Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
„Es ist eine Verunsicherung spürbar“
Nada-Chefin Gotzmann über die Zweifel an der Sauberkeit der Spiele und die Herausforderungen der Pandemie
Die Arbeit der Dopingjäger steht bei den Olympischen Spielen besonders im Fokus. Gerade sorgte eine ARD-Dokumentation für Aufruhr, weil Athleten unfreiwillig Opfer von Doping-Anschlägen werden könnten. Andrea Gotzmann, Chefin der Nationalen Anti-DopingAgentur (Nada) bezieht Stellung zu den Zweifeln, ob die Spiele von Tokio sauber genug sein können, und spricht über die Herausforderungen der Corona-Pandemie.
Diese Spiele stehen im Zeichen der Pandemie, alles dreht sich um Corona. Über Doping wird eher am Rande gesprochen. Ist das für Sie eine willkommene Abwechslung?
Das ist eine neue Herausforderung. Was wir im Bereich Anti-Doping machen, das ist ein routiniertes System, das weltweit läuft. Ich bin allerdings derzeit des Öfteren irritiert, wenn ich höre, dass es wieder fünf positive Fälle bei den Olympischen Spielen gegeben hat. Beim Weiterlesen der Artikel stelle ich fest, dass es sich um Corona-Fälle handelt. Da wird im Augenblick noch nicht differenziert in den Schlagzeilen.
Die Schlagzeilen handelten auch vom Doping; es ging um mögliche Doping-Anschläge und die Verabreichung von Substanzen über einen flüchtigen Hautkontakt an unwissende Athleten. Wie haben Sie diese Nachrichten aufgenommen?
In erster Linie muss man hier betonen, dass es sich um einen kriminellen Akt handelt, wenn es so durchgeführt wird, wie es in der ARD-Doku dargestellt wurde. Was wir seitens der Forschung und der bisherigen Ergebnisse wissen, ist, dass Substanzen auch über die Haut aufgenommen werden können. In der Dokumentation wurde von einem Anschlag gesprochen, und dafür benötigt es kriminelle Energie. Wichtig ist, dass die Ergebnisse der Studie nun aufgearbeitet werden und in die Anti-Doping-Arbeit einfließen.
Erkennen Sie eine akute Gefahr fälschlicher Dopingsperren?
Man muss die Forschungsergebnisse im Einzelnen prüfen und sehen, welche Möglichkeiten es zur Erkennung eines Anschlags durch Lösungen im analytischen Bereich oder anderweitig gibt. Da ist die WeltAnti-Doping-Agentur in der Pflicht. Herausforderungen dieser Art gab es immer wieder, etwa mit Clenbuterol, das illegal in der Tiermast eingesetzt wurde. Athletinnen und Athleten haben durch den Verzehr des verunreinigten Fleisches unbewusst Clenbuterol aufgenommen und wurden somit positiv getestet. Diese Fälle sind alle im Einzelnen aufgearbeitet worden.
Mit welchem Resultat?
Man hat Lösungen gefunden, solche Fälle werden heute ganz anders behandelt. Die Gefahr fälschlicher Sperren scheint gering. Man muss aber auch erwähnen, dass es keinen Automatismus von positivem Ergebnis und automatischer Sperre gibt. Es gibt ein Ergebnismanagement, wo Beweise und Entlastungsbeweise in jedem einzelnen Fall zusammengetragen werden. Wir arbeiten zudem mit den staatlichen Ermittlungsstellen zusammen, die noch andere Möglichkeiten haben.
Rechnen Sie damit, dass das dieses Thema in Tokio viele beschäftigt?
Es ist eine Verunsicherung bei den Athletinnen und Athleten spürbar. Das ist ein Thema, das besorgt. Deshalb gilt es, schnellstens die genauen Zahlen und Fakten der Studie zu erhalten und dann an Lösungsansätzen zu arbeiten.
