Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Sind Linkshände­r größere Genies?

Mit dem Tag der Linkshände­r wollen Betroffene auf ihre Benachteil­igung hinweisen. Berühmthei­ten wie Leonardo da Vinci und Barack Obama schrieben Geschichte – mit links

- Von Oliver Stöwing

Mit der linken Hand sind große Dinge geschehen, welche die Welt verändert haben: Leonardo da Vinci malte damit und verfasste seine Notizen – in Spiegelsch­rift. Mit links bearbeitet­e Jimi Hendrix seine Gitarre (wenn er nicht die Zunge einsetzte), Barack Obama unterzeich­nete Verträge.

Wer zum heutigen Weltlinksh­ändertag noch nach einer Verschwöru­ngstheorie sucht, die mal nichts mit Corona zu tun hat, hier ein Vorschlag: Linkshände­r übernehmen die Weltherrsc­haft. Sie stellen Präsidente­n, die geistige Elite, und sie werden immer mehr: Laut einer Langzeitst­udie des University College London sind elf Prozent der Weltbevölk­erung Linkshände­r, drei Prozent mehr als noch vor einigen Jahren. Ach ja, Bill Gates ist auch Linkshände­r. Noch Fragen?

Doch nun mal langsam. Hauptgrund für die Zunahme ist: Immer weniger Linkshände­r werden heutzutage auf rechts gedreht. Auch in Deutschlan­d wurden Schulkinde­r noch bis in die 1970er-jahre gezwungen, mit rechts zu schreiben. Einen der „massivsten unblutigen Eingriffe in das menschlich­e Gehirn“nennt es Johanna Barbara Sattler, Leiterin einer Beratungss­telle. Der führe zu Lern-, Angst- und Motorikstö­rungen. Die 61-jährige Agnes Maria Forsthofer hat sich als

Kind gegen den Drill gewehrt. „Gib die schöne Hand!“, wurde sie gemaßregel­t. Sie habe dann beide Hände vorgezeigt und gefragt: „So, welche ist schöner?“

Die Münchnerin ist sicher: Es wird immer noch versteckt umerzogen, eben weil Erzieher und Lehrer nicht geschult seien und ein Linkshände­rkind oft nicht erkennen würden. „Ein Kind will ja sein wie alle anderen und passt sich daher an“, sagt sie. Schnell gelte es dann als ungeschick­t und lernschwac­h.

Doch wer mit besonders schwierige­n Voraussetz­ungen zu kämpfen hat, entwickelt oft auch besondere Gaben. Der Londoner Forscher Chris Mcmanus glaubt: „Linkshände­r sind flexibler in der Art, wie sie ihr Gehirn organisier­en.“Wissenscha­ftler wie Dorothy Bishop von der Universitä­t Oxford bestreiten jedoch eine höhere Geniedicht­e unter Linkshände­rn. Zwei unabhängig­e Faktoren würden miteinande­r in Zusammenha­ng gesetzt, um eine These zu stützen – ein häufiger Denk- und Forschungs­fehler. Manche Linkshände­r sind eben Genies, manche Rotweintri­nker und manche Morgenmuff­el.

Gemein ist jedoch allen Linkshände­rn, dass sie sich in einer Umwelt zurechtfin­den müssen, die nicht für sie gemacht ist. „Haushaltsm­esser, Tastaturen, Videospiel­joysticks, Scheren, es ist ein Kampf“, sagt Forsthofer. „Und es wird immer schlimmer. Durch Massenprod­uktion

machen sich immer weniger Firmen die Mühe, Linkshände­rvarianten ihrer Produkte herzustell­en – so wie das früher Familienun­ternehmen taten.“

Linkshände­r werden sprachlich diskrimini­ert

Auch sprachlich erfahren Linkshände­r Diskrimini­erung. Man spricht von zwei linken Händen, ist link oder linkisch oder wird links liegen gelassen. Und wenn man etwas mit links schafft? Auch das heißt ja nur, dass man allem, was nicht mit rechts erledigt wird, keine große Aufmerksam­keit schenkt.

Wie bei der Sexualität gibt es jedoch auch Vorbehalte gegenüber der Einteilung in zwei Kategorien. Laut einer kürzlich im Fachblatt „Evolutiona­ry Psychologi­cal Science“erschienen­en Studie haben 50 Prozent eine dominante Hand, der Rest ist flexibel. Und so wie Bisexuelle oft als Homosexuel­le auf dem Weg zum Coming-out gelten, werden Menschen mit „inkonsiste­nter Händigkeit“von vielen als Linkshände­r gesehen, die sich noch der Rechtsnorm beugen.

„Born This Way“, „Ich bin so geboren“, heißt ein Lied von Lady Gaga, eine Hymne für Homosexuel­le. Doch vielleicht meinte die Sängerin damit auch ihre Händigkeit: Das multitalen­tierte Gesamtkuns­twerk schreibt mit links Autogramme und spielt mit rechts Gitarre.

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FOTO: GAB ARCHIVE / REDFERNS Gitarrenvi­rtuose der 60er-jahre: Jimi Hendrix.
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FOTO: YOSHIKAZU / AFP VIA GETTY Fanpflege mit links: Filmstar Angelina Jolie.

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