Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Gefährdet Omikron die Spargelernte?
Viele Erntehelfer kommen aus Risikogebieten. Das beschäftigt sogar den Krisenstab im Kanzleramt
Zum Glück ist tiefster Winter. Frank Saalfeld ist tiefenentspannt. Die Spargelstecher reisen in der zweiten Märzhälfte an. „Im Moment sind nicht so viele in den Betrieben“, sagt Saalfeld, der für das Netzwerk der Spargel- und Bauernverbände spricht, unserer Redaktion. Ob Omikron die Reihen der Saisonarbeiter dezimiert und den Bauern quasi die Ernte verhagelt, ist offen. Saalfeld klingt nicht beunruhigt, keine Spur.
Der Spargel löst jedes Jahr im Frühling einen nationalen Hype aus. Wann schießt er? Daran wird auch Omikron nichts ändern. Die Versorgung mit Lebensmitteln treibt die Bundesregierung um. „An dem Thema wird aktuell gearbeitet“, teilt der Krisenstab unserer Redaktion mit.
Gerade haben sie sich über Tabellen und Faktenpapiere gebeugt, die Abfolge der Ernten studiert, sich mit Gemüse und Obst, aber auch mit den Erntehelfern befasst: mit Fragen zu Einreise, Impfangeboten und Quarantäne. Ein Fachmann für die kritische Infrastruktur kümmert sich im Krisenstab eigens um die Lebensmittelversorgung. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Denn nach allen Modellrechnungen erreicht die Omikron-Welle Mitte Februar ihren Scheitelpunkt. Ende Februar/ Anfang März sollte sie abebben.
Fast ein Drittel der über 930.000 Beschäftigten in der deutschen Landwirtschaft sind Saisonarbeiter.
Sie werden gebraucht, wo eine Ernte mit Maschinen gar nicht geht oder mehr schlecht als recht klappt. Mit dem Spargelstechen geht es etwa Mitte April los (je nach Wetter), traditionell bis zum 24. Juni. „Im Mai fangen wir mit den Erdbeeren an“, erzählt Saalfeld. Nahtlos geht es über zu Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren, zu Kirschen im Mai, zu Pfirsichen und Pflaumen im Juni und Juli, ab August sind die ersten Äpfel dran, und danach naht die Weinlese.
Woche für Woche kann man sich beim Robert-Koch-Institut über die internationalen Risikogebiete erkundigen – oder stattdessen auf die Seite des Netzwerks der Spargelund Beerenverbände schauen. Dort stehen sie, unübersehbar in der Signalfarbe Rot – die für die Branche relevanten Hochrisikogebiete: Bulgarien, Georgien, Moldau, Polen, Rumänien. Da kommen die Erntehelfer her.
Niedrige Impfquoten in Bulgarien und Rumänen
Die kurzfristigen und mitunter erratisch anmutenden Ländereinstufungen sind nur ein Problem von vielen. Dass der Genesenenstatus plötzlich nur drei statt sechs Monate gilt, treibt die Landwirtschaft um. Gerade weil sich in Rumänien und Bulgarien – pro eine Million Einwohner – mehr Menschen als hierzulande angesteckt haben. Viele wähnten sich sicher, nun läuft der Genesenenstatus unversehens schneller als gedacht ab.
Obendrein zeichnet sich eine Impfpflicht ab. Je nach Ausgestaltung kann sie zum Problem werden. In Bulgarien etwa beträgt die Impfquote nicht mal 30 Prozent, in Rumänien immerhin 41 Prozent, aber abseits der Großstädte und der Tourismusregionen ist das Angebot bescheiden. Deswegen bietet die Arbeit in Deutschland für viele Erntehelfer nicht zuletzt die Aussicht auf eine Impfung. Gern empfohlen wurde das Vakzin von Johnson & Johnson, von dem es anfangs hieß: Eine Dosis reicht.
Das bot sich an für Frauen und Männer, die nur wenige Wochen bleiben und deren Arbeitsstatus als kurzfristig Beschäftigte ohnehin auf 70 Tage begrenzt ist. Die Wahl für Johnson & Johnson war zudem eine Frage der Akzeptanz. „Wir wissen ja, dass in Rumänien die Zustimmung zu mRNA-Impfstoffen gering ist“, erläutert Saalfeld. In wenigen Wochen kommt der Totimpfstoff Novavax. „Da wird es interessant.“
Eine Signalwirkung hat schon die Einführung der Impfpflicht in Österreich, weil viele Saisonarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer auch dort beschäftigt sind. Man müsse mal schauen, ob es hierzulande überhaupt eine Impfpflicht geben werde, sagt der langjährige CSU-Abgeordnete Max Straubinger, der für seine Partei im Landwirtschaftsausschuss sitzt. Bis eine Impfpflicht greift, sind die meisten Erntehelfer wieder weg.
Spargelbauern hoffen auf ein Abflachen der Corona-Welle
Straubingers Erfahrung ist, dass jeder Arbeitgeber seine Erntehelfer dazu anhalte, sich impfen zu lassen. „Ich sehe da kein Problem“, sagte er unserer Redaktion. Das kann Saalfeld bestätigen. „Die kleinen Betriebe haben mit ihren Mitarbeitern vereinbart, dass sie geimpft kommen.“
Im Januar wurden zwei klassische Herkunftsländer der Erntehelfer zu Hochrisikogebieten erklärt: Bulgarien und Rumänien. Wer von dort kommt und nicht geimpft ist, muss nach dem Gesetz nach der Einreise für zehn Tage in Quarantäne gehen, die er frühestens nach fünf Tagen abkürzen kann.
Die Hoffnung der Spargelbauern ist, dass die Corona-Welle bis Ende März europaweit abflacht und für beide Staaten Entwarnung gegeben wird. Und wenn nicht? Dann gehen die Erntehelfer in Arbeitsquarantäne.
„Zum Glück gibt es die noch“, sagt Saalfeld. Arbeitsquarantäne bedeutet, dass die Menschen einreisen, aber nicht die Unterkunft verlassen dürfen. Sie wohnen, arbeiten und überstehen zusammen die Quarantäne. Dem Spargel macht das nichts aus.