Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Das Leben nach dem Überleben
Achava-Festspiele bieten zwei Wochen lang Konzerte, Ausstellungen, Diskussionen
Schuld verarbeiten und Verantwortung übernehmen: Das gehöre zum Erwachsenwerden dazu, sagt Marc Sinan. Für die AchavaFestpiele erarbeitet der türkischdeutsch Komponist das Konzert „Gleißendes Licht“. Darin geht es um Täter und Opfer, Schmerz und Klage, um Vergeltung und Rache. Angesichts der konzertanten Gleichzeitigkeit in Buchenwald, Jerusalem, Berlin und Jena ist es das ungewöhnlichste Projekt eines Festivals, das vom 19. September bis zum 3. Oktober an zahlreichen Orten in Thüringen stattfindet.
„Gleißendes Licht“(29. September) verbindet vier Orte musikalisch miteinander. Auf dem Ettersberg in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald begleitet die Staatskapelle einen Knabenchor, in Jena werden die Philharmoniker gemeinsam mit dem Ensemble „AuditivVokal“aus Dresden und weiteren Sängern diesen Impuls zu einem Oratorium steigern. Weitere Brücken nach Jena schlagen zum Beispiel die junge israelische Schauspielerin Hadar Dimand, die in Jerusalem Texte rezitiert, und der Pianist Michael Wendeberg, der auf dem Berliner Bebelplatz, wo einst die Bücherverbrennungen stattfanden, Teile aus Sinans Komposition und weitere Werke von Mozart, Berg und Schumann spielt.
Konzerte, Uraufführungen, das Schülerforum im Landtag, Schülerpanels in Schulen, Ausstellungen, Diskurse und das bunte 3. interkulturelle Straßenfest in Eisenach prägen die 7. Auflage der Festspiele, die weiterhin die Geschichte und Geschichten der Menschen, der Überlebenden, der Zeitzeugen, derer die erlebt haben, in den Fokus rücken. So zum Beispiel Éva Fahidi-Pusztai, deren Liebesglück die Regisseurin Eva Stocker-Füzesi in einen berührenden Film münden lässt: „Drittes Leben – Éva und Bandi“. Die 96jährige Éva, die Auschwitz und Buchenwald überlebte, und der 88-jährige Bandi, der in der Schoa seinen Vater verlor, erzählen im Film über ihre späte Liebe mit einer erstaunlichen Offenheit, welche nur das Vertrauen in sich selbst und in den Anderen möglich macht. „Das Leben nach dem Überleben bietet ein volles Leben, im Fall von Éva ist es das dritte Leben“, sagt Eva Stocker-Füzesi, die per Video-Stream aus den Schweiz zugeschaltet war.
Zu den Höhepunkten des Festivals gehört auch die Wiederentdeckung des vokalsymphonischen Werkes von Hans Heller, für den Wissenschaftlichen Leiter der Achava-Festpiele, Jascha Nemtsov, ein Genie. Die Kompositionen des deutsch-jüdischen Komponisten aus Greiz wurden nie gedruckt, „Das Requiem für den unbekannten Verfolgten“ist am 23. September im Erfurter Dom zu hören.
Die Erfurter Fotografin Elena Kaufmann porträtierte einfühlsam und persönlich 20 Frauen, die alle jeweils einer anderen Religionsgemeinschaft angehören. „Der weiße
Faden – Welten frei von Etiketten“(9. September) lässt ihre Persönlichkeiten in einem speziell angefertigten „Kokon“am Erfurter Bahnhof wirken. Ungewöhnlich auch das Buch des Chronisten Klaus Schmidt, der die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Geschichte der jüdischen Gemeinde Barchfeld erforschte. Das Buch wird am 27. September ebendort vorgestellt.