Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Wir waren keine Mutschekiepchen
Mitten in der Buga-Lesung stocke ich. Was habe ich da geschrieben? „Der Wind öffnete Evis himmelblauen Bademantel, und der kleine Sommer rief: Mann, hat die Knollen!“
Ist das sexistisch?
Wir waren zwölf, und die Dreieckbadehose verschaffte uns Jungs einen Vorsprung beim Umkleiden, so dass wir zusehen konnten, wie die Mädchen sich mit ihren Badeanzügen abmühten. Natürlich waren wir scharf auf das andere Geschlecht. Der kleine Sommer war immer einen Zahn schärfer. Woher wusste er, dass die Lehmann schon Haare hatte?
Ich merke, wie ich mich vorm Publikum zu erklären versuche. Wir waren jung, neugierig und drängend. Standen voll im Saft. Zogen über Mädchen her und liebten versaute Witze. Jetzt, im Zeitalter von MeToo, traut man sich kaum noch, einer Frau in den Ausschnitt zu gucken. Und die Ausschnitte werden immer größer. Die Männer seien verunsichert, hört man. Ja, warum wohl?
Die Zuhörer erwarten, dass ich mit der Lesung fortfahre. Vor ein paar Jahren, denke ich, wurden Verse von einer Hausfassade entfernt, weil der Dichter Frauen mit Blumen verglich. Ich vergleiche meine Schreibmaschine mit einer Geliebten: „Ach, Erika, du verlangtest einen harten Anschlag.“Meine Texte strotzen nicht vor sexuellen Anspielungen, doch diese gehören dazu. Da steht beim Rendezvous im Schulgarten der Rhabarber hoch, wird splitternackt aus dem Bett gehechtet, nur um rechtzeitig die Schallplatte umzudrehen, und durchs Schlüsselloch gelinst.
Ich stehe zu unserem fröhlichen, freien Jugendleben. Wir waren doch keine Mutschekiepchen! Obwohl, wer weiß denn, wie es unter Mutschekiepchen zugeht.