Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Blasmusik von der Küchenrolle
Bauhaus-uni, Staatskapelle und Thüringen Philharmonie untersuchten einen Corona-filter
Zehn Bläser der Staatskapelle Weimar bauen sich am Donnerstag im Foyer des Nationaltheaters auf und intonieren sinnigerweise die „Berliner Luft“. Das wäre an sich nichts Besonderes. Und doch ist dies „eine Welturaufführung“, so der Weimarer Industriedesigner Andreas Mühlenberend: die der gefilterten Blasmusik nämlich.
Trompeter, Posaunisten und Tubist haben die Schallbecher ihrer Instrumente mit Papier von der Küchenrolle bespannt, befestigt mit transparentem Klebeband. Die Hornisten, die ja mit der rechten Hand in den Schallbecher greifen, halten das Papier ins Schallloch.
Ohne den Filter würden sich alle viel wohler fühlen, zumal ihre Musik leicht gedämpft erklingt. Zudem ist es deutlich anstrengender, gegen diesen Widerstand zu spielen. „Aber wenn das eine Variante ist, mit der man überhaupt wieder spielen kann, wäre das doch sehr schön“, sagt Konzertmeister Gernot Süßmuth.
Der ging vor acht Wochen auf Mühlenberend zu, auf der Suche nach Möglichkeiten, die Situation für Orchestermusiker in der Pandemie
zu verbessern. Zwei Meter Abstand in Spielrichtung sind derzeit Pflicht. Die Staatskapelle bräuchte in großer Besetzung 300 Quadratmeter Platz, schätzt ihr Orchesterdirektor Nils Kretschmer. Das erste Konzert der Saison bestreitet man jetzt in der Weimarhalle mit dreißig Musikern.
Experimente am Schlierenspiegel der Weimarer Bauphysiker
Ob die Professuren für Industriedesign, Interface Design und Bauphysik hier weiterhelfen konnten, ist ungewiss. „Wir haben gezeigt, dass mit den Filtern weniger Luft ausgestoßen wird“, sagt Bauphysikerin Lia Becher, die entsprechende Experimente leitete. „Was das über die Partikel und Aerosole sagt, wissen wir nicht. Wir können nur sagen, dass größere Partikel eben so weit fliegen wie die Atemluft.“Im Prinzip wirke so ein Filter ähnlich wie eine Maske wirkt: Partikel sammeln sich dort. Es gebe aber noch keine tiefergehenden Untersuchungen.
Die Bauphysiker der Bauhausuniversität verfügen über einen Schlierenspiegel, der Luftströme sichtbar machen und messen kann. Es ist in dieser Größe und Preisklasse eines von nur vier Forschungsgeräten weltweit. Mit seiner Hilfe untersuchten sie die Atemluft beim Singen und Musizieren, zusammen mit der Thüringen Philharmonie Gotha-eisenach sowie der Staatskapelle.
Bis zu etwas mehr als ein Meter weit, so das Ergebnis, reichte die Atemluft ohne Filter. „Besonders ausgeprägt waren der Atemausstoß beim Spielen von Querflöte (über das Mundstück geblasene Luft), Klarinette (am Mundstück entweichende Nebenluft), Oboe und Fagott (Abatmen zwischen den Phrasen) sowie beim Singen“, heißt es. Bei der Querflöte verringere ein Zellstofffilter die Reichweite auf unter fünfzehn Zentimeter. Sie ist aber das einzige Holzblasinstrument, das dem Versuch standhält, weil bei den anderen Atemluft durch Tonlöcher und Mundstück entweicht. Bei Sängern hilft eine einfache Op-maske oder ein Plexiglas-visier.
„Wir haben natürlich keine Expertise, ob wir hier tatsächlich irgendwelche Viren bremsen“, sagt auch Gernot Süßmuth. Aber unisono mit allen Beteiligten hofft er, so einen Anstoß zu geben: für weitere Forschungen und Ideen.
Die Ergebnisse des Weimarer Experiments habe man den Unfallkassen zur Verfügung gestellt, so Orchesterdirektor Kretschmer. Sie würden die Abstandsregeln verändern helfen, wenn diese darauf eingingen.
Für den vergleichenden Klang ohne Filter konnten die Blechbläser im Foyer nur solistisch sorgen, der Abstände wegen. In natura klinge sein Instrument „brillanter und etwas heller“, so Trompeter Rupprecht Drees. Der Filter lasse weniger Obertöne zu.
Beim Horn ist der Unterschied deutlich geringer, wie Stefan Ludwig vorführte. Dennoch klinge es mit Filter „etwas verstopft“. Und man könne „nur sehr schwer eine gewisse Lautstärke erzeugen“, gibt er zu bedenken.
„Wenn das eine Variante ist, mit der man wieder spielen kann, wäre das doch sehr schön.“
Gernot Süßmuth, Konzertmeister