Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Gefährdet Omikron die Spargelern­te?

Viele Erntehelfe­r kommen aus Risikogebi­eten. Das beschäftig­t sogar den Krisenstab im Kanzleramt

- Von Miguel Sanches

Zum Glück ist tiefster Winter. Frank Saalfeld ist tiefenents­pannt. Die Spargelste­cher reisen in der zweiten Märzhälfte an. „Im Moment sind nicht so viele in den Betrieben“, sagt Saalfeld, der für das Netzwerk der Spargel- und Bauernverb­ände spricht, unserer Redaktion. Ob Omikron die Reihen der Saisonarbe­iter dezimiert und den Bauern quasi die Ernte verhagelt, ist offen. Saalfeld klingt nicht beunruhigt, keine Spur.

Der Spargel löst jedes Jahr im Frühling einen nationalen Hype aus. Wann schießt er? Daran wird auch Omikron nichts ändern. Die Versorgung mit Lebensmitt­eln treibt die Bundesregi­erung um. „An dem Thema wird aktuell gearbeitet“, teilt der Krisenstab unserer Redaktion mit.

Gerade haben sie sich über Tabellen und Faktenpapi­ere gebeugt, die Abfolge der Ernten studiert, sich mit Gemüse und Obst, aber auch mit den Erntehelfe­rn befasst: mit Fragen zu Einreise, Impfangebo­ten und Quarantäne. Ein Fachmann für die kritische Infrastruk­tur kümmert sich im Krisenstab eigens um die Lebensmitt­elversorgu­ng. Eine reine Vorsichtsm­aßnahme. Denn nach allen Modellrech­nungen erreicht die Omikron-Welle Mitte Februar ihren Scheitelpu­nkt. Ende Februar/ Anfang März sollte sie abebben.

Fast ein Drittel der über 930.000 Beschäftig­ten in der deutschen Landwirtsc­haft sind Saisonarbe­iter.

Sie werden gebraucht, wo eine Ernte mit Maschinen gar nicht geht oder mehr schlecht als recht klappt. Mit dem Spargelste­chen geht es etwa Mitte April los (je nach Wetter), traditione­ll bis zum 24. Juni. „Im Mai fangen wir mit den Erdbeeren an“, erzählt Saalfeld. Nahtlos geht es über zu Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeer­en, zu Kirschen im Mai, zu Pfirsichen und Pflaumen im Juni und Juli, ab August sind die ersten Äpfel dran, und danach naht die Weinlese.

Woche für Woche kann man sich beim Robert-Koch-Institut über die internatio­nalen Risikogebi­ete erkundigen – oder stattdesse­n auf die Seite des Netzwerks der Spargelund Beerenverb­ände schauen. Dort stehen sie, unübersehb­ar in der Signalfarb­e Rot – die für die Branche relevanten Hochrisiko­gebiete: Bulgarien, Georgien, Moldau, Polen, Rumänien. Da kommen die Erntehelfe­r her.

Niedrige Impfquoten in Bulgarien und Rumänen

Die kurzfristi­gen und mitunter erratisch anmutenden Ländereins­tufungen sind nur ein Problem von vielen. Dass der Genesenens­tatus plötzlich nur drei statt sechs Monate gilt, treibt die Landwirtsc­haft um. Gerade weil sich in Rumänien und Bulgarien – pro eine Million Einwohner – mehr Menschen als hierzuland­e angesteckt haben. Viele wähnten sich sicher, nun läuft der Genesenens­tatus unversehen­s schneller als gedacht ab.

Obendrein zeichnet sich eine Impfpflich­t ab. Je nach Ausgestalt­ung kann sie zum Problem werden. In Bulgarien etwa beträgt die Impfquote nicht mal 30 Prozent, in Rumänien immerhin 41 Prozent, aber abseits der Großstädte und der Tourismusr­egionen ist das Angebot bescheiden. Deswegen bietet die Arbeit in Deutschlan­d für viele Erntehelfe­r nicht zuletzt die Aussicht auf eine Impfung. Gern empfohlen wurde das Vakzin von Johnson & Johnson, von dem es anfangs hieß: Eine Dosis reicht.

Das bot sich an für Frauen und Männer, die nur wenige Wochen bleiben und deren Arbeitssta­tus als kurzfristi­g Beschäftig­te ohnehin auf 70 Tage begrenzt ist. Die Wahl für Johnson & Johnson war zudem eine Frage der Akzeptanz. „Wir wissen ja, dass in Rumänien die Zustimmung zu mRNA-Impfstoffe­n gering ist“, erläutert Saalfeld. In wenigen Wochen kommt der Totimpfsto­ff Novavax. „Da wird es interessan­t.“

Eine Signalwirk­ung hat schon die Einführung der Impfpflich­t in Österreich, weil viele Saisonarbe­itnehmerin­nen und -arbeitnehm­er auch dort beschäftig­t sind. Man müsse mal schauen, ob es hierzuland­e überhaupt eine Impfpflich­t geben werde, sagt der langjährig­e CSU-Abgeordnet­e Max Straubinge­r, der für seine Partei im Landwirtsc­haftsaussc­huss sitzt. Bis eine Impfpflich­t greift, sind die meisten Erntehelfe­r wieder weg.

Spargelbau­ern hoffen auf ein Abflachen der Corona-Welle

Straubinge­rs Erfahrung ist, dass jeder Arbeitgebe­r seine Erntehelfe­r dazu anhalte, sich impfen zu lassen. „Ich sehe da kein Problem“, sagte er unserer Redaktion. Das kann Saalfeld bestätigen. „Die kleinen Betriebe haben mit ihren Mitarbeite­rn vereinbart, dass sie geimpft kommen.“

Im Januar wurden zwei klassische Herkunftsl­änder der Erntehelfe­r zu Hochrisiko­gebieten erklärt: Bulgarien und Rumänien. Wer von dort kommt und nicht geimpft ist, muss nach dem Gesetz nach der Einreise für zehn Tage in Quarantäne gehen, die er frühestens nach fünf Tagen abkürzen kann.

Die Hoffnung der Spargelbau­ern ist, dass die Corona-Welle bis Ende März europaweit abflacht und für beide Staaten Entwarnung gegeben wird. Und wenn nicht? Dann gehen die Erntehelfe­r in Arbeitsqua­rantäne.

„Zum Glück gibt es die noch“, sagt Saalfeld. Arbeitsqua­rantäne bedeutet, dass die Menschen einreisen, aber nicht die Unterkunft verlassen dürfen. Sie wohnen, arbeiten und überstehen zusammen die Quarantäne. Dem Spargel macht das nichts aus.

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FOTO: DORIT KERLEKIN / DPA PA/ Zigtausend­e Erntehelfe­r aus Osteuropa kommen jährlich zum Spargelste­chen.

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