Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Wenn einer ins Gefängnis geht…
Haftstrafen können weit mehr bedeuten als „nur“Freiheitsentzug
Gefängnisstrafen, also der Freiheitsentzug ist das härteste Strafmittel, das die Justiz in Deutschland zur Verfügung hat. Aber was bedeutet eine Haftstrafe ganz konkret für einen Betroffenen? Was passiert zum Beispiel mit einer Mietwohnung, wenn jemand für ein paar Monate ins Gefängnis muss? Muss diese sofort gekündigt werden?
„Wenn ein Antrag auf Wohngeld und Mietübernahme beim ortszuständigen Sozialamt gestellt wird, können die anfallenden Mietkosten nach §67 SGB XII – zunächst für sechs Monate – übernommen werden“, erklärt Daniela Schmidt, Sozialarbeiterin bei dem Verein Bewährungsund Straffälligenhilfe Thüringen. Danach sind die Regelungen von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich.
Verträge werden zum Problem „Inhaftierte Personen können vorab eine Vereinbarung mit dem Vertragspartner treffen, dass der Vertrag während dieser Zeit stillgelegt und sogar aufgehoben werden könnte. Hier muss auf Kulanz gehofft werden“, sagt Daniela Schmidt, und fügt dann hinzu. „Erfahrungsgemäß erfolgt aber leider weder die Klärung durch den Ratsuchenden noch die Genehmigung durch den Vertragspartner. Fakt ist, dass es bei einer Vielzahl unserer Ratsuchenden aus diesen Gründen zur Überschuldung kommt. Die Verträge werden oftmals durch die Vertragspartner gekündigt und bis zum Vertragsende fällig gestellt. Aber nicht nur das. Während der Haft entstehen in den meisten Fällen Unterhaltsschulden, Gerichtskosten, Schulden bei dem Jobcenter, Miet- und Stromschulden…“
Wie viele Menschen sind betroffen? „Einen Schwerpunkt stellen Betäubungsmitteldelikte dar, oftmals mit oder nach Einfuhren aus Tschechien sowie Körperverletzungsdelikte, zuletzt zunehmend unter der Nutzung von Messern bei insbesondere ausländischen Angeklagten deren Anteil in den letzten Jahren überproportional zugenommen hat“, sagt Siegfried Christ, Pressesprecher und stellvertretender Direktor des Amtsgerichtes Gera. „Oftmals erfolgen Deliktsbegehungen unter Einfluss von nicht unmessung erheblichen Alkoholmengen, überproportional sind bei den Angeklagten auch Arbeitslose vertreten.“
Christian Hollandmoritz, Direktor des Amtsgerichts Greiz, hat für seinen Amtsbereich genauer nachgeforscht und sagt: „Im Jahr 2019 wurden in 21 Verfahren Freiheitsstrafen verhängt, wovon in 13 Verfahren die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Häufigster Tatvorwurf – mit neun Verfahren – war vorsätzliche Körperverletzung beziehungsweise gefährliche Körperverletzung, teilweise zusammentreffend mit anderen Straftaten wie Bedrohung oder Beleidigung. Weiterhin wurden in drei Verfahren wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis Freiheitsstrafen verhängt.“
Einfache Antwort ist fast unmöglich „Auch hier waren teilweise andere Tatvorwürfe, wie Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gegeben. In jeweils einem Fall handelte es sich um Vorwürfe wie Betrug, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Besitz kinderpornografischer Schriften, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, Verletzung der Unterhaltspflicht, Geldwäsche und versuchte Nötigung. Die Freiheitsstrafen lagen regelmäßig im Bereich zwischen drei Monaten bis unter zwölf Monaten. Zwei Jahre überschreitende Freiheitsstrafen wurden nicht verhängt.“
Er betont, dass es sich bei den Verfahren sämtlich um Verfahren vor dem Strafrichter, also eher leichtere Vergehen, handelt. Die schwereren und schweren Tatvorwürfe werden beim Schöffengericht beim Amtsgericht oder am Landgericht Gera verhandelt.
