Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Wer wird der neue Börsenstar?
Nach der Wirecard-insolvenz fällt der Blick auf Delivery Hero, Symrise und Siemens Healthineers
Es ist ein erfrischender Kontrast zu Wirecard: Delivery Hero hat ein Geschäftsmodell, das jeder versteht. Motorroller und Fahrräder, deren Fahrer Tüten mit Essen von Restaurants in die Häuser tragen, waren während des Corona-lockdowns beliebter denn je. Es gibt allerdings zwei Schönheitsfehler: Delivery Hero hat sich vom Deutschlandgeschäft verabschiedet – und macht bisher keinen Gewinn.
Das Berliner Unternehmen ist einer der zwei wahrscheinlichsten Kandidaten für den Aufstieg in den Aktienindex Dax, in dem die 30 wertvollsten und umsatzstärksten deutschen Konzerne notiert sind. Rückblickend gilt es in Börsenkreisen als peinlicher Fehler, Wirecard vor zwei Jahren überhaupt in die Oberklasse der deutschen Wertpapiere befördert zu haben – und damit in eine Liga mit Schwergewichten wie SAP, VW, Telekom oder der Deutschen Post.
Die Deutsche Börse will ab diesem Donnerstag ihre Spielregeln so ändern, dass sich Wirecard innerhalb weniger Tage aus der Königsklasse der börsennotierten deutschen Unternehmen schmeißen ließe. Für Insolvenzen wie im Fall Wirecard sehen die Regeln bisher keine sofortige Reaktion vor – diesen Fall gab es noch nie. Künftig sollen Dax-konzerne den Index nach einem Insolvenzantrag innerhalb von zwei Handelstagen verlassen müssen.
It-unternehmen oder
Chemiekonzern?
Entscheidend für die Notierung im Dax sind die Marktkapitalisierung, also der Wert aller Aktien des Unternehmens, und der Umschlag von frei handelbaren Aktien. Neben Delivery Hero hat der Aromahersteller Symrise aus Holzminden in Niedersachsen die größten Chancen.
Auf den ersten Blick könnten die beiden Unternehmen kaum unterschiedlicher sein: Delivery Hero ist eine junge It-bude, Symrise ein traditionsreiches Chemieunternehmen. Sie haben aber etwas gemeinsam: Es geht ums Essen. Damit ist die Gefahr eines „zweiten Wirecard“schon fast gebannt. Während bei dem windigen Zahlungsdienstleister keiner das Geschäftsmodell durchschaut hat, auch die Buchprüfer nicht, lässt es sich im Falle der Nachrückkandidaten zumindest schmecken.
Als Delivery Hero noch in Deutschland unterwegs war, stand „Lieferheld“auf den Jacken der Fahrer. Doch das Unternehmen hat den Bringdienst für eine knappe Milliarde Euro an den niederländischen Konkurrenten takeaway.com verkauft. Der hat Lieferheld mit Lieferando verschmolzen.
Dadurch macht Delivery Hero in der Heimat keine Geschäfte mehr. Gründer Niklas Östberg sagte zwar dem „Handelsblatt“: „Wir sind stolz, ein deutsches Unternehmen zu sein.“Marktführer in Europa ist jedoch takeaway.com. Der Fokus liegt jetzt auf Fernost – Indonesien, Thailand, den Philippinen, Japan oder Südkorea. Auch in Südamerika wächst das Geschäft stark.
Das Unternehmen fällt in eine Kategorie mit der Wohnungs-webseite Airbnb, dem Auto-sharing von Drivy oder Fahrdiensten wie Uber. Es stellt eine Plattform bereit, also die App und die Website. Die Arbeit erledigen Leute, die nicht bei dem Unternehmen angestellt sind. Das Essen kommt von teilnehmenden Restaurants, die so etwas mehr verkaufen. Delivery Hero verlangt für jede Lieferung eine Gebühr von einigen Prozent.
Bisher hapert es beim Gewinn. Laut den Zahlen für das zweite Quartal hat Corona zwar für einen Schub gesorgt, die Zahl der Bestellungen hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, der Umsatz ist auf eine halbe Milliarde Euro gestiegen. Bisher zahlt das Unternehmen aber bei allen Lieferungen drauf. Im Tagesgeschäft hat Delivery Hero im vergangenen Jahr fast 430 Millionen Euro Verlust eingefahren. Und immer, wenn es die
Symrise ist hochprofitabel und unentbehrlich
Für das laufende Jahr erwartet Delivery Hero sogar ein noch höheres Minus. Östberg vergleicht sein Unternehmen zwar selbstbewusst mit SAP und Spotify, doch anders als der Softwarehersteller und der Musikdienst wird Delivery Hero eben vorerst kein Geld verdienen.
Das beeinflusst jedoch nicht die Chancen für den Dax-aufstieg: Die Börse arbeitet nach dem Prinzip Hoffnung. Sie will Kapital für die Entwicklung des Geschäfts bereitstellen – und Anlegern die Chance geben, beim nächsten großen Ding dabei zu sein.
Symrise hat hier einen klaren Vorteil. Das Unternehmen ist hochprofitabel und für viele Lebensmittelmarken unentbehrlich. Symrise ist einer der weltweit wichtigsten Hersteller für Geschmäcker, Aromen und Düfte. Es hat im vergangenen Jahr nach Steuern 300 Millionen Euro verdient und wächst schnell. Wenn ein Kaugummi nach Apfel duftet, ist wahrscheinlich Aroma von Symrise drin. Die Chemiker des Unternehmens erzeugen jeden beliebigen Geruch oder Geschmack – künstlich, natürlich oder naturidentisch. Die Fabrik liefert alles, was gefragt ist, und deckt rund zehn Prozent des Weltmarktes ab.
Derzeit wohl chancenlos für einen Aufstieg in den Dax ist dagegen Siemens Healthineers: Die inzwischen eigenständige Medizintechnik-sparte des Industriekonzerns gehört in der zweiten Börsenliga Mdax zwar zu den Unternehmen mit der höchsten Bewertung. So gesehen wäre das Unternehmen tauglich für den Dax. Doch die Mutter Siemens hält noch 85 Prozent der Aktien. Zu viel für die Regeln der Deutschen Börse. Siemens könnte der Medizintechnik-tochter jedoch einen Schub geben, indem der Industriekonzern ordentlich Aktien auf den Markt wirft.