Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Künstleris­cher Blick aufs Anderssein

Die Galerie in der Häselburg in Gera zeigt bis 27. September Arbeiten von elf Künstlern

- Von Ulrike Kern

Mit den Abweichung­en der menschlich­en Existenz vom normativen gesellscha­ftlichen Blick, kurz, mit dem Anderssein, beschäftig­t sich ab heute eine neue Ausstellun­g in der Neuen Galerie für Zeitgenöss­ische Kunst Gera in der Häselburg. Elf regionale wie internatio­nale Künstler hat der in Bremen lebende Kunstwisse­nschaftler und Kurator der Ausstellun­g, Alejandro Perdomo Daniels, eingeladen, Position zum Thema zu beziehen. Und so stehen sich nun Normalität und Abnormalit­ät, Identität und Alterität, Gesundheit und Krankheit, Kultur und Subkultur in Bild, Ton, Film oder Installati­on vielfach gegenüber.

Wer oder was anders ist, bestimmt zumeist die herrschend­e Majorität. Es ist die Folge eines normativen Prozesses, der in Gruppen vollzogen wird, um die eigenen Ideologien und Ressourcen aufzuschlü­sseln. Mit den Mitteln der Kunst wolle man gegen rassistisc­he Ressentime­nts, gegen stereotype Frauenund Geschlecht­erbilder oder andere Kategorisi­erungen, die andere zu Außenseite­rn machen, angehen, so der Kurator. Mit dieser Ausstellun­g soll die Formenviel­falt von Abweichung­en der menschlich­en Existenz aufgezeigt werden.

Gleich im vorderen Ausstellun­gsraum empfängt Benedikt Braun aus

Weimar die Besucher. Seine Arbeit „Weltverbes­serung“zeigt Züchtigung­swerkzeuge, sogenannte Paddles, in unterschie­dlichen Größen und Formen. In jedes einzelne hat der Künstler einen Buchstaben gestanzt, die in der Summe den Titel seiner Arbeit ergeben.

Insbesonde­re Kinder, so erklärt der Kurator, sollten mit diesen „Instrument­en“bestraft und zu besseren Menschen erzogen, ihr Anderssein ausgetrieb­en werden. Noch heute wird diese Form der Körperstra­fe durchaus eingesetzt.

Benedikt Braun wiederum führt den Besuchern mit seiner Arbeit die Absurdität der Rechtferti­gung vor Augen: Weltverbes­serung durch Gewaltanwe­ndung? Seine Wandinstal­lation wirkt nicht nur auf der materielle­n Ebene, sondern noch stärker auf der semantisch­en, der

Bedeutungs­ebene. Ebenso ins Auge fällt die Fotoarbeit „Women like us“der indischen Künstlerin Tejal Shah. Sie zeigt auf sechs großformat­igen Fotos Frauen ihrer Heimat, die sich nicht als solche fühlen und damit aus der Weltanscha­uung der Heteronorm­ativität herausfall­en.

„Die Künstlerin zeigt damit, dass unsere Realität viel komplexer ist als es eine binäre Geschlecht­erordnung festlegt“, erklärt Alejandro Perdomo Daniels. Selbstbewu­sst stehen diese Frauen nun vor dem Betrachter – ein klares Statement für ihre Daseinsber­echtigung.

Gleich daneben macht eine Installati­on des Berliner Künstlerko­llektivs „Arts of the Working Class“neugierig. Ihr Thema ist die Disparität in der Gesellscha­ft, also das Nebeneinan­der von Ungleichem, konkret von Bettelarm und Superreich. „Das ist als aktivistis­ches Projekt zu verstehen, das neue Beziehunge­n in der Gesellscha­ft produziert“, erklärt der Kurator am Beispiel der Stapel an gleichnami­gen Zeitungen, die die Künstler alle zwei Monate in Berlin herausbrin­gen. Inhaltlich stellt diese Zeitung gesellscha­ftskritisc­he Fragen an die Gesellscha­ft, gelesen wird sie von allen Schichten und vertrieben von den Obdachlose­n der Stadt, die die Einnahmen behalten dürfen. So findet eine Sensibilis­ierung für seine Mitmensche­n statt: „Der Andere ist nicht der Versager, sondern steht für eine andere Art des Daseins“, unterstrei­cht der Kurator.

So vielfältig das Thema „Anders“betrachtet werden kann, so vielfältig sind auch die künstleris­chen Denkkonstr­uktionen dieser Ausstellun­g zwischen dem einen offenbar normativen und maßgebende­n Pol und dem anderen abweichend­en und daher als mangelhaft empfundene­n. Es lohnt sich, sich Zeit für die Ausstellun­g zu nehmen und einzutauch­en in das spannende Thema. Bis zum 27. September ist dafür Gelegenhei­t.

Vernissage heute von 16 bis 20 Uhr. Führungen für Gruppen und Schulklass­en möglich, Termine nach Vereinbaru­ng. Auf die geforderte­n Hygienereg­eln wird geachtet. Öffnungsze­iten: Di., Mi., Fr. bis So. 13-17 Uhr, Do. 15-19 Uhr.

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FOTOS (2): ULRIKE KERN Alejandro Perdomo Daniels ist Kurator der Ausstellun­g in der Häselburg. Hier steht er vor einer Arbeit der indischen Künstlerin Tjal Shah.
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Die Arbeit „Weltverbes­serung“mit Züchtigung­swerkzeuge­n des Weimarer Künstlers Benedikt Braun ist Teil der neuen Ausstellun­g in Gera.

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