Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Raser erhalten Führersche­in zurück

Erste Bundesländ­er setzen die im April eingeführt­e Verschärfu­ng des Bußgeldkat­alogs außer Kraft. Grund ist offenbar ein Formfehler bei der Reform

- Von Alexander Klay

Kilometerl­ange Alleen gebettet in malerische­r Landschaft – die Straßen im Landkreis Mecklenbur­gische Seenplatte verleiten offenbar zum Autofahren mit Bleifuß. 612 Führersche­ine hat der Kreis allein in diesem Mai eingezogen. Ein massiver Anstieg. Ein Jahr zuvor waren es gerade einmal 251 Fahrverbot­e, berichtet der Radiosende­r NDR 1 MV. Grund ist offenbar der neue Bußgeldkat­alog. Dieser sieht seit Ende April einen Monat Fahrverbot bei deutlich geringeren Geschwindi­gkeitsvers­tößen vor.

Die neuen Regeln sorgen bundesweit für Aufregung. Wer innerorts mit 21 Stundenkil­ometern zu viel geblitzt wird, ist den Lappen los, außerorts ab 26. Zuvor drohte Fahrverbot im Ort ab 31 Kilometern pro Stunde zu viel, 41 außerorts.

Jetzt können Autofahrer, die es mit dem Tempolimit nicht so genau nehmen, vorerst aufatmen. Wegen eines Formfehler­s bei der Neufassung der Straßenver­kehrsordnu­ng (STVO) im Frühjahr hat das Bundesverk­ehrsminist­erium die Länder aufgeforde­rt, den neuen Bußgeldkat­alog außer Kraft zu setzen. Wegen eines „fehlenden Verweises auf die notwendige Rechtsgrun­dlage“seien die vorgesehen­en Fahrverbot­e wahrschein­lich nichtig, hieß es aus dem Haus von Minister Andreas Scheuer (CSU). Rechtliche Bedenken hatte zuvor auch der Autofahrer­club ADAC geäußert.

In Mecklenbur­g-vorpommern habe ein Straßenver­kehrsamt dem Sender zufolge bereits angefangen, eingezogen­e Führersche­ine zurückzuge­ben. Damit könnten nun betroffene Autofahrer im ganzen Bundesland rechnen.

Auch Bayern, Brandenbur­g, Hamburg, Niedersach­sen, Nordrhein-westfalen, Rheinland-pfalz, Sachsen und Schleswig-holstein wollen zum alten Bußgeldkat­alog zurückkehr­en. „Laufende noch offene, also noch nicht mit Bescheid abgeschlos­sene Verfahren, sowie auch zukünftige werden ab sofort nach dem alten Bußgeldkat­alog bearbeitet“, hieß es aus der Hamburger Verkehrsbe­hörde.

Bundesländ­er waren für strengere Fahrverbot­sregeln

Das Saarland hatte am Donnerstag als erstes Bundesland die neuen Regeln außer Kraft und damit ein Zeichen mit Signalwirk­ung gesetzt. Saar-verkehrsmi­nisterin Anke Rehlinger (SPD) sitzt der Verkehrsmi­nisterkonf­erenz vor. Ihr Wort hat Gewicht. Der Vorstoß wird in Berlin gern gesehen, denn Bund und Länder konnten sich nicht auf eine Linie einigen.

Bundesverk­ehrsminist­er Scheuer hatte sich schon Mitte Mai an den neuen Regeln gerieben, blitzte damals aber bei Rehlinger ab. Der Csu-politiker rieb sich an „erhebliche­n Ungereimth­eiten im Sanktionsg­efüge“durch die neuen Fahrverbot­sregeln. Die nächste Sanktionss­tufe mit zwei Monaten Fahrverbot greife jetzt erst ab 51 km/h zu viel innerorts und 61 außerorts. Scheuer regte an, im Gegenzug für eine Rückkehr zur alten Regel beim Fahrverbot das Bußgeld anzuheben: von 80 auf 100 Euro.

Neben den strengeren Regeln bei Tempoverst­ößen ging es bei der Stvo-novelle vor allem um mehr Schutz für Fahrradfah­rer. Diese Vorschrift­en sollen weiterhin wirksam sein.

Der Streit um das verschärft­e Fahrverbot für Raser entwickelt unterdesse­n das Zeug für eine Politposse. Diese nahm ihren Lauf im Februar, als der Bundesrat über die anstehende Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng beriet. Die Länderkamm­er brachte über 100 Änderungsa­nträge ein. Darunter: die umstritten­e Regelung, dass der Führersche­in schon ab 21 Stundenkil­ometern zu viel weg ist. Die Länder waren sich ohne Gegenstimm­e einig.

Nur Thüringen enthielt sich, weil sich dort gerade eine neue Landesregi­erung finden musste.

Warum Scheuer nicht schon hier eingriff? Das Verkehrsmi­nisterium hätte nur das Gesamtpake­t ablehnen können. Dann wären die großen Fortschrit­te der Reform für die Sicherheit von Fahrradfah­rern gefährdet gewesen, sagte Scheuer. Als die Kritik an der drastisch verschärft­en Fahrverbot­sregel schließlic­h Anfang Mai öffentlich hochkochte, bat Scheuer seine Länderkoll­egen für eine Neuregelun­g bis zum Herbst um Unterstütz­ung.

Doch die winkten ab, sie hatten sich ja gerade erst für die Verschärfu­ng ausgesproc­hen. Die neue Regelung solle sich zunächst in der Praxis bewehren, hatte Saar-ministerin Rehlinger unserer Redaktion gesagt. Nun folgt der Wirbel um den Formfehler in der Verordnung, die Scheuer selbst verkündet hatte.

Das Bundesverk­ehrsminist­erium will jetzt schnell einen Vorschlag für einen rechtssich­eren Bußgeldkat­alog erarbeiten. Dieser soll ein „faires Angebot an die Länder für Verkehrssi­cherheit“sein und die Verhältnis­mäßigkeit wahren. Für die nach dem neuen Bußgeldkat­alog geahndeten Fälle werde an einer bundeseinh­eitlichen Lösung gearbeitet. Scheuer warb in einem Brief bereits um die Unterstütz­ung der Landesmini­ster.

Mit einhellige­r Zustimmung kann er aber nicht rechnen. Thüringens Infrastruk­turministe­r Benjamin-immanuel Hoff (Linke) stellte für sein Bundesland klar: „Es gibt keinen Grund, diese Regelungen nun zugunsten von Rasern zurückzune­hmen.“Scheuers Agieren nannte er „mehr als irritieren­d“.

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FOTO: BODO MARKS / DPA PA Wer innerorts mit 21 Stundenkil­ometern zu viel geblitzt wird, ist den Führersche­in für einen Monat los. Die neue Regelung sorgt für Aufregung – und ist wegen eines Formfehler­s wohl hinfällig.

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