Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
„Ich wollte es herunterspielen“
Ein neues Buch bringt Us-präsident Trump in schwere Bedrängnis. Er kannte die Gefahr des Coronavirus und erzählte wochenlang das Gegenteil
Diesmal ist nichts durchgestochen oder anonym. Diesmal ist die Quelle für den Skandal eindeutig identifizierbar. Man kann sogar ihre teilweise mokante Stimme hören. Dass sie Us-präsident Donald Trump höchstpersönlich gehört, dem jüngst verheerend despektierliche Äußerungen über tote Us-soldaten zugeschrieben worden waren, löst in Amerika seit Mittwoch nicht weniger als Schockwellen aus.
Auf Interview-tonbändern, die der renommierte Watergate-enthüller Bob Woodward für sein neues Buch („Rage“, ab 15.9. im Us-handel) über den 45. Präsidenten Amerikas mit dessen Einwilligung bei insgesamt 18 Interviews mitlaufen ließ, überführt sich Donald Trump de facto selbst der Unwahrheit. Was die Gefährlichkeit des Coronavirus angeht, das in den USA bisher rund 190.000 Tote gefordert hat – mehr als in jedem anderen Land der Erde. „Das ist tödliches Zeug“, sagte Trump am 7. Februar dem legendären Reporter der „Washington Post“. Und: „Man atmet nur die Luft ein, und so wird es übertragen.“
„Man atmet nur die Luft ein, und so wird es übertragen.“
Us-präsident, am 7. Februar 2020 im Gespräch mit Usjournalist Bob Woodward über die Gefährlichkeit von Covid-19
Am 19. März bekannte Trump: „Ich wollte es immer herunterspielen.“Da war er seit mehr als sieben Wochen durch seine Topberater im Bilde darüber, dass die Seuche „kompliziert und schwierig“ist. Und viel „tödlicher als selbst unsere schweren Grippen“.
Joe Biden nennt das: „Verrat am amerikanischen Volk“
Dass Trump seinen Bürgern wochenlang das Gegenteil erzählt hat – die Corona-sache sei nicht schlimmer als eine Grippe, man habe alles unter Kontrolle, das Virus werde bei steigenden Temperaturen im Frühjahr wie von selbst verschwinden –, erklärte Trump dem Journalisten, der zuvor schon Präsidenten von Jimmy Carter bis Barack Obama akribisch in die Mangel genommen hatte, so: „Ich will keine Panik auslösen.“
In Washington hält Trumps demokratischer Herausforderer Joe Biden das für „abscheulich“, „beinahe kriminell“und „Verrat am amerikanischen Volk“. Anstatt der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, frühzeitig „mit den Gouverneuren“in den Bundesstaaten
Gegenmaßnahmen einzuleiten, die Versorgung mit medizinischem Material und „ausreichenden Virustestkapazitäten“sicherzustellen und als Vorbild bei der Anwendung bekannter Vorsichtsmaßnahmen aufzutreten, habe Trump wie ein Spieler gezockt, stellen die Spitzendemokraten im Kongress, Nancy Pelosi und Chuck Schumer, fest. „Wie viele Menschen würden heute noch leben“, fragte Pelosi, „wenn er den Amerikanern einfach die Wahrheit gesagt hätte?“
Dass Trump sich nach Bekanntwerden der Woodward-sequenzen als „Cheerleader“Amerikas bezeichnete, der den Menschen keine Angst machen wolle, ist aus Sicht von Demokraten „infam“. Trumps Wahlkampf schüre wahrheitswidrig die Furcht vor Sozialismus, Anarchie und ökonomischem Untergang für den Fall, dass ihm eine zweite Amtszeit verwehrt bliebe. Trumps Nichte Mary L. Trump, die ihrem Onkel in einem Buch jüngst krankhaft narzisstische Züge attestierte, warf dem Präsidenten „grob fahrlässige Gefährdung“vor. Potenziell sogar „fahrlässige Tötung“.
Folgt man Woodward in seinen Recherchen, dann war der Präsident der Corona-krise zu keiner Zeit gewachsen. „Trump schien nie gewillt zu sein, die Zentralregierung voll dagegen zu mobilisieren. Beständig schien er die Probleme auf die Bundesstaaten abzuwälzen.“Es gab im Weißen Haus keine „echte Management-theorie“, um mit einem der „komplexesten Notstände“umzugehen, mit dem Amerika jemals konfrontiert war, schreibt der 77-Jährige.
Dr. Anthony Fauci, der in der Öffentlichkeit geschätzte Chef-virologe
der Regierung, warf dem Präsidenten laut Woodward intern „Führungslosigkeit“und in Meetings eine im „Minusbereich“liegende „Aufmerksamkeitsspanne“vor. Trumps einziger Daseinszweck sei es, wiedergewählt zu werden, zitiert Woodward den Mediziner. Und verweist auf eine unheilige Rolle, die Chefberater Jared Kushner gespielt haben soll. Als im Juni in etlichen Bundesstaaten die Zahl der Infektionen sprunghaft anstieg, habe Trumps Schwiegersohn demonstrativ erklärt: „Das Ziel ist, seinen Kopf (des Präsidenten – Anm. d. Red.) von Regieren auf Wahlkampf auszurichten.“
So sehr Woodwards Arbeit gewürdigt wurde, der mit Carl Bernstein in der Watergate-affäre maßgeblich zum Rücktritt von Präsident Richard Nixon beigetragen hatte, so sehr machte sich in Kreisen von Medien und Politik Unbehagen über die Tatsache breit, dass der Reporter Trumps Doppelspiel nicht viel früher enttarnte. Der Journalist bestritt am Donnerstag, die Wahrheit unterdrückt zu haben, um kurz vor der Wahl sein Buch besser verkaufen zu können. Weil Trump ständig viel von sich gebe, was keiner Überprüfung standhalte, habe er sich monatelang an der alten Kernfrage entlanghangeln müssen: „Was wusste der Präsident? Und wann wusste er es?“Dieser Prozess habe bis Mai gedauert.