Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Wir wollten nie systemrelevant sein
Der evangelische Landesbischof hält seine erste Andacht an der 1000-jährigen Eiche in Nöbdenitz
Es war der erste Besuch des neuen Landesbischofs der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) im Nöbdenitzer Pfarrhof. Seit vorigem September ist Friedrich Kramer oberster Hirte von beinahe 700.000 Gläubigen mit 3972 Kirchen. Er brachte seine Gitarre mit und zeigte sich vor den etwa 25 Besuchern bestens aufgelegt.
Der eigens aus Berlin angereiste Bischof hielt eine Abendandacht im Pfarrhof. Zum Abschluss spielte und sang Kramer „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, nach einem Gedicht von Dietrich Bonhoeffer. Während des Liedes verfinstert sich der Abendhimmel rapide, man konnte den Regen bereits riechen. Ein Zufall, der auch Superintendentin Kristin Jahn ein Schmunzeln abrang.
Gemeinden vor Ort müssen den Erhalt der Kirchen sichern
Gemeindekirchenrat Wolfgang Göthe hatte viel Ausdauer bewiesen, den neuen Bischof ins Altenburger Land zu holen. Darum nutzte er als erster die Gelegenheit, die Nöbdenitzer Kirchgemeinde mit ihren 220 Mitgliedern und ihre beachtliche Arbeit der vergangenen Jahre vorzustellen. Karla Göthe lud Bischof Kramer bereits zu den Fastengesprächen im kommenden Jahr ein.
Im Anschluss setzte eine große Fragerunde ein, die nach wenigen Minuten wegen des einsetzenden Regens unter das Dach der Scheune verlagert wurde. Kramer antwortete dabei auch auf kritische Fragen unverblümt. „Wir haben Jacken, die zu groß sind. Wenn wir alle Gebäude erhalten wollen, müssten wir unseren gesamten Etat allein in die Gebäude stecken“, so der Bischof. Es müssten sich lokale Initiativen bilden, um die Gotteshäuser zu erhalten. „Denn wo die Kirche einstürzt, da ist auch die Seele der Gemeinde tot“, so Kramer.
Umfassender Strukturwandel notwendig
Der Bischof hielt dabei auch mit unangenehmen Zahlen nicht hinter dem Berg. „Ich höre oft: Wir haben keinen Pfarrer mehr. Das stimmt nicht, denn es ist immer jemand für sie zuständig. Der sitzt nur nicht mehr im gleichen Ort“, sagte Kramer und verwies auf die Historie: Um das Jahr 1900 sei ein Pfarrer für 3000 bis 5000 Gemeindeglieder zuständig gewesen. Am Ende der DDR waren es nur noch rund 500
Gemeindeglieder je Pfarrer. Man habe sich darum an diese niedrigen Zahlen gewöhnt, dabei könne es aber nicht bleiben.
Eine weitere Schwierigkeit sei die Altersstruktur innerhalb der Kirche.
Schon jetzt befänden sich in der EKM etwa 1200 Ruheständler und nur noch 900 aktive Pfarrer. „Jedes Jahr kommen rund 15 neue hinzu und 45 gehen in den Ruhestand“, so Kramer. Man stehe vor großen Veränderungen, dürfe sich aber nicht klein machen. Jedoch könne das Ehrenamt das Hauptamt nicht ersetzen. Wichtig sei es, Kooperationen mit Partner außerhalb der Kirche zu suchen, so der Landesbischof. „Wir haben noch etwa 15 Jahre Zeit. Die müssen wir nutzen, um gute Strukturen aufzubauen. Wir müssen uns anpassen.“
Mitgliederschwund hat gesellschaftliche Ursachen
Die immer noch steigende Zahl der Kirchenaustritte seien weniger ein Verschulden der Kirche, als vielmehr ein Indiz dafür, wie sich die Gesellschaft ändere. In Hamburg habe die Kirche genauer analysiert, wer austrete. „Es sind nicht die Reichen, nicht die Armen. Sondern die hoch verbundenen, die sich im Kirchenchor oder ähnlichem engagieren.“Diese wollten oft einfach Steuern sparen. Ein weiterer Faktor sei das schlechte Image der Kirche, die oft noch fälschlicherweise pauschal mit Hexenverbrennungen oder Kindesmissbrauch in Verbindung gebracht werde. „Diese negative Sicht ist wie ein Virus. Eines, das viel gefährlicher ist als das Coronavirus“, so Friedrich Kramer.
Das in der Gesellschaft verbreitete Denken von oben gegen unten sollte man nicht in die Kirche hereinschwappen lassen. Es freue ihn, bei seinen Besuchen in den Gemeinden immer wieder auf Leute wie die Göthes zu treffen. Er wünschte sich, dass es mehr Kirchgemeinden wie die in Nöbdenitz gäbe, so Kramer.
„Wie haben Sie die Coronazeit erlebt“, war eine von zahlreichen Fragen, die der Landesbischof selber stellte. Pfarrer Dietmar Wiegand berichtete vom großen Zuspruch, den die Videoandachten im Internet erfahren. Das und die Botschaft, dass die Kirchen in Nöbdenitz und Lohma trotz der Pandemie die ganze Zeit offen gehalten wurden, überraschte den Bischof positiv. „Wir müssen uns nicht dafür schämen, dass wir nicht systemrelevant sind. Das wollten wir auch nie. Wir sind dafür Himmelreichs-relevant“, so Kramer.