Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Blasmusik von der Küchenroll­e

Bauhaus-uni, Staatskape­lle und Thüringen Philharmon­ie untersucht­en einen Corona-filter

- Von Michael Helbing

Zehn Bläser der Staatskape­lle Weimar bauen sich am Donnerstag im Foyer des Nationalth­eaters auf und intonieren sinnigerwe­ise die „Berliner Luft“. Das wäre an sich nichts Besonderes. Und doch ist dies „eine Welturauff­ührung“, so der Weimarer Industried­esigner Andreas Mühlenbere­nd: die der gefilterte­n Blasmusik nämlich.

Trompeter, Posauniste­n und Tubist haben die Schallbech­er ihrer Instrument­e mit Papier von der Küchenroll­e bespannt, befestigt mit transparen­tem Klebeband. Die Hornisten, die ja mit der rechten Hand in den Schallbech­er greifen, halten das Papier ins Schallloch.

Ohne den Filter würden sich alle viel wohler fühlen, zumal ihre Musik leicht gedämpft erklingt. Zudem ist es deutlich anstrengen­der, gegen diesen Widerstand zu spielen. „Aber wenn das eine Variante ist, mit der man überhaupt wieder spielen kann, wäre das doch sehr schön“, sagt Konzertmei­ster Gernot Süßmuth.

Der ging vor acht Wochen auf Mühlenbere­nd zu, auf der Suche nach Möglichkei­ten, die Situation für Orchesterm­usiker in der Pandemie

zu verbessern. Zwei Meter Abstand in Spielricht­ung sind derzeit Pflicht. Die Staatskape­lle bräuchte in großer Besetzung 300 Quadratmet­er Platz, schätzt ihr Orchesterd­irektor Nils Kretschmer. Das erste Konzert der Saison bestreitet man jetzt in der Weimarhall­e mit dreißig Musikern.

Experiment­e am Schlierens­piegel der Weimarer Bauphysike­r

Ob die Professure­n für Industried­esign, Interface Design und Bauphysik hier weiterhelf­en konnten, ist ungewiss. „Wir haben gezeigt, dass mit den Filtern weniger Luft ausgestoße­n wird“, sagt Bauphysike­rin Lia Becher, die entspreche­nde Experiment­e leitete. „Was das über die Partikel und Aerosole sagt, wissen wir nicht. Wir können nur sagen, dass größere Partikel eben so weit fliegen wie die Atemluft.“Im Prinzip wirke so ein Filter ähnlich wie eine Maske wirkt: Partikel sammeln sich dort. Es gebe aber noch keine tiefergehe­nden Untersuchu­ngen.

Die Bauphysike­r der Bauhausuni­versität verfügen über einen Schlierens­piegel, der Luftströme sichtbar machen und messen kann. Es ist in dieser Größe und Preisklass­e eines von nur vier Forschungs­geräten weltweit. Mit seiner Hilfe untersucht­en sie die Atemluft beim Singen und Musizieren, zusammen mit der Thüringen Philharmon­ie Gotha-eisenach sowie der Staatskape­lle.

Bis zu etwas mehr als ein Meter weit, so das Ergebnis, reichte die Atemluft ohne Filter. „Besonders ausgeprägt waren der Atemaussto­ß beim Spielen von Querflöte (über das Mundstück geblasene Luft), Klarinette (am Mundstück entweichen­de Nebenluft), Oboe und Fagott (Abatmen zwischen den Phrasen) sowie beim Singen“, heißt es. Bei der Querflöte verringere ein Zellstofff­ilter die Reichweite auf unter fünfzehn Zentimeter. Sie ist aber das einzige Holzblasin­strument, das dem Versuch standhält, weil bei den anderen Atemluft durch Tonlöcher und Mundstück entweicht. Bei Sängern hilft eine einfache Op-maske oder ein Plexiglas-visier.

„Wir haben natürlich keine Expertise, ob wir hier tatsächlic­h irgendwelc­he Viren bremsen“, sagt auch Gernot Süßmuth. Aber unisono mit allen Beteiligte­n hofft er, so einen Anstoß zu geben: für weitere Forschunge­n und Ideen.

Die Ergebnisse des Weimarer Experiment­s habe man den Unfallkass­en zur Verfügung gestellt, so Orchesterd­irektor Kretschmer. Sie würden die Abstandsre­geln verändern helfen, wenn diese darauf eingingen.

Für den vergleiche­nden Klang ohne Filter konnten die Blechbläse­r im Foyer nur solistisch sorgen, der Abstände wegen. In natura klinge sein Instrument „brillanter und etwas heller“, so Trompeter Rupprecht Drees. Der Filter lasse weniger Obertöne zu.

Beim Horn ist der Unterschie­d deutlich geringer, wie Stefan Ludwig vorführte. Dennoch klinge es mit Filter „etwas verstopft“. Und man könne „nur sehr schwer eine gewisse Lautstärke erzeugen“, gibt er zu bedenken.

„Wenn das eine Variante ist, mit der man wieder spielen kann, wäre das doch sehr schön.“

Gernot Süßmuth, Konzertmei­ster

 ?? FOTO: MAIK SCHUCK ?? Zehn Blechbläse­r der Staatskape­lle Weimar spielten am Donnerstag im oberen Foyer des Deutschen Nationalth­eaters die „Berliner Luft“mit Küchenkrep­p als Covid19-filter. Im Vordergrun­d: der Solo-posaunist Thomas Schneider.
FOTO: MAIK SCHUCK Zehn Blechbläse­r der Staatskape­lle Weimar spielten am Donnerstag im oberen Foyer des Deutschen Nationalth­eaters die „Berliner Luft“mit Küchenkrep­p als Covid19-filter. Im Vordergrun­d: der Solo-posaunist Thomas Schneider.
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