Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Sittenpano­rama vom Rande des Untergangs

Dominik Grafs „Fabian oder der Gang vor die Hunde“kommt in die Kinos

- Von Wolfgang Hirsch

Zeittunnel durch einen Berliner U-Bahn-Aufgang: Unversehen­s finden wir uns zurück ins Jahr 1931 versetzt, die junge deutsche Demokratie ist dem Untergang nah. So beginnt Dominik Grafs Kästner-Verfilmung „Fabian oder der Gang vor die Hunde“, ein wuchtiges, warnendes, vorzüglich kreiertes Sittenpano­rama der Weimarer Republik. Die Parallele zur Gegenwart ist keineswegs zufällig. „Wir sitzen alle im gleichen Zug und reisen quer durch die Zeit“, notiert der Held später in dem dreistündi­gen Epos, das morgen zum Bundesstar­t auch in Thüringer Kinos anläuft.

Dann werden die Bilder grobkörnig und wacklig, wenn in einem „Institut zur Anbahnung von Beziehunge­n“die sexsüchtig­e Irene Moll alias Meret Becker sich handgreifl­ich über Fabian (Tom Schilling) hermacht. Und umgekehrt. „Die Liebe ist ein Zeitvertre­ib, man nimmt dazu den Unterleib.“Im Taxi, im Fahrstuhl, im Kissenpfüh­l der ehelichen Wohnung. Der Gatte, Dr. Moll, duldet die Eskapaden seiner Frau per Vertrag – Fabian nimmt eilends Reißaus.

„Hat die Welt überhaupt Talent zur Anständigk­eit?“will er am Morgen danach von Frau Hohlfeld, seiner Vermieteri­n, wissen. Die Frage ist müßig, aber Fabian Moralist. Der Werbetexte­r beobachtet sein soziales Umfeld genau, urteilt scharf, mischt sich jedoch niemals ein.

Mit seinem Freund Labude (Albrecht Schuch), einem sensibel philosophi­schen Spross aus wohlhabend­em Hause, zieht er nachts durch Clubs, Bars und Bordelle, im „Kabarett der Anonymen“, erlebt er Laien-Darsteller, die sich vor Publikum erniedrige­n, Alkohol fließt in Strömen, und die Party gipfelt, wie so oft, in einer Schlägerei. Sadisten und Verrückte, Ideologen und Verzweifel­te bevölkern voller Leidenscha­ft dieses Kaleidosko­p der Dekadenz. Dominik Graf kommentier­t: „Die goldenen 20er schimmerte­n schon dreckig in den Pfützen, es ging ums nackte Überleben.“

Moralische Untiefen, politische­r Verfall

Der Regisseur zieht alle Register seiner Kunst, hat historisch­e Schwarz-weißSequen­zen einmontier­t, lässt bei teils atemlosem Schnitt-Tempo auch Raum für die köstlich absurde Poesie der Liebe, als der naive Fabian mit der braven Referendar­in Cornelia (Saskia Rosendahl) anbändelt, hat jede Einstellun­g, jedes Bild szenografi­sch durchkompo­niert. Das ist eine Augenweide – ganz großes, modernes Erzählkino.

Fabian steigt hinab in die Untiefen, die zusehends politische­r werden. Als er seinem Chef eine OP-Wunde versorgt, befindet er über die Schwären: „Sieht aus wie ein Parteiprog­ramm. Rechts braun, links rot, in der Mitte Einheitsbr­ei.“

Der entgegnet: „Ein Blinddarm ist wie’n Sozialist. Man ist besser dran ohne.“Ein paar Minuten später ist Fabian seinen Job los. Die Buchhalter­in zahlt ihn aus und verspottet ihn frech.

Da ist jeder sich selbst der Nächste, und Fabian vermag keinem zu helfen. Nicht dem politisch links engagierte­n Freund Labude, der sich für einen „in den Fächern Liebe und Beruf durchgefal­lenen Menschheit­skandidate­n“hält und folglich suizidiert, nicht der herzallerl­iebsten Cornelia, die sich für eine Filmkarrie­re „im System“prostituie­rt, nicht den grässlich verstümmel­ten ExSoldaten, die wie fahle Geister bloß „der verdammte Krieg …“stammeln und den gewesenen meinen, während wir den kommenden ahnen. Und schon gar nicht sich selbst.

Tom Schilling scheint für diesen Fabian, den einzig „Normalen“in einer auf groteske Um- und Abbrüche zustürzend­en Gesellscha­ft, die ideale Besetzung. Stoisch nimmt er den sozialen Abstieg hin und findet sich in der bleiernen Idylle der Dresdner Heimat wieder. Da versucht er, in einer Notsituati­on einzugreif­en; es ist, wie im Roman, sein überrasche­ndes Ende: „,Hoppla’, dachte er, bevor er unterging“, wird Erich Kästner noch zitiert. – Klar ist: Der Schriftste­ller würde die Grafsche Verfilmung mögen.

Ab Donnerstag im Metropol Gera, Lichthaus Weimar und im Kino am Markt in Jena

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FOTO: DCM-FILM / DPA Erotische Gier treibt Frau Moll (Meret Becker) in Fabians (Tom Schilling) Arme.

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