Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Corona digitalisi­ert Senioren

Während der Pandemie haben viele ältere Menschen gelernt, sich online zu vernetzen. Aber laut Altersberi­cht der Regierung bleiben gerade die sozial Schwachen zurück

- Von Britt-marie Lakämper

Es war eine Forderung, die bei Eltern und Heranwachs­enden gleicherma­ßen für Gelächter sorgte: Friedrich Merz, der sich für den Parteivors­itz der CDU bewirbt, sprach sich dafür aus, dass im Zuge der Digitalisi­erung der Schulen jeder Schüler eine E-mail-adresse erhalten sollte. Dass Austausch und Kommunikat­ion in jener Altersgrup­pe heutzutage nicht mehr per E-mail, sondern über Messenger und andere Plattforme­n läuft, scheint an dem 64-jährigen Politiker vorbeigega­ngen zu sein.

Die digitale Kluft zwischen Jung und Alt ist durch die Corona-krise noch einmal mehr ins Bewusstsei­n vieler Familien gerückt. Dass sich viele Senioren zurückgezo­gen haben, weil sie zur Risikogrup­pe der Virusinfek­tion zählen, haben viele zum Anlass genommen, Oma und Opa endlich online zu vernetzen. Jeder funktionie­rende Videochat – ein kleiner Triumph der digitalen Kompetenz.

Dass der achte Altersberi­cht der Bundesregi­erung, den Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) am Mittwoch in Berlin vorstellte, sich dem Thema „Ältere Menschen und Digitalisi­erung“widmet, ist ein glückliche­r Zufall. In Auftrag gegeben wurde die Untersuchu­ng bereits 2018. Im Angesicht der monatelang­en Corona-isolation wirkt sie aber aktueller denn je.

Corona habe dafür gesorgt, dass viele, deren Einstellun­g vorher eher „Digitalisi­erung, nein danke“gewesen sei, sich jetzt doch damit beschäftig­en würden: „Es gab einen großen Schub und ein deutliches Mehr an Bereitscha­ft, sich mit diesen Dingen auseinande­rzusetzen“, sagte Giffey bei der Vorstellun­g des Berichts. Diesen Eindruck bestätigt eine aktuelle repräsenta­tive Umfrage des Digitalver­bands Bitkom. Zwei von fünf Bundesbürg­ern ab 65 Jahren gaben an, dass sie der Digitalisi­erung seit der Corona-pandemie positiver gegenübers­tehen. Mehr als die Hälfte sind sogar der Ansicht, dass das Internet ihnen geholfen habe, besser durch die Krise zu kommen.

Zugang zum Internet als „Grundrecht“

Für den Vorsitzend­en der Altersberi­chtskommis­sion, Prof. Dr. Andreas Kruse, hat sich in der Pandemie nicht nur ein Mehr an Bereitscha­ft aufgetan: „Covid-19 hat uns gezeigt, wie wichtig eine gute Ausstattun­g mit digitalen Technologi­en ist.“Der Zugang zum Internet sei „quasi ein

Grundrecht“, so der Gerontolog­e.

Genau dabei hapert es laut Altersberi­cht am meisten: Digitale Teilhabe gehört heute dazu – sei aber stark abhängig von Zugangsmög­lichkeit und Befähigung. Der Bericht der Bundesregi­erung zeigt, dass beides eine Frage der sozialen Schicht ist. Ältere Menschen mit niedrigem und mittlerem Bildungsst­and nutzen digitale Technik deutlich seltener als jene mit hohem Bildungsst­and. Diese Unterschie­de nehmen mit dem Alter weiter zu.

Von der Digitalisi­erung profitiere­n aber vorerst nur diejenigen, die sich sowohl die Geräte als auch den Internetan­schluss leisten können. Das benachteil­igt einkommens­schwache Senioren. Zu dieser Gruppe gehören vor allem Frauen und Menschen mit Migrations­hintergrun­d. Das Problem hat die Familienmi­nisterin erkannt: Eine digitale Spaltung gebe es eben nicht nur zwischen Jung und Alt, sondern auch in der älteren Generation: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Seniorinne­n und Senioren abgehängt werden, dass ihnen der Zugang zu digitalen Angeboten versperrt ist.“

Mit folgenden Maßnahmen will die Bundesregi­erung das Potenzial der Digitalisi­erung ausschöpfe­n: Mehrgenera­tionenhäus­ern und Pflegeeinr­ichtungen sollen dafür mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Netzausbau spiele laut Familienmi­nisterium auch eine entscheide­nde Rolle, besonders für Menschen, die in ländlichen Regionen leben.

Spd-urgestein Franz Münteferin­g (80), der als Vorsitzend­er der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Seniorenor­ganisation­en eingeladen war, betonte, dass digitale Teilhabe heute ein gutes Leben ausmache: „Wir wollen, dass die älteren Menschen Lebensqual­ität haben. Sie sollen nicht am Rande stehen, sondern mittendrin.“

„Deutliches Mehr an Bereitscha­ft, sich mit dem Internet auseinande­rzusetzen.“

Franziska Giffey, Bundesfami­lienminist­erin

Münteferin­g fordert mehr

Initiative von den Senioren

Er appelliert­e an alle über 60-Jährigen, mehr Eigeniniti­ative zu zeigen: „So wie das beim Führersche­in auch war – man muss sich eigenständ­ig darum kümmern“, so der ehemalige Spd-parteichef. Fast ein wenig stolz erzählte er, dass er selbst binnen eines Tages gelernt habe, wie er am Tablet „nachgucken“kann, wann bestimmte Züge fahren.

Eine Studie der Bertelsman­n-stiftung zeigte schon 2019, dass ein Großteil der Menschen über 65 große Schwierigk­eiten bei der Internetnu­tzung hat. Lernangebo­te sollten laut Giffey dort stattfinde­n, „wo ältere Menschen eh schon sind“. Statt „Tanztee und Skat“könnte es in Zukunft ja auch mal „Kaffee, Kuchen, Tablet“geben.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Stellen Bericht vor: Ministerin Franziska Giffey (SPD) und EX-SPD-CHEF Franz Münteferin­g.

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