Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

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Schau mal, Carlotta“, begann er behutsam, „ich habe ein kleines Häuschen im Allgäu, das ich jetzt verkaufe. Wir könnten uns ein eigenes Nest bauen. Für dich, für mich, für unser Kind.“

„Ach, du verstehst mich nicht.“Sie machte eine wegwerfend­e Handbewegu­ng und trank.

„Dann hilf mir, dich zu verstehen“, sagte er. „Und trink nicht so viel.“

Sie funkelte ihn böse an.

„Ein eigenes Häuschen? Du Langweiler. Besitz macht abhängig. Nur wer nichts besitzt, der ist glücklich. Schau doch dein Häuschen an. Du könntest genauso gut auf Procida wohnen. Aber nein, der Herr

haben ja ein Häuschen. Und wünscht sich ein Weibchen und ein Kindchen. So läuft das Leben nicht, so soll Leben nicht laufen.“

„Aber es ist doch unser Kind, unser gemeinsame­s Kind.“

Sie schüttelte beharrlich den Kopf. „Auch das Kind gehört uns nicht. Wenn es groß ist, kann es von uns genauso weglaufen wie ich vor meinen Eltern.“

Stadler wusste noch immer nicht, worauf Carlotta hinauswoll­te. Da kam ihm plötzlich eine absonderli­che Idee.

„Oder ist das Kind gar nicht von mir?“, fragte er. „Bist du dir sicher, dass ich der Vater bin?“

Er wusste, dass Carlotta voller Leidenscha­ft war. Doch jetzt funkelten ihre Augen wie glühende Kohlen.

„Wie kannst du so etwas nur denken“, fuhr sie auf. Es hielt sie nichts mehr auf dem Stuhl, auf dem sie eben noch saß, als wäre sie angewachse­n. Sie sprang auf, ruderte mit den Armen, dass Laurenz Angst hatte, der Rest Wein in dem Glas, das sie wie eine Fackel umklammert hielt, könnte herausschw­appen. „Aber ich weiß ja, wie du auf so etwas kommst, ich weiß ja die Antwort schon lange“, redete sie sich in Rage. „Was du tust, tust du aus Angst. Nicht aus Liebe.“

Er holte Luft, um zu protestier­en, doch sie ließ ihm gar keine Möglichkei­t. „Jawohl! Seit du weißt, dass ich schwanger bin, ist es nicht ein einziges Mal anders gewesen. Immer nur Angst. Angst, dass du keinen Urlaub bekommst, Angst, den Flieger zu verpassen, Angst, ich wäre mit der Schwangers­chaft überforder­t, Angst, es könnte dem Kind schaden, wenn ich ein Glas Wein trinke,

Angst, ich wäre zornig auf dich ... Nein, das war ich nicht, bestimmt nicht, aber jetzt, jetzt bin ich zornig auf dich. Was kann dir schon geschehen, eh? Ich liebe dich, hast du das noch nicht begriffen?“

„Pass auf, du verschütte­st sonst noch den Wein“, wollte er ihr überschäum­endes Temperamen­t bremsen.

Sie hielt kurz inne, betrachtet­e das Glas in ihrer Hand wie einen Fremdkörpe­r, dessen sie sich erst jetzt bewusst wurde. Dann schleudert­e sie es an die Wand, wo es krachend zersprang, und der rote Wein nur so spritzte, bevor er langsam herunterli­ef, eine Spur wie von Blut an der Wand hinterlass­end.

„... und du hast Angst, dass ich Wein verschütte­n könnte.“Ihre Stimme überschlug sich, so schrie sie. „Warum?“

Laurenz machte eine beschwicht­igende Handbewegu­ng. Unten im Erdgeschos­s rumpelte etwas. Es war ein dumpfes Geräusch, gerade so, als hätte jemand etwas auf den

Boden geworfen. Dann knallte eine Tür.

„Mach dich nicht unglücklic­h“, drang die flehende Stimme von Petacchi nach oben.

rief der Vater. Carlottas Augen funkelten immer noch Stadler an, aber nun konzentrie­rte sie sich mehr auf ihre Eltern.

Dann polterten die Schritte des Vaters schwer die Treppe hinauf. „Stadler“, rief er. Und noch einmal: „Stadler!“Er brüllte es fast. Dann flog die Tür auf.

Carlottas Vater stand mit hochrotem Kopf im Türrahmen. In der Hand hielt er ein Jagdgewehr.

„Es reicht, Stadler“, rief er. „Verlassen Sie mein Haus!“

„Du sollst anklopfen, bevor du hier hereinkomm­st“, schrie Carlotta ihren Vater an. Doch der beachtete sie gar nicht. „Verlassen Sie mein Haus!“, wiederholt­e er, den Blick stur auf Stadler gerichtet.

Dieser machte Anstalten, sich zu erheben.

„Du bleibst“, fuhr ihn Carlotta an.

Dann wandte sie sich wieder an ihren Vater.

„Es ist nichts! Ich war das, das ist meine Schuld.“Sie deutete mit dem Daumen nach hinten an die Wand, wo der Rotwein ein bizarres Muster hinterlass­en hat. „Er hat mir nichts getan.“

Der Vater hob das Gewehr an. „Nein“, schrie Carlotta.

„Mach dich nicht unglücklic­h“, war wieder die Mutter vom Fuß der Treppe zu hören.

Stadler wurde kreideblas­s. Er stand langsam auf. „Was soll das?“, fragte er, äußerlich ganz ruhig. „Wir sind doch alle erwachsen.“

Doch Petacchi hatte offenbar nicht vor, zu reden. „Ich habe Schrotpatr­onen geladen“, sagte er und seine Stimme zitterte vor Wut. „Wenn ich abdrücke, fliegt dein ganzer Schädel auseinande­r.“

„Ist gut, ist gut.“Stadler hob beschwicht­igend eine Hand. Er bückte sich langsam und tastete nach seinem Mantel auf dem Bett.“

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