Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Von Muhamara bis Mönchsbart
Zürichs Gastronomie zeigt, dass die Schweiz mehr kann als nur ein Klassiker. Kulinarischer Spaziergang durch die Innenstadt
Frühstück im Bebek (Kreis 3)
Im Zuge der Industrialisierung zogen zahlreiche Arbeiter und Handwerker aus Italien, aber auch aus den umliegenden Tälern nach Zürich und fanden eine Heimat in der Gemeinde Wiedikon unterm Ruetliberg, die damals noch nicht zu Zürich gehörte, heute aber den dritten der Zürcher Kreise bildet, wie die Stadtteile hier heißen. Gerade an der Nordgrenze zum Quartier um die Langstraße hat sich eine bunte Gastronomie angesiedelt. Eines von deren Aushängeschildern ist das Bebek. Die Betreiber des marokkanischen Restaurants Maison Blunt setzen hier auf Mezze zum Teilen (wenn man das in der aktuellen Situation denn möchte) und bringen dafür die Küchen von Türkei, Libanon und östlichem Mittelmeer auf denselben Tisch – etwa in Form von Tabouleh-salat, Muhamara-dip aus gerösteter roter Paprika und Datteln im Speck.
Früher Lunch im Restaurant Markthalle (Kreis 5)
Mit dem Bus 33 geht es über die Hardbrücke, ein zu Beginn der 1970er-jahre über die Hauptbahnhofgleise gespreiztes Betonungetüm nach Zürich West in den Kreis 5. Das einstige Industriequartier ist ein Musterbeispiel für Umnutzung: In einer Halle des einstigen Zahnradfabrikanten Maag ist derzeit das Tonhalle-orchester Zürich zu Hause; wo früher Porzellan produziert wurde, ist heute das Lesecafé Spheres untergebracht und in einer ehemaligen Schiffbau-fabrik hat das städtische Schauspielhaus seine zweite Bühne. Läuft man durch die Anlagen des Escher-wyss Quartiers gen Osten, stößt man bald auf den Lettenviadukt. Die stillgelegte Bahntrasse ist heute ein Spazierweg, unter dem allerlei kleine Geschäfte einquartiert sind – und, ganz am Ende, eine langgezogene Markthalle mit eigenem Restaurant. Hier hat ein neuer Küchenchef die Gastronomie umgestellt und arbeitet nun saisonaler und optischer: Die Fusilli mit Ziegenkäsesauce, Preiselbeeren und Mönchsbart sind so hübsch wie lecker.
Später Lunch im Ziegel Oh Lac (Kreis 2)
Zurück auf dem Viadukt führen die letzten Schritte direkt auf den Sihlquai zu, den Uferweg der wie die Zürcher sagen linken Seite des Flusses Limmat In wenigen Minuten gelangt man so zum Hauptbahnhof und steigt in den Bus 165. Die Fahrt am Ufer des Zürichsee ist ein Trip an die Stadtgrenze: Das Viertel Wollishofen ist das südlichste der Stadt. Und mit der Roten Fabrik liegt hier ein besonders spannendes Stück Züricher Geschichte. Das Areal der einstigen Seidenfabrik hatte in den 1970er-jahren abgerissen und einer Verbreiterung der Seestraße weichen sollen. Doch die Jugendlichen der Stadt gingen auf die Barrikaden und setzten mit ihren Protesten die Umwidmung in ein Jugendzentrum durch – das erste in Zürich überhaupt. Seitdem wird das ziegelrote Hauptgebäude als Kulturbühne genutzt und beheimatet mit dem Ziegel Oh Lac (eine Anspielung aufs Luxushotel Baur au Lac) auch ein eigenes Restaurant mit Dauerbrennern wie Spaghetti Napoli oder Chèvre-käse auf Blattsalat.
Dinner – Neue Taverne (Kreis 1)
Statt mit dem gleichen Bus geht es mit der Tram zurück – über die sagenhaft teure Einkaufsmeile der
Bahnhofstraße hinein in den Kreis 1. Das Viertel bietet alles von allem, weswegen der Kurzzeittourist in die Stadt kommt: kleine, dank Subvention oft inhabergeführte Geschäfte und Lokale in engen, steilen Gassen. So schlendert man eine ganze Weile, ohne wirklich vom Fleck zu kommen, und landet schließlich in der Glockengasse, die sich als überraschend geräumiger, dreieckiger Anger erweist. Am Kopf des Platzes stand jahrzehntelang die Taverne Catalana, die seit diesem Winter neue Betreiber hat. Die Betreiber der ebenfalls legendären Bauernschänke auf der rechten Seite der Limmat rücken in der Neuen Taverne vegetarische Küche in den Mittelpunkt und basteln aus Tapioka und Topinambur, Shimeji und Shiso fantasievolle kleine Gerichte – was nicht heißt, dass man nicht mit 24 Monate gereiftem Gryère oder einem Schokoladenkuchen aus dem Abend gehen kann...
Bar – 4 Tiere Bar (Kreis 4):
... wobei der ja gerade erst begonnen hat. Durchs Gassenwirrwarr gen Osten und einmal über die Sihl, die weiter nördlich in die Limmat mündet, liegt Kreis 4 mit der Partymeile auf der Langstraße. Zwischen Musikbars und Stripclubs, coolen Cafés und Dönerbudengrundversorgung wähnt man sich auf der Hamburger Reeperbahn. Dieses vibrierende, auch mal donnerkrachende Nachtleben kann man mögen oder nicht – auf jeden Fall lohnt sich ein Abstecher in die Querstraßen.
Die plötzlich stille Stauffacherstraße hinunter steht man so wenige Minuten später in der 4-Tiere-bar. Der gebürtige Magdeburger Andreas Kloke hat hier mit seinem Partner Kunming Xu ein Imperium von 650 Sorten Gin aufgebaut. Der Name der Bar ist übrigens ein Wortspiel: Die beiden Betreiber setzen sich „für Tiere“(„for animals“, sic!) ein und spenden etwa die Gewinne aus dem Verkauf eines Gin-tastingsets an ein lokales Tierheim.