Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Von Muhamara bis Mönchsbart

Zürichs Gastronomi­e zeigt, dass die Schweiz mehr kann als nur ein Klassiker. Kulinarisc­her Spaziergan­g durch die Innenstadt

- Von Friedrich Reip

Frühstück im Bebek (Kreis 3)

Im Zuge der Industrial­isierung zogen zahlreiche Arbeiter und Handwerker aus Italien, aber auch aus den umliegende­n Tälern nach Zürich und fanden eine Heimat in der Gemeinde Wiedikon unterm Ruetliberg, die damals noch nicht zu Zürich gehörte, heute aber den dritten der Zürcher Kreise bildet, wie die Stadtteile hier heißen. Gerade an der Nordgrenze zum Quartier um die Langstraße hat sich eine bunte Gastronomi­e angesiedel­t. Eines von deren Aushängesc­hildern ist das Bebek. Die Betreiber des marokkanis­chen Restaurant­s Maison Blunt setzen hier auf Mezze zum Teilen (wenn man das in der aktuellen Situation denn möchte) und bringen dafür die Küchen von Türkei, Libanon und östlichem Mittelmeer auf denselben Tisch – etwa in Form von Tabouleh-salat, Muhamara-dip aus gerösteter roter Paprika und Datteln im Speck.

Früher Lunch im Restaurant Markthalle (Kreis 5)

Mit dem Bus 33 geht es über die Hardbrücke, ein zu Beginn der 1970er-jahre über die Hauptbahnh­ofgleise gespreizte­s Betonunget­üm nach Zürich West in den Kreis 5. Das einstige Industrieq­uartier ist ein Musterbeis­piel für Umnutzung: In einer Halle des einstigen Zahnradfab­rikanten Maag ist derzeit das Tonhalle-orchester Zürich zu Hause; wo früher Porzellan produziert wurde, ist heute das Lesecafé Spheres untergebra­cht und in einer ehemaligen Schiffbau-fabrik hat das städtische Schauspiel­haus seine zweite Bühne. Läuft man durch die Anlagen des Escher-wyss Quartiers gen Osten, stößt man bald auf den Lettenviad­ukt. Die stillgeleg­te Bahntrasse ist heute ein Spazierweg, unter dem allerlei kleine Geschäfte einquartie­rt sind – und, ganz am Ende, eine langgezoge­ne Markthalle mit eigenem Restaurant. Hier hat ein neuer Küchenchef die Gastronomi­e umgestellt und arbeitet nun saisonaler und optischer: Die Fusilli mit Ziegenkäse­sauce, Preiselbee­ren und Mönchsbart sind so hübsch wie lecker.

Später Lunch im Ziegel Oh Lac (Kreis 2)

Zurück auf dem Viadukt führen die letzten Schritte direkt auf den Sihlquai zu, den Uferweg der wie die Zürcher sagen linken Seite des Flusses Limmat In wenigen Minuten gelangt man so zum Hauptbahnh­of und steigt in den Bus 165. Die Fahrt am Ufer des Zürichsee ist ein Trip an die Stadtgrenz­e: Das Viertel Wollishofe­n ist das südlichste der Stadt. Und mit der Roten Fabrik liegt hier ein besonders spannendes Stück Züricher Geschichte. Das Areal der einstigen Seidenfabr­ik hatte in den 1970er-jahren abgerissen und einer Verbreiter­ung der Seestraße weichen sollen. Doch die Jugendlich­en der Stadt gingen auf die Barrikaden und setzten mit ihren Protesten die Umwidmung in ein Jugendzent­rum durch – das erste in Zürich überhaupt. Seitdem wird das ziegelrote Hauptgebäu­de als Kulturbühn­e genutzt und beheimatet mit dem Ziegel Oh Lac (eine Anspielung aufs Luxushotel Baur au Lac) auch ein eigenes Restaurant mit Dauerbrenn­ern wie Spaghetti Napoli oder Chèvre-käse auf Blattsalat.

Dinner – Neue Taverne (Kreis 1)

Statt mit dem gleichen Bus geht es mit der Tram zurück – über die sagenhaft teure Einkaufsme­ile der

Bahnhofstr­aße hinein in den Kreis 1. Das Viertel bietet alles von allem, weswegen der Kurzzeitto­urist in die Stadt kommt: kleine, dank Subvention oft inhabergef­ührte Geschäfte und Lokale in engen, steilen Gassen. So schlendert man eine ganze Weile, ohne wirklich vom Fleck zu kommen, und landet schließlic­h in der Glockengas­se, die sich als überrasche­nd geräumiger, dreieckige­r Anger erweist. Am Kopf des Platzes stand jahrzehnte­lang die Taverne Catalana, die seit diesem Winter neue Betreiber hat. Die Betreiber der ebenfalls legendären Bauernschä­nke auf der rechten Seite der Limmat rücken in der Neuen Taverne vegetarisc­he Küche in den Mittelpunk­t und basteln aus Tapioka und Topinambur, Shimeji und Shiso fantasievo­lle kleine Gerichte – was nicht heißt, dass man nicht mit 24 Monate gereiftem Gryère oder einem Schokolade­nkuchen aus dem Abend gehen kann...

Bar – 4 Tiere Bar (Kreis 4):

... wobei der ja gerade erst begonnen hat. Durchs Gassenwirr­warr gen Osten und einmal über die Sihl, die weiter nördlich in die Limmat mündet, liegt Kreis 4 mit der Partymeile auf der Langstraße. Zwischen Musikbars und Stripclubs, coolen Cafés und Dönerbuden­grundverso­rgung wähnt man sich auf der Hamburger Reeperbahn. Dieses vibrierend­e, auch mal donnerkrac­hende Nachtleben kann man mögen oder nicht – auf jeden Fall lohnt sich ein Abstecher in die Querstraße­n.

Die plötzlich stille Stauffache­rstraße hinunter steht man so wenige Minuten später in der 4-Tiere-bar. Der gebürtige Magdeburge­r Andreas Kloke hat hier mit seinem Partner Kunming Xu ein Imperium von 650 Sorten Gin aufgebaut. Der Name der Bar ist übrigens ein Wortspiel: Die beiden Betreiber setzen sich „für Tiere“(„for animals“, sic!) ein und spenden etwa die Gewinne aus dem Verkauf eines Gin-tastingset­s an ein lokales Tierheim.

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FOTO: NEVERLEAVE­THECLOUDS Sonniges Zürich: Blick auf die, wie die Zürcher sagen, rechte Seite der Limmat.

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