Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Ein Stones-fan im Visier der Stasi
Musik und Fans der Rolling Stones waren der SED schon immer höchst suspekt, wie ein Fall aus Gera zeigt. 1990, heute vor 30 Jahren, trat die Band um Mick Jagger zum ersten Mal in der DDR auf
Je länger die Friedliche Revolution in der DDR im Herbst 1989 zurückliegt, je mehr verblasst das Geschehene. Die DDR hatte in Relation zu ihrer Einwohnerzahl eine riesige Geheimpolizei, die die eigene Bevölkerung überwachte. Zu denen, die im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit waren, zählten auch Fans von Blues-, Rock-, Pop- und Jazz-musik, die aus dem Westen kam und von den Ddr-politikern als dekadent und die Jugend vergiftend eingeschätzt wurde.
Ein Schicksal, welches im Stasiunterlagenarchiv dokumentiert ist und sich vor gut 50 Jahren zutrug, verdeutlicht den Irrsinn der Ddrpolitikobrigkeit, die mit riesigem Aufwand harmlose Musik-fans verfolgte. Der damals 17-jährige Helmut W., Eisenbahner-lehrling aus Gera, hatte am 12. Oktober 1969 an den West-berliner Radiosender Rias (Rundfunk im amerikanischen Sektor) einen vierseitigen Brief geschrieben und sich von der Redaktion der beliebten Musiksendung „Treffpunkt“mehrere Songs von den Rolling Stones gewünscht. Dies geht aus Stasi-unterlagen hervor, die dem Autor vorliegen. Konkret hatte der Jugendliche, der ein bekennender Stones-fan ist, seinen Brief an eine sogenannte Deckadresse in West-berlin geschickt, die von den Rias-moderatoren in ihren Sendungen zuvor durchgesagt worden war. Denn längst war damals bekannt, das die Stasi Briefe und Postkarten aus der DDR, die direkt an den „Hetz- und Feind-sender“Rias (so die damalige Sed-diktion) adressiert waren, beschlagnahmte und die Absender dann schikanierte.
Pseudonym und Deckadresse nützen nichts
Der junge Mann aus Gera verfasste seinen Brief an den Rias unter dem Pseudonym „Stones-fan John Dillinger aus Gera“. Doch all seine Vorsicht nützte ihm nichts. Denn die Schlapphüte von der Stasi hörten im Dienstauftrag auch die Radiosendungen des Rias ab und schrieben die durchgesagten Post-deckadressen für die DDR-FANS ebenso mit und gaben diese dann umgehend an die Postfahndungsabteilung der Stasi weiter.
Was Helmut W. nicht wusste: Die Stasi hatte bereits ein Jahr zuvor, am 5. Oktober 1968 einen von ihm an den Rias gerichteten Brief und danach noch vier weitere seiner Briefe sowie eine Postkarte konfisziert. Die Musikwünsche des Thüringer Stones-fans kamen nie beim Rias an. Durch eine aufwendige, mehrmonatige Schriftenfahndung der Stasi, sogar in den Berufsschulen und Erweiterten Oberschulen (EOS) in Gera, wurde Helmut W. als Verfasser ermittelt. In bemerkenswerter Klarheit hatte er seine Zeilen an den Rias gerichtet: „Ich bin seit zwei Jahren ständiger Hörer eures ‘Treffpunktes’. Dabei möchte ich Euch gleich mitteilen, dass ich auch auf Tonband mitschneide. Aber ich finde es nicht schön, dass der Moderator am Sonnabend in einige Songs reingeredet hat. Wenn es möglich wäre, würde ich ihn höflich bitten, dies das nächste Mal zu unterlassen. … Der 20. Jahrestag (der DDR am 7. Oktober 1969, der Autor) war bei uns in Gera die totale Asche. Früh mussten wir bei der 4Stunden lang währenden Kampfdemonstration mitmarschieren.
