Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
„Der Preis ist irre hoch“
Die frühere Sprinterin vom SC Motor Jena und Schriftstellerin Ines Geipel engagierte sich nach dem Mauerfall für die Dopingopfer. Heute wird sie 60
30 Jahre Diktatur, 30 Jahre Freiheit: Für Ines Geipel sind es zwei Leben, die sie bisher gelebt hat. „Und ich habe immer auch ein bisschen das Gefühl: Ach, es fängt doch gerade erst an“, sagte die gebürtige Dresdenerin, die heute ihren 60. Geburtstag feiert.
In der DDR war sie Sprinterin beim SC Motor Jena. Mit „einem mulmigen Gefühl“. „Wo sind wir hier eigentlich, das hat Spitzenathleten begleitet. Aktives Wissen gab es keines“, sagt Geipel.
Bei aller Diskussion über den Ddr-sport habe man noch immer „die blaue Pille“im Kopf. Das ist ein sehr reduziertes und falsches Bild.
„Es geht ja um die Frage, woran der Ddr-sport angekoppelt war. Und da sprechen wir von Medizinforschung, Militärforschung, Staatsgeheimnis“, erklärte Geipel.
Als 1984 ihre Pläne, aus der DDR zu fliehen, der Staatssicherheit bekannt wurden, wurde sie zur Verräterin, die aus dem Verkehr gezogen wurde. Bis ihr 1989 über Ungarn die
Flucht gelang, durchlebte sie eine Zeit der Schikane. Sie durfte das Studium nicht beenden, die Promotion entzog man ihr. „Ich hätte noch Friedhofsgärtnerin oder Verkäuferin werden können“, so Geipel. „Das kann man machen, aber ich wollte mehr von meinem Leben.“
Die Freiheit im Westen nach dem Mauerfall nutzte sie, um „ihr eigenes Ding“zu machen: Eine Karriere zu machen – als Schriftstellerin und Professorin für deutsche Verssprache an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“Berlin. Zugleich ließen sie ihre Vergangenheit und die vielen zwangsgedopten Athleten nicht los. Deshalb übernahm sie von 2013 bis 2018 den Vorsitz des Vereins Doping-opferhilfe.
„Wozu Freiheit, wenn man am Ende nichts daraus macht“, meinte Geipel. Sie habe es als Luxus empfunden, mit der eigenen Stimme ein bisschen was anstoßen zu können, mitzutun, damit etwas wieder in Ordnung kommt, „damit den Kaputtgemachten geholfen“werde.
Im Jahr 2000 gehörte sie zu den 19 Nebenklägerinnen im Prozess gegen die Drahtzieher des Staatsdopings in der DDR. Danach kämpfte sie dafür, dass die Opfer vom Bund entschädigt werden. Beim ersten Entschädigungsgesetz waren es 200 Geschädigte. Beim zweiten Gesetz an die 1500. „Chemiekörper implodieren enorm zeitverzögert. Die Bilanz wird erst jetzt sichtbar, und die ist sehr bitter. Der Preis für die Athleten
ist irre hoch“, so Geipel. „Ohne Ines Geipel hätte es das zweite Gesetz nicht gegeben“, sagte Michael Lehner, ihr Nachfolger im Amt der Doping-opfer-hilfe.
Um die Interessen der Opfer durchzusetzen, war ihr Provokation nicht fremd. „Die Geschichte der Sportopfer war für mich ein politisches Projekt. Wenn ich scharf war, hatte das eine Funktion“, erklärte Geipel. „Insofern wäre es absurd gewesen, wenn ich da immer als sanfte Teddyvariante aufgetreten wäre.“Auch wenn sie sich aus diesem Engagement zurückgezogen hat, ist sie weiter mit dem Herz dabei und kritisiert das fehlende Interesse an weiterer Aufklärung des Sportbetrugs in der DDR und die Folgen.