Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Lehrstunde für Tischtennis-Küken
Hend Zaza aus Syrien ist die jüngste Olympia-Teilnehmerin seit 1968. Die Zwölfjährige hat schon eine bewegende Geschichte
Es war kein Moment, um den Kopf zu senken, und doch schossen ihr Tränen die Wange herunter: Hend Zaza hat die 24 aufregendsten Minuten ihres SportlerinnenSeins hinter sich, aber noch ein ganzes Leben vor sich. Am Tag, nachdem sie die Fahne ihres Landes bei der Eröffnungsfeier getragen hatte, schrieb die Tischtennisspielerin aus Syrien Fünf-Ringe-Geschichte.
Im Alter von 12 Jahren und 204 Tagen ist Zaza die jüngste Teilnehmerin dieser Spiele. In der OlympiaHistorie gab es nur vier Jüngere als sie, die vorerst letzte war 1968 in Grenoble die rumänische Eiskunstläuferin Beatrice Hustiu. Das frühe
Aus in Runde eins aus wird das Talent verkraften können. Ihre Gegnerin, die Österreicherin Liu Jia, war 27 Jahre älter und erfahrener.
„Ich hatte auf ein besseres Match gehofft“, sagte Zaza, graues Shirt zu schwarzer Hose tragend, nach der glatten Viersatzniederlage. Am Ende setzte sich die Ex-Europameisterin durch, die ihrer jungen Konkurrentin für deren enormes Ballgefühl Respekt zollte: „Ich war mir bis zuletzt nicht sicher, mit welchen Emotionen ich spielen soll. Soll ich Vollgas geben oder sie ein bisschen mitspielen lassen“, sagte Liu, in Peking geboren und 1998 eingebürgert, bei ihren fünften Spielen. „Ich habe mit sehr viel Erfahrung gewonnen, sie ist noch ein Kind.“
Das ist nicht einmal übertrieben. Allerdings ein Kind mit beeindruckender Geschichte. Zaza wuchs im Bürgerkriegsgebiet auf, ihre Heimatstadt Hama war stark betroffen.
Zuflucht fand die damals Fünfjährige im Tischtennis, auch wenn die örtliche Halle kaum mehr intakt war. „Der Sport gab mir alles und lehrte mich, ein starker Mensch zu sein“, sagte sie nun. „Sobald wir spielen, vergessen wir alles andere.“
Ihr Talent fiel auf, Zaza wurde in ein Förderprogramm des Internationalen Verbandes aufgenommen. Nach ersten nationalen Erfolgen gewann sie 2020 die West-Asien-Qualifikation – und wäre ohne die Verschiebung bei ihrem Olympia-Debüt noch ein Jahr jünger gewesen.
„Ich habe in den vergangenen fünf Jahren viel durchgemacht, besonders im Krieg“, sagte Zaza nun. Auch ihr Start in Tokio stand auf der Kippe: „Wir brauchen Geld zur Teilnahme. Ich musste darum kämpfen.“Erstaunliche Worte von einer Noch-nicht-mal-Teenagerin, die in einer Botschaft mündeten, die den olympischen Geist nicht besser ausdrücken kann: „An alle, die einen Wunsch haben und es schaffen wollen: Kämpft um eure Träume, gebt alles – egal, wie schwer es ist.“
Auch Liu Jia war beeindruckt von ihrem mit Sicherheit eigenartigsten Sieg. Als Gegnerin Zazas wollte sogar die New York Times vorher ein Interview mit der Österreicherin. „Wenn man weiß, welche Rahmenbedingungen sie daheim hat und dass da Frauen oft keine Rechte haben, sie aber schon hier ist, verdient das von mir einen riesengroßen Applaus.“Hend Zaza, die später Apothekerin werden möchte, schöpfte aus der Lehrstunde Kraft und versprach vor dem Abschied: „Jetzt arbeite ich daran, dass es nächstes Mal hoffentlich besser wird.“