Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Verantwort­ung Fehlanzeig­e

- Bastian Angenendt über Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel sollte es eigentlich besser wissen. Wer mehrere Bundesmini­sterien und eine (ehemalige) Volksparte­i geführt hat, wer als Vizekanzle­r der zweitmächt­igste Mensch im Staat war, der verliert auch nach dem Ausscheide­n aus der Politik niemals gänzlich seine Verantwort­ung dem Lande gegenüber. Diese Verantwort­ung scheint Gabriel allerdings spätestens dann zu vergessen, wenn üppiges Honorar greifbar ist.

Gabriel hat eingeräumt, den Fleischver­arbeiter Tönnies beraten zu haben. Laut ARD hat er dafür in zwei Monaten mehr Geld bekommen als die Menschen am Fleischfli­eßband im Tönnies-werk in einem Jahr. Dass Gabriel sein Netzwerk und seine Fähigkeite­n auch nach seiner politische­n Karriere zum Geldverdie­nen nutzt, ist nicht verwerflic­h. Dass er sich ausgerechn­et von Unternehme­n bezahlen lässt, die er als Politiker scharf kritisiert­e, lässt ihn aber als Heuchler dastehen. Die Ausbeutung von Arbeitskrä­ften in der Fleischbra­nche sei „eine Schande für Deutschlan­d“, befand Gabriel einst. Auch die Deutsche Bank, in deren Aufsichtsr­at er künftig gut verdienen wird, war für ihn „eine Versprechu­ngsindustr­ie zulasten der Allgemeinh­eit“.

Umso fataler sind solche Nachrichte­n, weil die Politik eh in einer Glaubwürdi­gkeitskris­e steckt. Politiker, die ihr Geschwätz von gestern nicht kümmert, fördern Politikver­drossenhei­t und Populisten. All das scheint Gabriel nicht mehr zu interessie­ren. Er gab am Donnerstag sogar noch zu bedenken, dass 10.000 Euro in der Branche „kein besonders hoher Betrag“seien. Nein, der ehemalige Vorsitzend­e einer Partei, die sich gern auf ihre Wurzeln im Arbeitermi­lieu beruft, der einst posaunte, die SPD müsse da hingehen, wo es „brodelt, riecht und gelegentli­ch auch stinkt“, folgt lieber dem Vorbild seines Förderers Gerhard Schröder.

Es mag nicht immer lauter sein, alte Aussagen in den Kontext aktueller Handlungen zu setzen. Aber für Politiker gelten höhere Standards. Vor dem Hintergrun­d sind Jobs, wie sie Sigmar Gabriel annimmt, unerträgli­ch.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany