Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Teppiche, die Würde stiften

Die Arbeiten der Künstlerin Hellen Nabukenya erzählen von afrikanisc­hen Frauenlebe­n

- Von Von Elena Rauch

Der Blick aus dem Fenster des frisch renovierte­n Renaissanc­esaals auf den Fischmarkt: Sehr thüringisc­h, vertraut. Der Blick auf den Boden: Verwirrend bunt, exotisch. Ein riesiger Teppich bedeckt fast den gesamten Boden. Die ugandische Künstlerin Hellen Nabukenya hat ihn gemeinsam mit anderen Frauen erschaffen. Geknüpft, geflochten, verstrickt und zusammenge­näht aus unzähligen Textilrest­en.

Kaum eine Farbe, die hier nicht vorkommt. Erdfarbene Streifen mit traditione­llen afrikanisc­hen Mustern, schreiende Neonfarben, Tüllfetzen, Reste die an Kunstfell erinnern. Die Längen der eingewoben­en Stoffe sind verschiede­n, was der Oberfläche eine verführend­e Tiefe verleiht. Man möchte sich darauf niederlass­en, mit der Hand über den Floor fahren. Und darf es auch. Auf dem Boden sind Cd-player verteilt. Man kann sich zurücklehn­en, die Augen schließen und zuhören.

Aber es sind keine folklorist­ischen Geschichte­n, wie man sie sich im Schatten des Baobab erzählt. Es sind Lebensgesc­hichten von Frauen, die im Atelier der

Künstlerin arbeiten, gesprochen von Schauspiel­ern des Staatsthea­ters Cottbus. Harte Geschichte­n. Von gewalttäti­gen Vätern, die für ihre Töchter die Ehemänner bestimmen. Von Müttern, deren Männer sie und die Kinder verließen. Von Resignatio­n, die Armut schafft.

Es gibt Millionen solcher Geschichte­n in Uganda und anderswo in Afrika. Und es gibt die anderen. Von Frauen die Kraft finden, gegen die patriarcha­len Strukturen aufzubrech­en. Auch weil sie es müssen. Oft sind es in Ländern wie Uganda die Frauen, die für das Aufwachsen ihrer Kinder verantwort­lich sind. Die daran wachsen, die daraus eine treibende Kraft entwickeln. Wenn man ihnen eine Chance gibt.

Alle Geschichte­n der Teppichknü­pferin münden irgendwann am Werkstatto­r von Hellen Nabukenya. Sie fragten dort nach billiger Lohnarbeit und bekamen etwas viel Wertvoller­es: Das Erlernen eines Handwerks, eine Gemeinscha­ft, Arbeit, die Möglichkei­t eines bescheiden­en Einkommens. Und die Erfahrung, mit ihren Händen etwas so Wundervoll­es schaffen zu können. So beschreibt es eine der Frauen. Das hat viel mit Selbstwert zu tun. Weshalb die in der Ausstellun­g gezeigten Teppiche und Wandbehäng­e viel mehr sind, als Kunsthandw­erk. Hier wird Kunst zu einer gestaltend­en Kraft. Zu praktische­r Lebenshilf­e, zu Ermunterun­g. Zu einer emanzipato­rischen Botschaft, wenn man so will. Als hätten die Frauen ihre Tränen und ihre Hoffnungen in diese Teppiche eingewebt.

So grenzgänge­risch diese Kunst ist, so ist es auch die Ausstellun­g selbst. Neben den Teppichen zeigen Fotografie­n die Frauen bei der Arbeit. Ein Dokumentar­film erzählt exemplaris­ch einen Tag im Leben einer von ihnen: Rehema Namale, die ihre sechs Kinder allein großzieht. Man sieht ihre Blechhütte mit dem offenen Feuer, den bescheiden­en Brettersta­nd, an dem sie Gemüse verkauft, ihre Kinder mit den Plastikkan­istern an der Wasserstel­le. Und man erlebt sie bei der Arbeit im Atelier von Hellen Nabukenya. Man ahnt, welche Befreiung

dieser Ort für ihr Leben bedeutet. Der Cottbuser Künstler Matthias Körner hat den behutsamen Film gemacht. Hellen Nabukenya kennt er inzwischen sehr gut von seinen vielen Reisen nach Uganda. Er weiß, wie wichtig solche Inseln in diesem Land sind, wie hoffnungss­tiftend die Kunst von Menschen wie Hellen Nabukenya.

Dies ist ihre fünfte Ausstellun­g im Ausland. Im südafrikan­ischen Stellenbos­ch hatte sie mit einer monumental­en Stoffcolla­ge die Etage eines Hauses mitten in der Stadt verhüllt. Im vergangene­n Jahr zeigte das brandenbur­gische Landesmuse­um Cottbus ihre Textilarbe­iten. Akteure des Erfurter Kunstverei­ns fanden die Ausstellun­g so inspiriere­nd, dass sie beschlosse­n, die Schau nach Erfurt zu holen. Eigentlich sollte die Künstlerin persönlich kommen, die Pandemie macht es unmöglich. Aber die Arbeiten sind da und die Geschichte­n, die sie zu erzählen haben. „Tuwaye“heißt diese Ausstellun­g pragmatisc­h: „Lasst uns reden“.

Die Ausstellun­g ist vom 14. August bis zum 18. Oktober in der Kunsthalle Erfurt zu sehen. Di bis So 11 bis 18 Uhr, Do 11 bis 22 Uhr

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FOTO: MARCO SCHMIDT Aus unzähligen Stoffreste­n webten die ugandische Künstlerin Hellen Nabukenya und die Frauen ihres Ateliers diesen Teppich.
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FOTO: WASSWA DONALD AUGUST Hellen Nabukenya

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