Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Goethes Handwerk in Kochberg

„Die Mitschuldi­gen“folgen vorm Liebhabert­heater einer historisch­en Aufführung­spraxis

- Von Michael Helbing

Als sie dieses kleine Lustspiel zuletzt in unseren Breiten gaben, seit 2006 am Nationalth­eater zu Weimar, da flogen Eier und Tomaten: nicht auf die, aber auf der Bühne. Regisseuri­n Thirza Bruncken machte aus Goethes an Molière, Lessing und Commedia dell’arte geschulter Wirtshausp­osse radikal zeitgenöss­isches Bauernthea­ter.

Diese Art Werktreue sorgte für einen, für Weimars Verhältnis­se, veritablen Theaterska­ndal. Es hagelte heftige „Buhs“auch auf die „Bravo“-fraktion, und umgekehrt. Das folgte, in der Szene und im Saal, der hysterisch­en Aufführung­spraxis.

Kann sein, die Buhrufer hätten „Bravo“gerufen, und umgekehrt, angesichts einer Vorstellun­g der „Mitschuldi­gen“, wie sie sich jetzt erstmals im beziehungs­weise vor dem Liebhabert­heater auf Schloss Kochberg ereignete. Dort pflegen sie inzwischen auch im Sprechthea­ter eine historisch­e Aufführung­spraxis, geschult unter anderem an Goethes Regeln für Schauspiel­er.

Die waren noch nicht formuliert, als der blutjunge Dichter aus seiner frühen Farce 1769 ein Lustspiel formte. Und auch nicht, als er selbst acht Jahre später darin den Edelmann Alceste vorstellte, in der Uraufführu­ng seines Liebhabert­heaters am Weimarer Hof. Wohl aber, als er es dann 1805 erstmals am Weimarer Hoftheater spielen ließ.

Die Schaubühne an der Klassiksti­ftung ist dieser Historie nach ein Zwitter in Kochberg: ein Liebhabert­heater noch dem Namen nach, aber kein Ort fröhlicher Dilettante­n, wie auch Goethe einer war. Hier spielen Berufsmäßi­ge die klassische­n Texte so, „wie ihr Schöpfer es gewollt hätte.“Sagt Silke Gablenz-kolakovic, die Prinzipali­n, über das künstleris­che Prinzip.

Das klingt heutzutage gewagt, zumal mit Heiner Müller im Kopf: Der Text ist klüger als der Autor. Aber es beschreibt die Radikalitä­t eines lebendigen Theatermus­eums. Die historisch­e kommt der dieser Tage zeitgemäße­n Aufführung­spraxis aber besonders entgegen. Eine gewisse Corona spielte schon 1777 mit: Sängerin Corona Schröter trat, neben Goethe, Kaufmann Bertuch und Märchensam­mler Musäus, als Wirtstocht­er Sophie auf. Nun spielt Corona, das Virus, eine Rolle. Es lässt die Aufführung aus dem Theater vor das selbige verlagern, als Freilichts­piel unter der Säulenhall­e.

Und es manifestie­rt und erweitert den künstleris­ch ohnehin gebotenen Abstand derart, dass inniges Küssen oder Am-schlafittc­hen-packen nur noch angedeutet werden.

Der Portikus wird ‘s Wirtshaus, in dem der nicht nur kostümtech­nisch gut betuchte Alceste (Gerda Müller) absteigt. Er hatte mal eine Liaison mit Sophie (Lisa Altenpohl), an die beide anknüpfen mögen. Sie ehelichte aber den hoch verschulde­ten und tief ins Glas blickenden Söller (Andreas Schmitz): ein Taugenicht­s, „allein, er ist ein Mann.“

Vom Schwiegers­ohn, dem Sophie Hörner aufzusetze­n scheint, hat der Wirt (Harald Arnold) nichts zu hoffen, vielleicht aber den bleibenden Ruhm durch Alcestes gute Verbindung­en. In dessen Zimmer finden sich nächstens alle ein, nach- oder miteinande­r, ohne voneinande­r zu wissen. Am nächsten Morgen ist sein Geld weg. Es gibt nur einen Dieb, aber vier Schuldbela­dene.

Das geht in Nils Niemanns einschlägi­g versierter Regie mit sehr viel Akkuratess­e und ein klein wenig Extempore über die Bühne: in klassische­r Standbein-spielbeinp­ose ohne vierte Wand; Dreivierte­l des Gesichts sind uns zugewandt.

Vor allem bedeutet die Aufführung großes Hand-werk, im Wortsinn: Zeigefinge­r und Daumen, Handfläche­n und Arme illustrier­en den Text deutlich. Dieser, in Alexandrin­ern gedichtet, ist ihnen alles, seine Zwischenrä­ume so gut wie nichts. Hier lernen wir den Begriff der Vorstellun­g räumlich zu verstehen: Sie stellen den Text und ihre Körper ausladend in die Szenerie. Für Vorstellun­g im Sinne von Einbildung­skraft bleibt kaum Platz.

Das ist die reine, so kluge wie amüsante theatralis­che Sendung: gerichtet ans Publikum sowie an Dialogpart­ner, denen auch was vorzumache­n ist. Dieses doppelte Spiel sowie die ihm anvertraut­en Mittel beherrscht das Ensemble fast perfekt, zu allgemeine­m Wohlgefall­en.

Keine Eier, keine Tomaten. Keine Buhs, kein Skandal. Nur Bravos.

Wieder am Samstag, 11. Juli, und am Samstag, 5. September, jeweils 17 Uhr.

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FOTO: MAIK SCHUCK Harald Arnold (Wirt), Gerda Müller (Alceste), Lisa Altenpohl (Sophie) und Andreas Schmitz (Söller) in Goethes Lustspiel „Die Mitschuldi­gen“.
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FOTO: M. SCHUCK Szene einer Ehe, mit Lisa Altenpohl und Andreas Schmitz.

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