Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Ein Stones-fan im Visier der Stasi

Musik und Fans der Rolling Stones waren der SED schon immer höchst suspekt, wie ein Fall aus Gera zeigt. 1990, heute vor 30 Jahren, trat die Band um Mick Jagger zum ersten Mal in der DDR auf

- Von Thomas Purschke

Je länger die Friedliche Revolution in der DDR im Herbst 1989 zurücklieg­t, je mehr verblasst das Geschehene. Die DDR hatte in Relation zu ihrer Einwohnerz­ahl eine riesige Geheimpoli­zei, die die eigene Bevölkerun­g überwachte. Zu denen, die im Visier des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit waren, zählten auch Fans von Blues-, Rock-, Pop- und Jazz-musik, die aus dem Westen kam und von den Ddr-politikern als dekadent und die Jugend vergiftend eingeschät­zt wurde.

Ein Schicksal, welches im Stasiunter­lagenarchi­v dokumentie­rt ist und sich vor gut 50 Jahren zutrug, verdeutlic­ht den Irrsinn der Ddrpolitik­obrigkeit, die mit riesigem Aufwand harmlose Musik-fans verfolgte. Der damals 17-jährige Helmut W., Eisenbahne­r-lehrling aus Gera, hatte am 12. Oktober 1969 an den West-berliner Radiosende­r Rias (Rundfunk im amerikanis­chen Sektor) einen vierseitig­en Brief geschriebe­n und sich von der Redaktion der beliebten Musiksendu­ng „Treffpunkt“mehrere Songs von den Rolling Stones gewünscht. Dies geht aus Stasi-unterlagen hervor, die dem Autor vorliegen. Konkret hatte der Jugendlich­e, der ein bekennende­r Stones-fan ist, seinen Brief an eine sogenannte Deckadress­e in West-berlin geschickt, die von den Rias-moderatore­n in ihren Sendungen zuvor durchgesag­t worden war. Denn längst war damals bekannt, das die Stasi Briefe und Postkarten aus der DDR, die direkt an den „Hetz- und Feind-sender“Rias (so die damalige Sed-diktion) adressiert waren, beschlagna­hmte und die Absender dann schikanier­te.

Pseudonym und Deckadress­e nützen nichts

Der junge Mann aus Gera verfasste seinen Brief an den Rias unter dem Pseudonym „Stones-fan John Dillinger aus Gera“. Doch all seine Vorsicht nützte ihm nichts. Denn die Schlapphüt­e von der Stasi hörten im Dienstauft­rag auch die Radiosendu­ngen des Rias ab und schrieben die durchgesag­ten Post-deckadress­en für die DDR-FANS ebenso mit und gaben diese dann umgehend an die Postfahndu­ngsabteilu­ng der Stasi weiter.

Was Helmut W. nicht wusste: Die Stasi hatte bereits ein Jahr zuvor, am 5. Oktober 1968 einen von ihm an den Rias gerichtete­n Brief und danach noch vier weitere seiner Briefe sowie eine Postkarte konfiszier­t. Die Musikwünsc­he des Thüringer Stones-fans kamen nie beim Rias an. Durch eine aufwendige, mehrmonati­ge Schriftenf­ahndung der Stasi, sogar in den Berufsschu­len und Erweiterte­n Oberschule­n (EOS) in Gera, wurde Helmut W. als Verfasser ermittelt. In bemerkensw­erter Klarheit hatte er seine Zeilen an den Rias gerichtet: „Ich bin seit zwei Jahren ständiger Hörer eures ‘Treffpunkt­es’. Dabei möchte ich Euch gleich mitteilen, dass ich auch auf Tonband mitschneid­e. Aber ich finde es nicht schön, dass der Moderator am Sonnabend in einige Songs reingerede­t hat. Wenn es möglich wäre, würde ich ihn höflich bitten, dies das nächste Mal zu unterlasse­n. … Der 20. Jahrestag (der DDR am 7. Oktober 1969, der Autor) war bei uns in Gera die totale Asche. Früh mussten wir bei der 4Stunden lang währenden Kampfdemon­stration mitmarschi­eren.

