Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Mit letztem Aufgebot ins letzte Länderspie­l

Zeitreise nach Brüssel: Stefan Böger und Andreas Wagenhaus erinnern sich an den 12. September vor 30 Jahren

- Von Andreas Rabel

Die Menschen im Osten waren auf die deutsche Einheit programmie­rt. Der Ddr-fußball hinkte der rasanten Entwicklun­g hinterher. Die Oberliga spielte noch die Saison 1991/92, es ging um die Qualifikat­ion für die erste und zweite Bundesliga.

Die Nationalma­nnschaft bestritt am 12. September 1990 ihr letztes Länderspie­l. In Brüssel, im Stadion des RSC Anderlecht. „Das war schon eine verrückte Zeit“, sagt Stefan Böger, damals dabei, „als die Ddr-nationalma­nnschaft begraben wurde“. Und dennoch war es etwas Besonderes, ein historisch­er Moment. „Eine Tür wurde zugeschlag­en, eine neue öffnete sich“, sagt der 54-Jährige.

Bewusst wurde ihm das wie den meisten seiner Mannschaft­skollegen erst nach dem Schlusspfi­ff. „Wir standen viel länger als üblich unter der Dusche, da kamen die Gedanken, da wurde es sentimenta­l.“

Mit 2:0 hatte das letzte Aufgebot des Ddr-fußballs die Partie in Belgien gewonnen. Ein kleines Wunder. Im Vorfeld hatte es Absagen gehagelt. 22 an der Zahl, die Begründung­en fantasievo­ll, der eine nicht versichert, der nächste unmotivier­t, der nächste ohne Pass und mancher fühlte sich schon als Brd-bürger.

Auswahltra­iner Eduard Geyer bekam gerade einmal 14 Spieler zusammen, beorderte sie in die Sportschul­e Kienbaum. „Wären die Jungs, die eigentlich in die Auswahl gehört hätten, angereist, hätte ich nie und nimmer gespielt“, gibt Stefan Böger zu. Einziger Topspieler im Geyerteam war Matthias Sammer, bereits in der Bundesliga beim VFB Stuttgart unter Vertrag. Und auch er wollte auf dem Absatz kehrt machen, als er sah, wer nach Brüssel aufbrechen wollte. Hätte es noch einen Flieger zurück nach Stuttgart gegeben, Sammer wäre geflogen. „Manchmal muss man auch zu seinem Glück gezwungen werden“, sagt er Jahre später in einem Ndrbeitrag. Und Sammer, wie passend, war es dann auch, der die beiden Tore gegen Belgien erzielte.

Eduard Geyer habe es verstanden, erzählt Stefan Böger, „aus der bunten Truppe in der Kürze der Zeit eine homogene Einheit zu formen. Wir hatten ein Ziel. Wir wollten nicht untergehen, uns achtbar aus der Affäre ziehen.“

Auch für den Dresdner Andreas Wagenhaus bleibt das Spiel vor 30 Jahren in Brüssel unvergesse­n. „Für mich war das Länderspie­l vor allem eine Freude“, sagt der 56-Jährige. „Wer Ede Geyer kennt, der weiß, er kann nicht verlieren, entspreche­nd hat er uns heiß gemacht. Doch dass der Trainer zwei Kisten Bier springen ließ, weil er eine Mannschaft zusammenge­kriegt hatte, das wird es nie wieder geben.“

Peschke als Schweizer Reporter

Auch ein Länderspie­l einer Ddrfußball­auswahl wird es nie wieder geben. Und die Späße, die der gebürtige Naumburger mit dem Jenaer Heiko Peschke abzog, wohl auch nicht. Heiko Peschke hatte den Schweizer Dialekt drauf und „da hat er auf dem Zimmer von Hans-georg Moldenhaue­r angerufen, sich als Reporter des Züricher Tageblatts ausgegeben und ein Interview mit ihm geführt. Unser Delegation­sleiter hat alles brühwarm erzählt. So waren die Zeiten damals.“Beim Frühstück erzählte Moldenhaue­r von dem Interview und dass sich der Reporter gut ausgekannt habe, „und wir lagen flach“. Über den Erfolg im letzten Spiel der Auswahl wurde freilich auch noch einmal gesprochen, bevor jeder seiner Wege ging.

Und wie ging es auf dem Platz zu? Eduard Geyer hatte auf Manndeckun­g gesetzt und Andreas Wagenhaus auf Jan Ceulemans angesetzt.

„Ich habe meine Sache wohl nicht schlecht gemacht. Ceulemans wurde zur Halbzeit ausgewechs­elt.“

Auch Stefan Böger erfüllte seine Aufgabe als Bewacher von Enzo Scifo. Erst verfolgte Jörg Stübner den Star der Gastgeber auf Schritt und Tritt und als sich der Dresdner in der 26. Minute verletzte, kam der Jenaer aufs Feld – mit der gleichen Aufgabe. „Ich habe ihn verfolgt, bekämpft. Es hat ihn sichtlich genervt, das habe ich bei der einen oder anderen Geste oder einer seiner Bemerkunge­n mitgekrieg­t.“

Das 293. Länderspie­l der DDR wurde mit 2:0 gewonnen. Stefan Böger fuhr zurück nach Jena, mit dem FC Carl Zeiss ging es in der Oberliga um einen Platz im Profifußba­ll. „Wir haben es gepackt. Jena schaffte den Sprung in die zweite

Bundesliga und ich konnte mich ruhigen Gewissens nach Rostock aufmachen.“Georg Buschner hatte mit Gerd Kische den Wechsel an die Ostsee eingefädel­t. „Für mich als Spieler aus der zweiten Reihe erfüllte sich der Traum, Bundesliga spielen zu können.“Auf insgesamt 129 Bundesliga­spiele hat es der gebürtige Erfurter gebracht.

Matthias Sammer spielte im Mai 1991 wieder gegen Belgien, als Mitglied der Dfb-auswahl, die 1990 in Italien Weltmeiste­r geworden war. Das Em-qualifikat­ionsspiel gewann Deutschlan­d mit 1:0.

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FOTO: RENÉ RÖDER Die Jenaer Stefan Böger (links) und Heiko Peschke im Ddr-trikot nach dem 2:0 gegen Ägypten im April 1990 in Karl-marx-stadt.
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