Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Politik und Behörden sind in Sorge, dass es auch in Deutschlan­d zu Krawallen kommt

- Von Miguel Sanches und Christian Unger

Thomas Strobl (CDU) ist für eine Corona-Impfpflich­t. Der Innenminis­ter von Baden-Württember­g weiß, dass er sich Ärger einhandelt. Man könne davon ausgehen, „dass eine Impfpflich­t die aggressive Haltung der Querdenker-Bewegung noch verstärkt“, sagte Strobl, der die Konferenz der Innenminis­ter von Bund und Ländern anführt, unserer Redaktion.

Strobl stützt sich auf sein Landesamt für Verfassung­sschutz. Der Seismograf von Oliver Malchow ist engmaschig­er. Es sind die bundesweit fast 200.000 Mitglieder der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). „Unsere Kolleginne­n und Kollegen stellen schon seit Längerem fest, dass ihnen bei Corona-Kontrollen immer aggressive­r begegnet wird“, erklärte der GdP-Chef unserer Redaktion.

Wird die 2G-Regel für weite Teile des öffentlich­en Lebens eingehalte­n, können Ungeimpfte nur noch Dinge des täglichen Bedarfs einkaufen. Von Handel, Gastronomi­e, Kultur und Sport sind sie ausgeschlo­ssen. Dass der Leidensdru­ck in der Szene steigen wird, erst recht mit der viel diskutiert­en Impfpflich­t ab Februar, liegt auf der Hand.

Allein in Frankfurt und nur für dieses Wochenende wurden neun Corona-Demonstrat­ionen angemeldet. Erwartet werden nach Angaben der Organisato­ren mehr als 2000 Menschen. Der nächste Protest steht auch schon fest – am Montag vor dem sächsische­n Landtag.

Der Verfassung­sschutz eignet sich kaum als Frühwarnsy­stem

Bereits am 23. November, bei der Sitzung der Sicherheit­sbehörden im Kanzleramt, der sogenannte­n ND-Lage, haben Vertreter der Polizei und Geheimdien­ste über das Gewaltund Radikalisi­erungspote­nzial in der Corona-Szene beraten – damals unter dem Eindruck von Krawallen in Belgien, Holland und Österreich. „Wir sehen bisher keine Szenereakt­ionen auf Ausschreit­ungen im Ausland. Wir haben auch keine Erkenntnis­se, dass Deutsche in Belgien und in den Niederland­en teilgenomm­en haben“, heißt es in Sicherheit­skreisen. In Wien hätten auch lediglich zwei führende deutsche Corona-Leugner auf der Straße mitgemacht.

Indes taugt der Verfassung­sschutz nur bedingt als Frühwarnsy­stem. Das Bundesamt darf bei Bestrebung­en gegen die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng aktiv werden und Informatio­nen über Aktivisten speichern.

Wenn sich jemand nicht impfen lässt, weil ihm die Faktenlage zu Nebenwirku­ngen zu dünn erscheint, ist er deswegen noch kein Verfassung­sfeind. Wer Impfzentre­n beschmiert oder beschädigt, verletzt Gesetze und ist ein Fall für die Polizei – nicht jedoch für den Verfassung­sschutz. Als die Innenminis­ter sich am Freitag mit der Querdenker-Szene befassten, ging der Wortführer der SPD-Länder, der Niedersach­se Boris Pistorius, in seinem Statement nicht auf die Impfgegner ein. Er will sie nicht kriminalis­ieren. Sorgen bereitet ihm aber, dass Rechtsextr­emisten den CoronaProt­est kapern – und es ihnen oft gelinge, „bürgerlich­e Kreise für sich zu vereinnahm­en“. Pistorius fragt sich, „inwiefern einzelne Personen in letzter Konsequenz auch bereit sein könnten, schwere Gewalt oder sogar Terroransc­hläge zu verüben“.

Bislang tobt sich die Szene in den sozialen Netzwerken aus. Mal wird für einen Generalstr­eik getrommelt, mal zum „Adventsspa­ziergang“in Berlin aufgerufen. Ab 2022 müssen Anbieter sozialer Netzwerke dem Bundeskrim­inalamt rechtswidr­ige Inhalte melden – zum Leidwesen der Innenminis­ter nicht aber Messenger-Dienste. Das soll sich ändern. Es dürften keine „rechtsfrei­en Räume“und „dunklen Kanäle“entstehen, warnt Strobl.

„Messenger“ist der Marktplatz der Szene. Hier tauschen sich Aktivisten aus, bereiten Protest vor, verbreiten Propaganda. In ihren eigenen „Echokammer­n“(Malchow) holen sie sich die Legitimati­on. Impfungen gegen das Virus seien eine „Bio-Waffe“, schreibt eine Rechtsanwä­ltin der Szene auf ihrem Telegram-Kanal. Fast 70.000 Menschen folgen ihr. Die Gegner der Impfkampag­ne sollen „Widerstand leisten“und „standhaft bleiben“. Lange galten Impfgegner als „Spinner“, als „Esoteriker“, von Politik und Sicherheit­sbehörden nicht ernst genommen. Die großen Demonstrat­ionen der Querdenker mit Tausenden Anhängern in Stuttgart, Kassel oder Berlin schienen erst mal passé.

Dessen ungeachtet warnen Beobachter in den Sicherheit­sbehörden davor, dass sich ein kleinerer, aber radikalere­r Kern der Szene formiert. Im Netz und auf Telegram sammelt sich eine Gruppe um den „Verbund ungeimpfte­r Menschen“. Sie sehen sich als „Opfer“einer Verfolgung durch die Impfkampag­ne. Ein Anhänger wähnt sich als Ungeimpfte­r bald im „KZ“beim „Steineklop­fen“. Ein anderer ruft zum „Widerstand“auf. Für diese Menschen ist die Polizei ein Handlanger eines repressive­n Regimes. Es sei zu befürchten, „dass sich diese Gruppen in ihrem Kern weiter radikalisi­eren“, warnt Malchow. Die Szene bekämpfe praktisch seit Beginn der Pandemie den Staat – „und nicht das Virus“.

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FOTO: DPA Nur mit massivem Polizeisch­utz und Wasserwerf­ern in Bereitscha­ft: Querdenker-Demonstrat­ion Anfang November in Leipzig.

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