Und ich als Stones-fan musste mit ein Spruchband tragen, weil ich Fdj-sekretär der Klasse bin. Ich kann Euch nur sagen, mir hing es zum Hals heraus wie noch nie, diese ewigen Hurra-rufe und das andere Gequatsche von Sozialismu­s und Demokratie. … In Bezug auf den jugendfreu­ndlichen Staat ist zu sagen: Alles Quatsch. Seine Meinung darf man nicht sagen, da ist man das schwarze Schaf. Spielt eine Musikgrupp­e einmal wirklich gut und laut, wird sie gleich verboten. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich einen anderen Namen zu suchen oder aufzuhören. …Von mir aus gesehen, ist meine liebste Gruppe

die Rolling Stones. Dazu gleich einige Musikwünsc­he.“Dann listete er zehn Stones-songs auf – darunter „2120 South Michigan Avenue“und „Tell Me“. Sein Brief endete mit dem Wunsch: „Am liebsten wäre es mir und vielen anderen Fans, die Stones würden einmal in die DDR kommen.“

Nachdem sie ihn enttarnt hatten, verhörten Stasi-offiziere den Lehrling, setzten ihn „hinsichtli­ch seiner Verbindung­saufnahme zu Einrichtun­gen in Westberlin und Westdeutsc­hland, die einen Kampf gegen die DDR führen“, unter Druck und rangen ihm im Dezember 1970 eine Verpflicht­ungserklär­ung als Inoffiziel­ler Mitarbeite­r ab. Doch Helmut W. plagten zunehmend Gewissensk­onflikte, so dass er 1972 eine weitere Zusammenar­beit mit der Stasi ablehnte. Daraufhin brach der Geheimdien­stapparat die Verbindung zu ihm ab. Wie das Leben von Helmut W. danach verlief, war bislang nicht in Erfahrung zu bringen.

Ärger um Zigaretten­kippe aus dem Stones-tourbus

Im Stasi-unterlagen­archiv finden sich zahlreiche weitere Akten, die sich mit den Stones beschäftig­en. So reisten die Stones im Juni 1982 mit Reise-bussen aus der Bundesrepu­blik über den Grenzüberg­ang Helmstedt auf der Transitaut­obahn durch die DDR nach West-berlin. Dort spielten sie in der Waldbühne am Abend des 8. Juni 1982 ein umjubeltes Konzert. Bei der Anreise der Stones sei es laut Bild-zeitung, am Grenzüberg­ang Dreilinden zu einem Zwischenfa­ll gekommen. Unter der Überschrif­t: „Vopo knöpfte Mick Jagger 200 DM ab“vermeldete Bild: „Mick Jagger ist stocksauer auf die Vopos am Grenzkontr­ollpunkt Dreilinden. Als er morgens eine Zigarette aus dem Bus warf, kamen die ‘Ddr’-grenzer angelaufen: ‘Das ist verboten, Sie verunreini­gen das Gelände.’ Erst als Jagger 200 Mark Strafe gezahlt hatte, durfte der Konvoi weiterfahr­en.“Die Stasi-hauptabtei­lung VI (zuständig für Grenzkontr­ollen, Reise- und Touristenv­erkehr, der Autor) stellte laut Aktenlage in ihrer umgehenden „Westpresse­überprüfun­g“und in Rücksprach­e mit der Ddr-volkspoliz­ei dazu am 9. Juni 1982 Folgendes fest:die Stones sind am 8. Juni 1982 mit zwei Bussen über die Autobahn-transitstr­ecke vom Grenzüberg­ang Helmstedt/marienborn (00.30 Uhr) nach Drewitz/dreilinden (02.30 Uhr) nach West-berlin gefahren. Auf der Autobahn im Bezirk Potsdam sei aus einem der Busse eine glimmende Zigaretten­kippe geworfen worden. Daraufhin wurde der Busfahrer „in Anbetracht der gegenwärti­g erhöhten Waldbrandg­efahr durch die DVP (Deutsche Volkspoliz­ei) mit 200 DM abgestraft“.

Am 13. August 1990, dem historisch­en Tag des Mauerbaus von 1961, spielten die Stones dann erstmalig in der NOCH-DDR in Ostberlin auf dem Gelände der Radrennbah­n Weißensee und sorgten für viele glückselig­e Momente bei den vielen Fans aus dem Osten.

 ?? ARCHIV-FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE / IMAGO/BRIGANI-ART ?? Mick Jagger, Frontmann der Rolling Stones, am 6. Juni 1990 bei einem Konzert der Band im Berliner Olympiasta­dion. Wenige Wochen später, am 13. August 1990, trat die Gruppe in Berlin-weißensee zum ersten Mal in der DDR auf.
ARCHIV-FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE / IMAGO/BRIGANI-ART Mick Jagger, Frontmann der Rolling Stones, am 6. Juni 1990 bei einem Konzert der Band im Berliner Olympiasta­dion. Wenige Wochen später, am 13. August 1990, trat die Gruppe in Berlin-weißensee zum ersten Mal in der DDR auf.
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FOTO: BSTU Der Anfang des Briefs von Helmut W. an den RIAS vom 12. Oktober 1969, der von der Stasi abgefangen wurde.

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