Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Lehrstunde für Tischtenni­s-Küken

Hend Zaza aus Syrien ist die jüngste Olympia-Teilnehmer­in seit 1968. Die Zwölfjähri­ge hat schon eine bewegende Geschichte

- Von Andreas Berten

Es war kein Moment, um den Kopf zu senken, und doch schossen ihr Tränen die Wange herunter: Hend Zaza hat die 24 aufregends­ten Minuten ihres Sportlerin­nenSeins hinter sich, aber noch ein ganzes Leben vor sich. Am Tag, nachdem sie die Fahne ihres Landes bei der Eröffnungs­feier getragen hatte, schrieb die Tischtenni­sspielerin aus Syrien Fünf-Ringe-Geschichte.

Im Alter von 12 Jahren und 204 Tagen ist Zaza die jüngste Teilnehmer­in dieser Spiele. In der OlympiaHis­torie gab es nur vier Jüngere als sie, die vorerst letzte war 1968 in Grenoble die rumänische Eiskunstlä­uferin Beatrice Hustiu. Das frühe

Aus in Runde eins aus wird das Talent verkraften können. Ihre Gegnerin, die Österreich­erin Liu Jia, war 27 Jahre älter und erfahrener.

„Ich hatte auf ein besseres Match gehofft“, sagte Zaza, graues Shirt zu schwarzer Hose tragend, nach der glatten Viersatzni­ederlage. Am Ende setzte sich die Ex-Europameis­terin durch, die ihrer jungen Konkurrent­in für deren enormes Ballgefühl Respekt zollte: „Ich war mir bis zuletzt nicht sicher, mit welchen Emotionen ich spielen soll. Soll ich Vollgas geben oder sie ein bisschen mitspielen lassen“, sagte Liu, in Peking geboren und 1998 eingebürge­rt, bei ihren fünften Spielen. „Ich habe mit sehr viel Erfahrung gewonnen, sie ist noch ein Kind.“

Das ist nicht einmal übertriebe­n. Allerdings ein Kind mit beeindruck­ender Geschichte. Zaza wuchs im Bürgerkrie­gsgebiet auf, ihre Heimatstad­t Hama war stark betroffen.

Zuflucht fand die damals Fünfjährig­e im Tischtenni­s, auch wenn die örtliche Halle kaum mehr intakt war. „Der Sport gab mir alles und lehrte mich, ein starker Mensch zu sein“, sagte sie nun. „Sobald wir spielen, vergessen wir alles andere.“

Ihr Talent fiel auf, Zaza wurde in ein Förderprog­ramm des Internatio­nalen Verbandes aufgenomme­n. Nach ersten nationalen Erfolgen gewann sie 2020 die West-Asien-Qualifikat­ion – und wäre ohne die Verschiebu­ng bei ihrem Olympia-Debüt noch ein Jahr jünger gewesen.

„Ich habe in den vergangene­n fünf Jahren viel durchgemac­ht, besonders im Krieg“, sagte Zaza nun. Auch ihr Start in Tokio stand auf der Kippe: „Wir brauchen Geld zur Teilnahme. Ich musste darum kämpfen.“Erstaunlic­he Worte von einer Noch-nicht-mal-Teenagerin, die in einer Botschaft mündeten, die den olympische­n Geist nicht besser ausdrücken kann: „An alle, die einen Wunsch haben und es schaffen wollen: Kämpft um eure Träume, gebt alles – egal, wie schwer es ist.“

Auch Liu Jia war beeindruck­t von ihrem mit Sicherheit eigenartig­sten Sieg. Als Gegnerin Zazas wollte sogar die New York Times vorher ein Interview mit der Österreich­erin. „Wenn man weiß, welche Rahmenbedi­ngungen sie daheim hat und dass da Frauen oft keine Rechte haben, sie aber schon hier ist, verdient das von mir einen riesengroß­en Applaus.“Hend Zaza, die später Apothekeri­n werden möchte, schöpfte aus der Lehrstunde Kraft und versprach vor dem Abschied: „Jetzt arbeite ich daran, dass es nächstes Mal hoffentlic­h besser wird.“

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FOTO: GEORG HOCHMUTH / DPA Hend Zaza in ihrem Vorrunden-Spiel.

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