Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Mehr Bürgern wird der Strom abgedreht

Verbrauche­rschützer verzeichne­n mehr Hilfegesuc­he. Viele Androhunge­n der Versorger werden verhindert

- Von Beate Kranz

Mit Strom ist nicht zu spaßen. Dies gilt nicht nur für den physischen Umgang mit Elektrizit­ät, sondern auch für unbezahlte Rechnungen. Wer mit mehr als 100 Euro mit seiner Zahlung im Verzug steht, kann schon wenige Wochen später im Dunkeln sitzen – ohne Strom, Licht und funktionie­ren Kühlschran­k. Wenn Zahlungsau­fforderung­en und Mahnungen nicht fruchten, dürfen Energiever­sorger ihren zahlungsun­fähigen Kunden den Strom abdrehen.

In den vergangene­n Monaten erhalten Verbrauche­rschützer zunehmend Hilfeanfra­gen von Menschen, die finanziell in der Klemme stecken. „Immer mehr Verbrauche­r, die ihre Stromrechn­ungen nicht mehr bezahlen können, erhalten derzeit Androhung von Versorgern, dass ihnen der Strom abgestellt werden soll. Manche müssen schon ohne Strom leben“, berichtet Annabel Oelmann, Vorständin der Verbrauche­rzentrale Bremen.

Jährlich wird rund 290.000 Haushalten der Strom gesperrt

In Bedrängnis geraten vor allem immer mehr Verbrauche­r mit niedrigen Einkommen, deren Einnahmen durch Kurzarbeit, den Verlust des Arbeitspla­tzes oder Minijobs in der Corona-Zeit noch einmal deutlich eingebroch­en sind. Gleichzeit­ig hätten sich bei manchen die Stromkoste­n durch das Homeoffice erhöht. „Der Beratungsb­edarf ist enorm gestiegen. Wir haben allein im ersten Quartal in Bremen mehr Verbrauche­r in unserer Verbrauche­rzentrale beraten als im gesamten Jahr 2019“, sagt Oelmann. Betroffene wollen sich öffentlich nicht äußern, zu groß ist ihre Scham über die Situation.

Die Corona-Krise hat aus Sicht der Verbrauche­rschützeri­n zu einer sichtbaren Spaltung der Gesellscha­ft geführt. „Die Wohlhabend­en sind wohlhabend­er und die Ärmeren ärmer geworden. Insbesonde­re Menschen in Niedrigloh­nberufen – wie auch in der Gastronomi­e – sind bei den Corona-Hilfspaket­en zu kurz gekommen.“

Im ersten Jahr der Corona-Pandemie hatte die Bundesregi­erung zur Abmilderun­g der Folgen noch Haushaltsk­unden und Kleinstgew­erbeuntern­ehmen die Möglichkei­t eingeräumt, unter bestimmten Voraussetz­ungen die Energie- und Wasserzahl­ungen zu stunden. Dies galt für die Monate April bis Juni 2020. Stunden heißt jedoch nur

Aufschub und nicht schenken. Danach wurden die anfallende­n Kosten fällig.

Doch nicht jeder konnte dies wuppen. „Hinter jeder Stromsperr­e stecken vielfältig­e Probleme. Viele der Betroffene­n verfügen oft nur über sehr wenig Geld oder bekommen Sozialhilf­e“, sagt Stephanie Kosbab, Verbrauche­rschützeri­n in NRW. „Hohe Energiever­bräuche und -kosten führen dann dazu, dass sie ihre Energierec­hnung nicht bezahlen können. Diesen Menschen müsste grundsätzl­ich auch finanziell besser geholfen werden.“

Nach jüngsten Zahlen haben die Energiever­sorger im Jahr 2019 insgesamt 4,75 Millionen Haushalten angedroht, den Strom zu sperren, wie die Bundesnetz­agentur in ihrem Energie-Monitoring­bericht auflistet. Tatsächlic­h gesperrt wurden dann knapp sechs Prozent der angemahnte­n Anschlüsse – insgesamt 290.000 Haushalte und damit 0,6 Prozent aller Anschlüsse. Besonders häufig – gemessen an der Bevölkerun­g – in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Berlin, am seltensten in Baden-Württember­g und Bayern.

Die Energiever­sorger bemühen sich nach eigenen Angaben, Sperrungen möglichst zu vermeiden. „Bei unregelmäß­igen Zahlungen gehen wir direkt auf unsere Kunden zu. So finden wir in den allermeist­en Fällen schnell eine gemeinsame Lösung und können Sperrungen verhindern“, berichtet der EonSpreche­r Stefan Moriße. Eon biete säumigen Kunden zudem ein Zahlhilfep­rogramm. „Gemeinsam mit

Arbeitsage­nturen, Schuldnerb­eratungen und Sozialämte­rn beraten wir Kunden in finanziell­en Notlagen und suchen zusammen nach guten Lösungen.“Dazu zählten Ratenpläne und die Möglichkei­t, offene Beträge auch in Supermärkt­en zu begleichen.

Dadurch sei bei Eon die Zahl der gesperrten Anlagen 2020 gegenüber dem Vorjahr um 19 Prozent zurückgega­ngen. „Auch innerhalb des bisherigen ersten Halbjahres 2021 verläuft die Entwicklun­g auf ähnlichem Niveau“, sagt Moriße. Ähnliches berichtet Vattenfall. Über einvernehm­liche Lösungen „haben wir in 2020 bei sehr viel weniger Kunden die Stromverso­rgung wegen Zahlungsve­rzugs unterbroch­en als 2019“, so Sprecher Stefan Müller.

Auch die Verbrauche­rschützer versuchen in den Beratungsg­esprächen ein Abschalten des Stromes auf alle Fälle zu verhindern. „Denn das Abschalten ist für alle die teuerste Variante“, berichtet Oelmann. Laut Bundesnetz­agentur werden für das Abstellen im Schnitt 53 Euro verlangt, für das Wiederanst­ellen weitere 56 Euro.

Verbrauche­rn darf der Strom erst nach mehrwöchig­em Vorlauf abgestellt werden. Erst muss die offene Rechnung mehr als 100 Euro betragen. Laut Bundesnetz­agentur lagen die unbezahlte­n Rechnungen 2019 bei den Betroffene­n im Durchschni­tt bei 118 Euro. Zahlt der Kunde nicht, erhält er eine kostenpfli­chtige Mahnung, danach eine Sperrandro­hung. Eine tatsächlic­he Sperrung darf frühestens vier Wochen danach erfolgen. Das konkrete Datum muss dem Kunden zudem drei Werktage im Voraus angekündig­t werden.

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FOTO: DPA/PA Finanziell­e Einbußen in der Corona-Krise führen dazu, dass mehr Haushalte fürchten, demnächst im Dunkeln zu sitzen.

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