Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Zeitzeugen reagieren auf Bericht
Geschorene Frauen von Schmölln (Fortsetzung)
Eher selten bekommt man auf historische Artikel in der Lokalzeitung Rückmeldung. Bei meinem Beitrag in der OTZ über die geschorenen Frauen von Schmölln war das anders. Ich erhielt mehrere Anrufe von Zeitzeugen sowie eine Schülerarbeit über eine der betroffenen Frauen, welche diesem Artikel mit zugrunde liegt. Es fand sich sogar jemand, der mir die als Postkarten vervielfältigten Fotos des entwürdigenden Ereignisses zur Verfügung stellte. Vielen Dank!
Elly H. aus Schmölln war 1940 eine glücklich verheiratete Frau und Mutter von drei Kindern. Sie arbeitete mit anderen Frauen in der Dampfziegelei „Mehlhorn & Sohn“. In jenem Jahr kamen mehrere polnische Zwangsarbeiter in die Firma. Sie leisteten schwere Arbeit und schliefen notdürftig auf dem Dachboden der Fabrik, auf den sie über eine Leiter kletterten. Die drei Männer waren unterernährt und wurden immer schwächer.
Frau H. beobachtete das mit eigentlich ganz normaler menschlicher Anteilnahme und erzählte zu Hause ihrem Mann davon. Das Ehepaar beschloss, den Männern regelmäßig etwas zu essen zu bringen. Um kein Risiko einzugehen, fragte der Ehemann sogar bei der Polizei, ob das erlaubt sei. Er erhielt lediglich die Auskunft, es sei seine Sache, wenn er den „Polacken was zu fressen“geben wolle.
Bespuckt und beschimpft
Also nahm Elly H. Suppe mit in die Fabrik und füllte sie den Zwangsarbeitern in die Konservendosen, aus denen diese ihre Mahlzeiten einnahmen. Zwei andere Frauen taten es ihr gleich. Schon nach kurzer Zeit wurde sie dabei beobachtet. Die Polizei warnte sie, mit der Versorgung fortzufahren; die Nachbarn raunten, sie möge sich in Acht nehmen. Auch Herr H. bekam es mit der Angst zu tun, hielt aber zu seiner Frau. Sie schickten jetzt ihre kleine Tochter mit der Suppe die Leiter hoch und hofften, dass das Kind niemandem auffallen würde.
Am 18. November 1940 wurden drei Frauen verhaftet, darunter Frau H. Eine der Frauen war hochschwanger. Sie wurden ins Zuchthaus nach Gera gebracht. Anfangs dachten sie noch, dass sie nach dem Verhör wieder gehen könnten. Beim Verhör durch die Gestapo erfuhr Frau H., dass sie nicht der Essenslieferung, sondern des Ehebruchs mit den polnischen Männern beschuldigt wurden. Frau H. wurde vorgeworfen, sie hätte sich in jeder freien Minute mit den Männern zu Hause, im Feld und auf dem Friedhof vergnügt. Nach langen physischen Quälereien unterschrieb sie schließlich ein Schuldeingeständnis.
Am 11. Dezember 1940 lief ein Mann mit einer Glocke durch die Straßen Schmöllns. Er sprach von Schmutz und Verrat und dass es gleich auf dem Markt etwas zu sehen geben würde. Den drei Frauen waren Schilder umgehängt worden mit der Aufschrift „Ich bin aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen“. Sie wurden durch die Straßen geführt, vorbei an ihren ehemaligen Wohnungen. Auf dem Weg zum Markt wurden sie bespuckt, mit Steinen beworfen und als „Huren“, „Sauweiber“und „Verräter“beschimpft. Ihre Kinder waren zuvor unter einem Vorwand aus der Stadt gebracht worden, damit sie von dem grausigen Schauspiel nichts mitbekamen. wird fortgesetzt