gerrit. „Ich bin trotzdem noch abends ins Fitnessstu­dio gegangen.“Krafttrain­ing machen. Auf bis zu fünf Stunden Sport und Muskelaufb­au kam der künftige Gymnasiall­ehrer an diesen Tagen, mehrmals die Woche. Zu Hause ging das Programm zur Optimierun­g der eigenen Optik abends weiter: „Dann war das große Fressen angesagt, um die ganze Energie reinzubeko­mmen.“

Mahlzeiten nach striktem Plan und mit möglichst vielen Proteinen – das kann sich zu einer Essstörung auswachsen. Strobel habe Patienten, die nichts Fettes mehr zu sich nähmen, sondern fast nur noch Eiweiß. „Da ist auch ein Stück Filet schon zu fett.“

Sie definieren sich stark über Äußerlichk­eiten. „Das ist ein sehr instabiler Selbstwert, der oft bröckelt.“Ursachen könnten in der Kindheit liegen, etwa weil man pummelig war und gehänselt wurde. Also geht es um die Frage: „Bin ich auch okay, wenn ich keine Muskeln habe?“

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FOTO:ISTOCK muskelpake­te: experten warnen vor Übertreibu­ng.

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