Viele der verhängten Haftstrafen werden anschließend in Bewährungsstrafen umgewandelt. Aber das ist nicht das einzige Problem, weswegen es fast unmöglich zu sein scheint, eine einfache Antwort auf die Fragen zu geben, wie viele Menschen bei uns für was wie lange ins Gefängnis gehen müssen.
„Die konkrete Schwierigkeit besteht insbesondere darin, dass zwar für einzelne Verfahren verhängte Freiheitsstrafen erfasst werden, es aber häufig Verurteilungen wegen mehr als einer Tat gibt“, erläutert Staatsanwalt Sven Schroth, Stellvertretender Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Gera. „Erfasst wird systemtechnisch nur die Gesamtstrafe. Es lässt sich, ohne einzelne Nachprüfung anhand der jeweiligen Ermittlungsakte nicht feststellen, welche konkrete Strafe für welches Delikt verhängt wurde. Überdies ist die Frage der konkreten Strafen eine sehr komplexe Angelegenheit. Sie hängt von vielen Einzelfallumständen, wie einschlägige Vorstrafen, Höhe und Art des Schadens, sonstige Folgen für die Geschädigten und vieles mehr, ab. Zur Frage der konkreten Strafzukönnte ich einen ganzen Tag referieren ohne mich auch nur ein einziges Mal zu wiederholen.“
So hat er eine Liste zusammengestellt, in wie vielen Verfahren 2019 Gerichte im Bezirk des Landgerichts Gera Haftstrafen verhängt haben. In wie vielen Fällen diese in Bewährungsstrafen abgewandelt wurden, lässt sich aber nicht sagen.
Traurige Spitzenreiter sind mit 123 Fällen Betrug und noch einmal 123 Fällen Gefährliche Körperverletzung, gefolgt von 109 verhängten Haftstrafen wegen Diebstahls. Getrennt aufgeführt werden unter anderem noch einmal 67 Fälle besonders schweren Diebstahls und elf Fälle von Bandendiebstahl und vier Fälle von Diebstahl mit Waffen. Relativ häufig sind noch Verurteilungen wegen Vergehens nach Paragraf 29 des Betäubungsmittelgesetzes (73 Fälle) und Fahrens ohne Führerschein (68 Fälle).
Verschiedene Hilfsangebote
„Unser Verein kann von Ratsuchenden neben der Schuldnerberatung zu allen Lebenslagen aufgesucht werden – vor, nach und während der Haft - ,auch um eventuell eine Haftstrafe noch zu vermeiden, etwa durch die Ableistung von gemeinnützigen Arbeitsstunden, dem Trainingsprogramm häuslicher Gewalt oder Betreuungsweisungen und der Straftataufarbeitung für Jugendliche“, erklärt Daniela Schmidt von der Bewährungs- und Straffälligenhilfe Thüringen.
„Wir haben Kontaktbüros in Erfurt, Gera, Jena, Meiningen und Mühlhausen. Und im Jahr 2019 wurden 980 Ratsuchende durch die Beraterinnen und Berater der verschiedenen Projekte des Vereins in unterschiedlichen Angelegenheiten innerhalb und außerhalb des Vollzugs beraten. Während der Haft bemühen sich die Schuldner- und Insolvenzberaterinnen unseres Trägers, um eine Resozialisierung, die bereits durch eine Schuldenregulierung begonnen werden kann.“
Mitarbeiter des Weißen Rings geben dagegen zu bedenken, dass bei aller Fokussierung auf die Täter, die Opfer nicht vergessen werden dürfen. So haben 2019 allein im Landkreis Greiz 31 Menschen Hilfe und Unterstützung vom Weißen Ring erhalten, etwa wegen häuslicher Gewalt, sexuellen Missbrauchs, Körperverletzungen, aber auch Stalking, Betrug und anderer Delikte.