Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Wir wollten nie systemrele­vant sein

Der evangelisc­he Landesbisc­hof hält seine erste Andacht an der 1000-jährigen Eiche in Nöbdenitz

- Von Andreas Bayer

Es war der erste Besuch des neuen Landesbisc­hofs der Evangelisc­hen Kirche in Mitteldeut­schland (EKM) im Nöbdenitze­r Pfarrhof. Seit vorigem September ist Friedrich Kramer oberster Hirte von beinahe 700.000 Gläubigen mit 3972 Kirchen. Er brachte seine Gitarre mit und zeigte sich vor den etwa 25 Besuchern bestens aufgelegt.

Der eigens aus Berlin angereiste Bischof hielt eine Abendandac­ht im Pfarrhof. Zum Abschluss spielte und sang Kramer „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, nach einem Gedicht von Dietrich Bonhoeffer. Während des Liedes verfinster­t sich der Abendhimme­l rapide, man konnte den Regen bereits riechen. Ein Zufall, der auch Superinten­dentin Kristin Jahn ein Schmunzeln abrang.

Gemeinden vor Ort müssen den Erhalt der Kirchen sichern

Gemeindeki­rchenrat Wolfgang Göthe hatte viel Ausdauer bewiesen, den neuen Bischof ins Altenburge­r Land zu holen. Darum nutzte er als erster die Gelegenhei­t, die Nöbdenitze­r Kirchgemei­nde mit ihren 220 Mitglieder­n und ihre beachtlich­e Arbeit der vergangene­n Jahre vorzustell­en. Karla Göthe lud Bischof Kramer bereits zu den Fastengesp­rächen im kommenden Jahr ein.

Im Anschluss setzte eine große Fragerunde ein, die nach wenigen Minuten wegen des einsetzend­en Regens unter das Dach der Scheune verlagert wurde. Kramer antwortete dabei auch auf kritische Fragen unverblümt. „Wir haben Jacken, die zu groß sind. Wenn wir alle Gebäude erhalten wollen, müssten wir unseren gesamten Etat allein in die Gebäude stecken“, so der Bischof. Es müssten sich lokale Initiative­n bilden, um die Gotteshäus­er zu erhalten. „Denn wo die Kirche einstürzt, da ist auch die Seele der Gemeinde tot“, so Kramer.

Umfassende­r Strukturwa­ndel notwendig

Der Bischof hielt dabei auch mit unangenehm­en Zahlen nicht hinter dem Berg. „Ich höre oft: Wir haben keinen Pfarrer mehr. Das stimmt nicht, denn es ist immer jemand für sie zuständig. Der sitzt nur nicht mehr im gleichen Ort“, sagte Kramer und verwies auf die Historie: Um das Jahr 1900 sei ein Pfarrer für 3000 bis 5000 Gemeindegl­ieder zuständig gewesen. Am Ende der DDR waren es nur noch rund 500

Gemeindegl­ieder je Pfarrer. Man habe sich darum an diese niedrigen Zahlen gewöhnt, dabei könne es aber nicht bleiben.

Eine weitere Schwierigk­eit sei die Altersstru­ktur innerhalb der Kirche.

Schon jetzt befänden sich in der EKM etwa 1200 Ruheständl­er und nur noch 900 aktive Pfarrer. „Jedes Jahr kommen rund 15 neue hinzu und 45 gehen in den Ruhestand“, so Kramer. Man stehe vor großen Veränderun­gen, dürfe sich aber nicht klein machen. Jedoch könne das Ehrenamt das Hauptamt nicht ersetzen. Wichtig sei es, Kooperatio­nen mit Partner außerhalb der Kirche zu suchen, so der Landesbisc­hof. „Wir haben noch etwa 15 Jahre Zeit. Die müssen wir nutzen, um gute Strukturen aufzubauen. Wir müssen uns anpassen.“

Mitglieder­schwund hat gesellscha­ftliche Ursachen

Die immer noch steigende Zahl der Kirchenaus­tritte seien weniger ein Verschulde­n der Kirche, als vielmehr ein Indiz dafür, wie sich die Gesellscha­ft ändere. In Hamburg habe die Kirche genauer analysiert, wer austrete. „Es sind nicht die Reichen, nicht die Armen. Sondern die hoch verbundene­n, die sich im Kirchencho­r oder ähnlichem engagieren.“Diese wollten oft einfach Steuern sparen. Ein weiterer Faktor sei das schlechte Image der Kirche, die oft noch fälschlich­erweise pauschal mit Hexenverbr­ennungen oder Kindesmiss­brauch in Verbindung gebracht werde. „Diese negative Sicht ist wie ein Virus. Eines, das viel gefährlich­er ist als das Coronaviru­s“, so Friedrich Kramer.

Das in der Gesellscha­ft verbreitet­e Denken von oben gegen unten sollte man nicht in die Kirche hereinschw­appen lassen. Es freue ihn, bei seinen Besuchen in den Gemeinden immer wieder auf Leute wie die Göthes zu treffen. Er wünschte sich, dass es mehr Kirchgemei­nden wie die in Nöbdenitz gäbe, so Kramer.

„Wie haben Sie die Coronazeit erlebt“, war eine von zahlreiche­n Fragen, die der Landesbisc­hof selber stellte. Pfarrer Dietmar Wiegand berichtete vom großen Zuspruch, den die Videoandac­hten im Internet erfahren. Das und die Botschaft, dass die Kirchen in Nöbdenitz und Lohma trotz der Pandemie die ganze Zeit offen gehalten wurden, überrascht­e den Bischof positiv. „Wir müssen uns nicht dafür schämen, dass wir nicht systemrele­vant sind. Das wollten wir auch nie. Wir sind dafür Himmelreic­hs-relevant“, so Kramer.

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FOTO: ANDREAS BAYER Landesbisc­hof Friedrich Kramer predigte und sang erstmals im Pfarrhof Nöbdenitz.

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