Inzwischen vernimmt man von vielen Sportlern generell Zweifel, ob die Spiele diesmal sauber genug sein können nach den weltweiten Lockdowns seit Beginn der CoronaKrise. Dass Doper mehr und bessere Chancen hatten zu betrügen. Wie gehen Sie damit um?
Ich versuche, immer auch meine persönliche Situation zu analysieren. Das war ein massiver Einschnitt im vergangenen Jahr. Wir waren von heute auf morgen zu Hause, haben im Homeoffice gearbeitet. Das öffentliche Leben wurde komplett heruntergefahren. Ich weiß nicht, ob da der erste Gedanke von Athletinnen und Athleten ist, zu dopen, wenn man eine solche Unsicherheit und auch Gesundheitsgefährdung durch eine andere Herausforderung erfährt. Ich finde diesen Rückschluss ungerecht.
Inwiefern wurde die Arbeit der Nada durch die neuen Herausforderungen in der Pandemie verändert?
Hier sieht man, dass die Anti-Doping-Arbeit stetig fortentwickelt werden muss, dass Innovation gefragt ist, um auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Wir hatten mit der Trockenblutkontrolle schon seit 2015 Erfahrung und haben dann bedingt durch die Pandemie ein virtuelles Testen mit Begleitung vor der Kamera eingeführt. Wir konnten keine Kontrolleure guten Gewissens im ersten Lockdown irgendwo hinschicken. Es gab im ersten Lockdown viele unberechtigte Dopingvorwürfe, deshalb wollten wir mit den Athletinnen und Athleten zusammen etwas tun, die das Bedürfnis hatten zu zeigen, dass sie nicht dopen. Das haben wir auf freiwilliger Basis mit einer sehr großen Resonanz umgesetzt.
Diese Technik wird erstmals auch in Tokio bei Olympia eingesetzt.
Das ist richtungsweisend und für uns eine wichtige Weiterentwicklung. Die Trockenbluttechnik wird andere Systeme nicht ersetzen, aber man hat noch einmal mehr analytische Möglichkeiten, um dann auch solche ungewöhnlichen und kritischen Phasen zu durchleben.
Wie umfassend war das Testprogramm der Nada zuletzt, welche Ergebnisse brachte es?
Die Nada hat im Vorfeld dieser Spiele ein umfangreiches Testprogramm durchgeführt. Trotz der Auswirkungen der Pandemie verlief dieses für uns auf einem gewohnt hohen Niveau. Die Nada hat bei den 438 deutschen Olympia-Teilnehmerinnen und Teilnehmern 1420 Kontrollen durchgeführt in dem sechsmonatigen Zeitraum vor Eröffnung des olympischen Dorfes. Daraus resultierten 2274 Proben. Einige Athleten
wurden bis zu sechs Mal kontrolliert; alle mindestens einmal. Die Ergebnisse, die wir bisher erhalten haben, sind alle negativ gewesen.
Konnte die Effektivität der Anti-Doping-Arbeit seit den letzten Sommerspielen gesteigert werden?
Die Anti-Doping-Arbeit ist ein extrem innovatives Gebiet im Bereich der Forschung. Wir haben in Köln und Kreischa zwei hervorragende Labore, die sehr aktiv sind in der Weiterentwicklung und Verfeinerung von neuen Analysemethoden. Das ist wichtig, um zu neuen, aktuellen Fragestellungen schnell mit neuen Forschungsprojekten reagieren zu können und Ergebnisse zu liefern. Auch haben wir eine klare Qualitäts- und Quantitätssteigerung im Vergleich zu den Spielen von Rio zu verzeichnen.
In welchem Maße?
Das deutsche Team ist von der Größe vergleichbar, aber die Zahl der Kontrollen ist um 28 Prozent gestiegen, die Probenanzahl hat sich um 51 Prozent erhöht. Wir nutzen die Möglichkeiten, die uns die Labore zur Verfügung stellen. Auch wurden alle Proben in die Langzeitlagerung überführt; zehn Jahre lang können sie somit erneut analysiert werden.