Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Gold im letzten Versuch

Malaika Mihambo springt sieben Meter weit zum Olympiasie­g

- Von Andreas Berten

Ein Jahr lang hat Malaika Mihambo gewusst, dass sie die beste Weitspring­erin der Welt sein kann. Als sie es dann ist, stößt sie einen Schrei aus, der Tokios Nationalst­adion vermutlich sogar mit vollen Rängen hätte erzittern lassen.

Von der 27-Jährigen fällt in diesem Moment eine immense Last ab: Sie hüpft auf und ab, über ihre Wangen laufen erste Tränen. Olympiasie­gerin! Welch ein Wort, welch eine Leistung. Welt- und Europameis­terin war sie ja schon vorher. „Ich kann das Gefühl kaum beschreibe­n“, sagt Mihambo, bei 36 Grad um Fassung ringend, nach dem härtesten Wettkampf ihrer Karriere. „Ich bin dankbar, dass ich jetzt als beste Version meiner Selbst hier stehen und es genießen kann.“

Genuss ist das Letzte, woran Mihambo bei ihrem finalen sechsten Sprung denkt. Nach ihr kommen nur noch Ese Brume aus Nigeria und die Führende Brittney Reese (USA), die beide zu diesem Zeitpunkt 6,97 Meter gesprungen sind. Die Medaillen sind vergeben, um sich vom Bronze- auf den Goldplatz zu verbessern, muss sich die Deutsche um drei Zentimeter steigern.

Mihambo läuft los, sie hebt ein gutes Stück, fast 20 Zentimeter, vor dem Absprungba­lken ab, fliegt und landet in der Sandgrube – irgendwo rund um die Sieben-Meter-Marke. Warten, Mihambo kniet nieder, vergräbt vor Nervosität das Gesicht in ihren Händen. Dann die Weite – 7,00 Meter, Platz eins, und wieder Bangen. „Für mich ist das ein schlimmer Moment“, sagt sie später, „weil man selbst nichts mehr machen kann.“Dann springen Brume und Reese – sie haben die Weite drauf, bringen sie an diesem Tag aber nicht in den Sand. Mihambo kann ihr Glück kaum fassen, der Stadion-DJ spielt „An Tagen wie diesen“von Fettes Brot. Der Refrain passt: „Absolute Wahnsinnss­how“. Oder wie Mihambo sagt: „Das waren die wichtigste­n sieben Meter meines Lebens.“

Olympiasie­gerin. Sie nimmt das Wort später, als sie den Innenraum verlassen hat, nicht einmal in den Mund. Mihambo ist in Deutschlan­d nicht der Liebling der Massen, aber aufgrund ihres angenehm zurückhalt­enden Wesens eine vielrespek­tierte Sportlerin. Nicht wenige haben deshalb von ihr dieses Gold erwartet. Mihambo empfindet nun „ein bescheiden­es Glücksgefü­hl“, sagt sie. „Ich hatte niemandem etwas zu beweisen, ich musste nicht nach Tokio reisen und Gold holen. Ich konnte mich auch so wohlfühlen und sagen: Ich bin eine gute Sportlerin, ich mag mich als Mensch. Das zu realisiere­n, hat mir die Lockerheit gegeben.“

Dabei musste sie in den zurücklieg­enden zwölf Monaten einiges an Nervenstär­ke beweisen. Der Anlauf bereitete der Springerin von der LG Kurpfalz nach einer Verletzung immer wieder Probleme. „Es gab viele Tiefen und Selbstzwei­fel“, sagt sie.

Nun hat sie alles in ihrem Sport gewonnen. Der Fokus rückt auf andere Ziele: „Für mich ist es interessan­t herauszufi­nden: Wie weit kann ich springen?“7,30 Meter sind ihre Bestleistu­ng. Heike Drechsler flog vor 33 Jahren 18 Zentimeter weiter. „Ich bin neugierig darauf, wo ich noch hinkomme“, sagt Mihambo.

 ?? FOTO: MATTHIAS HANGST / GETTY IMAGES ?? Malaika Mihambo fliegt im Olympiasta­dion von Tokio mit ihrem letzten Sprung zur Goldmedail­le.
FOTO: MATTHIAS HANGST / GETTY IMAGES Malaika Mihambo fliegt im Olympiasta­dion von Tokio mit ihrem letzten Sprung zur Goldmedail­le.

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