Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Fremdheit ist oft nur oberflächliche Wahrnehmung
Beim Sommerkino am Abstellgleis treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander
Es war ein geselliger und entspannter Abend, der sich den rund 50 Gästen des Sommerkinos in Altenburg Nord bot. Am Jugendclub Abstellgleis hatten das Integrative Zentrum Futura, das sich um die Integration von Migranten verdient gemacht hat, gemeinsam mit Caritas, Arbeiterwohlfahrt und Johanniter Unfall-Hilfe, den Dokumentarfilm „Wir sind jetzt hier“präsentiert.
Bei kulinarischem SpezialitätenBuffet, für das der Schmöllner Pardeep Kahlon verantwortlich zeichnete, wurde das Motto des Abends gepflegt: „Miteinander statt übereinander sprechen“. So stellten sich zahlreiche Menschen mit Migrationserfahrungen sämtlichen Fragen aus dem Publikum.
Viele neue Regeln und Papiere
Kosai Abd Alrahman machte den Anfang. Der Syrer kam im Jahr 1985 in die DDR, um in Dresden und Leipzig Elektrotechnik zu studieren. Doch nach dem bestandenen Ingenieursdiplom hat er nie wieder in diesem Bereich gearbeitet, denn sein Interesse gilt den Geisteswissenschaften, der Kultur. Über 20 Jahre hat er in Leipzig ein Antiquariat betrieben, bis er sich die Miete nicht mehr leisten konnte. Seit vorigem Jahr ist er als Sprachund
Kulturmittler bei der Caritas tätig. „Altenburg ist eine alte Stadt, sie hat markante Gesichter. Ich habe mich in die Stadt verliebt“, sagt er.
Auch der 29-jährigen Maria Zaharian gefällt es hier. Die Ärztin kam im November 2018 aus Moldawien und möchte sich nach dem Bestehen ihrer Sprachprüfung im Altenburger Land als Allgemeinärztin niederlassen. Was ihr hier fehlt, seien die traditionellen Tänzen in Trachten, die sie aus ihrer Heimat schätzt. Herausfordernd war auch die Umstellung, sagt sie: „Hier gibt es so viele neue Regeln, so viele Papiere.“Sie habe aber schon viele neue Leute kennengelernt, seit sie hier ist. „Es ist einfacher, wenn man extrovertiert ist und lächelt“, so Zaharian.
Ablehnung hat auch die 19-jährige Hanifa erfahren. Sie kam vor fünf
Jahren mit ihren Eltern aus Tschetschenien nach Deutschland und trägt freiwillig ein Kopftuch. „Die meisten Leute sind sehr nett. Manche diskriminieren gerne, aber das kann man nicht ändern“, sagt sie. Aktuell macht sie eine Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten, was nur dem engagierten Einsatz des Altenburger Zahnarztes zu verdanken sei. Er habe wirklich um sie gekämpft. Seit vergangenem Donnerstag hat sie nun eine Ausbildungsduldung. „Ich habe seitdem aber noch keinen glücklichen Moment gehabt. Ich habe jede Nacht Angst, dass meine Eltern abgeschoben werden“, sagt sie.
Kontakte sind besser als Argumente
Auch die Jüngsten drängte es in der entspannten Atmosphäre ans Mikrofon. So berichteten der Drittklässler Ibrahim und der Viertklässler Blend, dass sie sich in Altenburg Nord wohl fühlen. Beide möchten später Fußballer werden, „oder Doktor“, so der junge Iraker, der für Cristiano Ronaldo schwärmt. Der 11-jährige Syrer eifert dagegen Manuel Neuer nach, beherrscht zudem bereits drei Sprachen fließend.„Geflüchtete werden oft politisch instrumentalisiert, um Stimmung zu machen“, sagte Regisseur Niklas Schenck bei der sich dem Film anschließenden Diskussionsrunde. Laut einer Auswertung der Uni Dortmund kämen Geflüchtete in 92 Prozent aller Medienberichte nur als eine Gruppe vor, nicht als Individuen. Für „Wir sind jetzt hier“hat er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Ronja von WurmbSeibl ausführliche Interviews mit sieben geflüchteten Männern geführt. Sie berichten von ihren Fluchterfahrungen, dem Ankommen in Deutschland und ihren Zukunftsvisionen. „Es lässt sich schon über diese sieben keine zusammenfassende, pauschalisierende Aussage treffen“, so Schenck.
Wer gegenüber Migranten skeptisch sei, den überzeuge man nicht durch Argumente, habe er lernen müssen. „Dazu braucht es den direkten Kontakt.“Wenn man jemanden kennen lerne, sehe man diesen nicht mehr als Repräsentanten einer Gruppe. Demzufolge war für Organisatorin Ivy Bieber auch der einzige Wermutstropfen der rundum gelungenen Veranstaltung, dass nicht mehr kritische Anwohner gekommen sind. Auch davon gebe es einige in Nord. „Mit mir reden sie ja, aber mit den Migranten kommen sie nicht in Kontakt“, so Bieber.