Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Der Gefangene Kurt Knickmeier klagt, weil er todbringen­de Medikament­e haben möchte

- Von Jan Jessen

Es gibt einen Gefangenen in Geldern am Niederrhei­n, der sitzt noch länger ein als Kurt Knickmeier. Als Knickmeier (59) über diesen Mann spricht, hebt sich plötzlich sein linker Mundwinkel, sein Gesicht verzieht sich zu einem breiten, freudlosen Lächeln. Er beugt sich nach vorne und raunt: „Den lassen sie hier nie wieder raus.“Es ist, als überfiele ihn die Furcht, dass es ihm genauso geht.

Die Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) in Geldern ist ein Ungetüm aus Beton, Ende der 70er-Jahre gebaut. Fast 500 Menschen sind hier inhaftiert, viele schwere Jungs, Langzeithä­ftlinge. Einer von ihnen ist Kurt Knickmeier. Er will Rechtsgesc­hichte schreiben. Knickmeier möchte von der Anstaltsle­itung Medikament­e bekommen, um sich das Leben zu nehmen, wenn er keine Chance hat, in absehbarer Zeit in Freiheit zu gelangen.

„Das allgemeine Persönlich­keitsrecht umfasst als Ausdruck persönlich­er Autonomie ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben“, heißt es in den Leitsätzen zu einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts aus dem Februar 2020. Auf dieses Urteil beruft sich Knickmeier. In den Leitsätzen steht auch: „Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.“Knickmeier sitzt seit 36 Jahren im Gefängnis. Er nimmt in dem schmucklos­en Besucherzi­mmer Platz, um zu erzählen, warum er nötigenfal­ls Medikament­e haben will, um sein Leben zu beenden.

Knickmeier beginnt seine kriminelle Karriere mit 18 Jahren, in dem Alter wird er das erste Mal verurteilt, für Einbrüche. 33 Monate im Jugendgefä­ngnis. Danach noch einmal 14 Monate. Er lernt Manfred H. kennen, die beiden wollen was Großes durchziehe­n, besorgen sich Waffen. „Bedauerlic­herweise haben wir die auch benutzt.“Am 26. August 1985 ermorden die beiden bei einem Raubüberfa­ll auf einem Reiterhof in Ostwestfal­en drei Menschen.

Knickmeier wird kurze Zeit später festgenomm­en und erhält eine lebenslang­e Haftstrafe.

Im Gefängnis sitzt auch der Schwerverb­recher Michael Heckhoff ein. Mit ihm heckt Knickmeier einen Plan aus. „Da hatten sich zwei Bekloppte gefunden.“Am 30. Juni 1992 nehmen die beiden in der Krankensta­tion sechs Menschen als Geiseln. Sie fordern eine Million D-Mark und einen Fluchtwage­n. „Uns war klar, dass das wahrschein­lich im Wahnsinn enden wird.“Es endet nach 13 Stunden im Wahnsinn. SEK-Beamte schießen Heckhoff in Schulter und Lunge, als er den Fluchtwage­n inspiziert. Knickmeier überschütt­et zwei der Geiseln mit medizinisc­hem Alkohol. „Ich habe dem Psychologe­n, der die Verhandlun­gen geführt hat, gesagt, dass ich die anzünden werde.“Er macht eine kurze Pause. „Das habe ich dann leider auch gemacht.“Er stürmt auf die Polizisten zu. „Ich habe gehofft, dass die mich erschießen.“Er überlebt mit sechs Kugeln im Bein.

In einem Leben in Haft erkennt er keinen Sinn

Knickmeier weiß: „Vor 2026 bin ich auf gar keinen Fall raus. Dann bin ich 64. Das akzeptiere ich. Aber ich muss eine Chance haben herauszuko­mmen.“Deswegen hat er „vollzugsöf­fnende Maßnahmen“beantragt. Die sind ihm nicht gewährt worden. In der Begründung, sagt er, sei darauf verwiesen worden, dass er persönlich­keitsgestö­rt sei. Er will das jetzt gerichtlic­h durchfecht­en. Gleichzeit­ig hat er beantragt, Medikament­e zu bekommen, um sein Leben zu beenden. „Wenn das Bundesverf­assungsger­icht mir bestätigt, dass ich nie wieder rauskomme, will ich die Pille. Meine weitere Existenz hätte dann keinen Sinn mehr.“

„Uns war sehr schnell klar: Das machen wir nicht“, sagt Andreas Schüller, der Leiter der Haftanstal­t in Geldern. Das Oberlandes­gericht Hamm hat die Auffassung der Anstaltsle­itung bestätigt. Sie muss Knickmeier keine tödlichen Medikament­e besorgen. Das Bundesverf­assungsger­icht hat den Fall aber jetzt wegen Formfehler­n an das Landgerich­t zurückverw­iesen. Es ist ein Fall, der einmalig in der Geschichte der Bundesrepu­blik ist.

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FOTO: L. FRÖHLICH / FFS Kurt Knickmeier im Besucherra­um der JVA Geldern.

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