Und ich als Stones-fan musste mit ein Spruchband tragen, weil ich Fdj-sekretär der Klasse bin. Ich kann Euch nur sagen, mir hing es zum Hals heraus wie noch nie, diese ewigen Hurra-rufe und das andere Gequatsche von Sozialismus und Demokratie. … In Bezug auf den jugendfreundlichen Staat ist zu sagen: Alles Quatsch. Seine Meinung darf man nicht sagen, da ist man das schwarze Schaf. Spielt eine Musikgruppe einmal wirklich gut und laut, wird sie gleich verboten. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich einen anderen Namen zu suchen oder aufzuhören. …Von mir aus gesehen, ist meine liebste Gruppe
die Rolling Stones. Dazu gleich einige Musikwünsche.“Dann listete er zehn Stones-songs auf – darunter „2120 South Michigan Avenue“und „Tell Me“. Sein Brief endete mit dem Wunsch: „Am liebsten wäre es mir und vielen anderen Fans, die Stones würden einmal in die DDR kommen.“
Nachdem sie ihn enttarnt hatten, verhörten Stasi-offiziere den Lehrling, setzten ihn „hinsichtlich seiner Verbindungsaufnahme zu Einrichtungen in Westberlin und Westdeutschland, die einen Kampf gegen die DDR führen“, unter Druck und rangen ihm im Dezember 1970 eine Verpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter ab. Doch Helmut W. plagten zunehmend Gewissenskonflikte, so dass er 1972 eine weitere Zusammenarbeit mit der Stasi ablehnte. Daraufhin brach der Geheimdienstapparat die Verbindung zu ihm ab. Wie das Leben von Helmut W. danach verlief, war bislang nicht in Erfahrung zu bringen.
Ärger um Zigarettenkippe aus dem Stones-tourbus
Im Stasi-unterlagenarchiv finden sich zahlreiche weitere Akten, die sich mit den Stones beschäftigen. So reisten die Stones im Juni 1982 mit Reise-bussen aus der Bundesrepublik über den Grenzübergang Helmstedt auf der Transitautobahn durch die DDR nach West-berlin. Dort spielten sie in der Waldbühne am Abend des 8. Juni 1982 ein umjubeltes Konzert. Bei der Anreise der Stones sei es laut Bild-zeitung, am Grenzübergang Dreilinden zu einem Zwischenfall gekommen. Unter der Überschrift: „Vopo knöpfte Mick Jagger 200 DM ab“vermeldete Bild: „Mick Jagger ist stocksauer auf die Vopos am Grenzkontrollpunkt Dreilinden. Als er morgens eine Zigarette aus dem Bus warf, kamen die ‘Ddr’-grenzer angelaufen: ‘Das ist verboten, Sie verunreinigen das Gelände.’ Erst als Jagger 200 Mark Strafe gezahlt hatte, durfte der Konvoi weiterfahren.“Die Stasi-hauptabteilung VI (zuständig für Grenzkontrollen, Reise- und Touristenverkehr, der Autor) stellte laut Aktenlage in ihrer umgehenden „Westpresseüberprüfung“und in Rücksprache mit der Ddr-volkspolizei dazu am 9. Juni 1982 Folgendes fest:die Stones sind am 8. Juni 1982 mit zwei Bussen über die Autobahn-transitstrecke vom Grenzübergang Helmstedt/marienborn (00.30 Uhr) nach Drewitz/dreilinden (02.30 Uhr) nach West-berlin gefahren. Auf der Autobahn im Bezirk Potsdam sei aus einem der Busse eine glimmende Zigarettenkippe geworfen worden. Daraufhin wurde der Busfahrer „in Anbetracht der gegenwärtig erhöhten Waldbrandgefahr durch die DVP (Deutsche Volkspolizei) mit 200 DM abgestraft“.
Am 13. August 1990, dem historischen Tag des Mauerbaus von 1961, spielten die Stones dann erstmalig in der NOCH-DDR in Ostberlin auf dem Gelände der Radrennbahn Weißensee und sorgten für viele glückselige Momente bei den vielen Fans aus dem Osten.