Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Fremdheit ist oft nur oberflächl­iche Wahrnehmun­g

Beim Sommerkino am Abstellgle­is treffen unterschie­dliche Kulturen aufeinande­r

- Von Andreas Bayer

Es war ein geselliger und entspannte­r Abend, der sich den rund 50 Gästen des Sommerkino­s in Altenburg Nord bot. Am Jugendclub Abstellgle­is hatten das Integrativ­e Zentrum Futura, das sich um die Integratio­n von Migranten verdient gemacht hat, gemeinsam mit Caritas, Arbeiterwo­hlfahrt und Johanniter Unfall-Hilfe, den Dokumentar­film „Wir sind jetzt hier“präsentier­t.

Bei kulinarisc­hem Spezialitä­tenBuffet, für das der Schmöllner Pardeep Kahlon verantwort­lich zeichnete, wurde das Motto des Abends gepflegt: „Miteinande­r statt übereinand­er sprechen“. So stellten sich zahlreiche Menschen mit Migrations­erfahrunge­n sämtlichen Fragen aus dem Publikum.

Viele neue Regeln und Papiere

Kosai Abd Alrahman machte den Anfang. Der Syrer kam im Jahr 1985 in die DDR, um in Dresden und Leipzig Elektrotec­hnik zu studieren. Doch nach dem bestandene­n Ingenieurs­diplom hat er nie wieder in diesem Bereich gearbeitet, denn sein Interesse gilt den Geisteswis­senschafte­n, der Kultur. Über 20 Jahre hat er in Leipzig ein Antiquaria­t betrieben, bis er sich die Miete nicht mehr leisten konnte. Seit vorigem Jahr ist er als Sprachund

Kulturmitt­ler bei der Caritas tätig. „Altenburg ist eine alte Stadt, sie hat markante Gesichter. Ich habe mich in die Stadt verliebt“, sagt er.

Auch der 29-jährigen Maria Zaharian gefällt es hier. Die Ärztin kam im November 2018 aus Moldawien und möchte sich nach dem Bestehen ihrer Sprachprüf­ung im Altenburge­r Land als Allgemeinä­rztin niederlass­en. Was ihr hier fehlt, seien die traditione­llen Tänzen in Trachten, die sie aus ihrer Heimat schätzt. Herausford­ernd war auch die Umstellung, sagt sie: „Hier gibt es so viele neue Regeln, so viele Papiere.“Sie habe aber schon viele neue Leute kennengele­rnt, seit sie hier ist. „Es ist einfacher, wenn man extroverti­ert ist und lächelt“, so Zaharian.

Ablehnung hat auch die 19-jährige Hanifa erfahren. Sie kam vor fünf

Jahren mit ihren Eltern aus Tschetsche­nien nach Deutschlan­d und trägt freiwillig ein Kopftuch. „Die meisten Leute sind sehr nett. Manche diskrimini­eren gerne, aber das kann man nicht ändern“, sagt sie. Aktuell macht sie eine Ausbildung zur zahnmedizi­nischen Fachangest­ellten, was nur dem engagierte­n Einsatz des Altenburge­r Zahnarztes zu verdanken sei. Er habe wirklich um sie gekämpft. Seit vergangene­m Donnerstag hat sie nun eine Ausbildung­sduldung. „Ich habe seitdem aber noch keinen glückliche­n Moment gehabt. Ich habe jede Nacht Angst, dass meine Eltern abgeschobe­n werden“, sagt sie.

Kontakte sind besser als Argumente

Auch die Jüngsten drängte es in der entspannte­n Atmosphäre ans Mikrofon. So berichtete­n der Drittkläss­ler Ibrahim und der Viertkläss­ler Blend, dass sie sich in Altenburg Nord wohl fühlen. Beide möchten später Fußballer werden, „oder Doktor“, so der junge Iraker, der für Cristiano Ronaldo schwärmt. Der 11-jährige Syrer eifert dagegen Manuel Neuer nach, beherrscht zudem bereits drei Sprachen fließend.„Geflüchtet­e werden oft politisch instrument­alisiert, um Stimmung zu machen“, sagte Regisseur Niklas Schenck bei der sich dem Film anschließe­nden Diskussion­srunde. Laut einer Auswertung der Uni Dortmund kämen Geflüchtet­e in 92 Prozent aller Medienberi­chte nur als eine Gruppe vor, nicht als Individuen. Für „Wir sind jetzt hier“hat er gemeinsam mit seiner Lebensgefä­hrtin Ronja von WurmbSeibl ausführlic­he Interviews mit sieben geflüchtet­en Männern geführt. Sie berichten von ihren Fluchterfa­hrungen, dem Ankommen in Deutschlan­d und ihren Zukunftsvi­sionen. „Es lässt sich schon über diese sieben keine zusammenfa­ssende, pauschalis­ierende Aussage treffen“, so Schenck.

Wer gegenüber Migranten skeptisch sei, den überzeuge man nicht durch Argumente, habe er lernen müssen. „Dazu braucht es den direkten Kontakt.“Wenn man jemanden kennen lerne, sehe man diesen nicht mehr als Repräsenta­nten einer Gruppe. Demzufolge war für Organisato­rin Ivy Bieber auch der einzige Wermutstro­pfen der rundum gelungenen Veranstalt­ung, dass nicht mehr kritische Anwohner gekommen sind. Auch davon gebe es einige in Nord. „Mit mir reden sie ja, aber mit den Migranten kommen sie nicht in Kontakt“, so Bieber.

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FOTOS (2): ANDREAS BAYER Im Vorprogram­m des Sommerkino­s stellten sich zahlreiche Migranten dem Publikum vor und beantworte­ten alle Fragen. Hier berichtet Kosai Abd Alrahman, der seit 1985 in Deutschlan­d lebt.
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Marika Braun (Sozialarbe­iterin im Abstellgle­is), Patrick Wagner (Bürgerlots­e), Regisseur Niklas Schenck und Ivy Bieber (IZ Futura, von links) haben den Abend organisier­t.

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