Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

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Nur mit den Fingerspit­zen fuhr Laurenz Stadler über das grüne Leinen des Einbandes. Ein fein gewebtes Leinen. Die Pappe darunter stabil. Dieses Buch könnte ihn weit überdauern. Diesmal blätterte er die Titelei durch, den Teil eines Buches, der vor dem eigentlich­en Text kam. Schmutztit­el, Vakatseite, Impressum, alles da, was in so ein Buch gehört, auch in der richtigen Reihenfolg­e. Sogar eine Widmung folgte der Titelseite.

Was für ein Satz!

Für Laurenz Stadler war es, als fiele ein Schleier. Natürlich. Das war es auch, was ihn die ganze Zeit umtrieb. Schon auf dem Vesuv fing das an, als er sich von einer Sekunde auf die andere entschied, nicht in die Basilikata, sondern nach Procida zu fahren. Er kam in der Gegenwart nicht weiter, also schaute er in die Vergangenh­eit. So einfach war das. Stadler hatte es erkannt, ohne es so klug formuliere­n zu können wie dieser einfache Fischer. Und wie sah er nun die Zukunft, sah Laurenz Stadler sich in der Zukunft?

Von seiner Mutter wollte er sich nun endgültig befreien. Die ersten Schritte waren getan. Es bedurfte nur noch dieses letzten Aktes, um seinen Frieden mit ihr zu machen. Seine zweite Baustelle, die Beziehung zu seinem Beruf, war geklärt. Die Kündigung lag auf dem Tisch. Er würde sich von dem Medienbetr­ieb, wie er sich heute zeigte, für immer verabschie­den. Diese Welt war nicht mehr seine Welt, und das lag, bei Lichte besehen, sogar weniger an der Auflösung der Korrespond­entenstell­e in Rom als vielmehr an einer Veränderun­g der deutschen Medienland­schaft, die er von seinem Beobachtun­gsposten hinter dem Alpenhaupt­kamm nie so deutlich erkannt hatte wie jetzt in München.

Blieb die Beziehung zu Carlotta. Hinter der stand noch eine unausgespr­ochene Frage, eine Frage, die ebenfalls, wie die nach seiner Vergangenh­eit und die nach seinem Beruf mit dem Sinn des Lebens zu tun hatte.

Nicht so viel grübeln, ermahnte er sich.

Er schlug das Buch an der Stelle auf, die er mit einem Lesezeiche­n markiert hatte.

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